Happy-go-lucky (#) von Mike Leigh. England, 2007. Sally Hawkins, Alexis Zegerman, Eddie Marsan, Andrea Riseborough, Sinéad Matthews, Kate O’Flynn, Sarah Niles, Samuel Roukin
Poppy ist Grundschullehrerin in London, lebt mit ihrer besten Freundin und Kollegin zusammen, hat aktuell keinen Mann und scheint alles in allem eine geradezu provozierende Antithese zu David Thewlis’ Johnny aus „Naked“ von 1993 zu sein. Dort der aggressive, hasserfüllte, sexuell übergriffige, völlig misanthropische Wüterich und hier die bunte, muntere und fast immer unverschämt fröhliche, unbeschwerte und witzige Dreißigjährige, die sich positives Denken zum Lebensmotto gemacht zu haben scheint und sich auch von Rückschlägen, etwa dem Diebstahl ihres Fahrrades oder den notorisch missmutigen Mitmenschen nicht aus dem Konzept bringen lässt. Zwei Dinge geschehen dennoch, die ihr bislang angenehm geordnetes Leben in Aufruhr bringen: Einer ihrer Schüle fällt durch gewalttätiges Verhalten auf und mit dem Sozialarbeiter, der daraufhin zu Hilfe gerufen wird, fängt sie flugs eine Liaison an. Und der Fahrlehrer, bei dem sie ihre Lizenz zu erwerben versucht, entpuppt sich halbwegs als skurriler Soziopath, der ihr schließlich nachstellt und eifersüchtig auf den neuen Lover reagiert, so dass sie den Unterricht vorzeitig abbrechen muss, um Schlimmeres zu verhindern. Am Ende aber ist alles wieder in Butter – die beiden Freundinnen rudern auf einem Parkteich, kichern wie kleine Mädchen, und Poppie hat wie es scheint die gröbsten Turbulenzen fürs erste überwunden.
Sämtliche Vorbehalte, dieser Film könnte vielleicht aufgrund seiner allzu dominanten und allzu aufdringlichen Protagonistin über die knapp zwei Stunden etwas anstrengend um nicht zu sagen nervig werden, habe ich nach ungefähr fünf Minuten vergessen. So lange benötigt Sally Hawkins etwa, um ihre Präsenz zu entfalten und uns zu versichern, dass sie alles andere ist als eine hysterisch gut gelaunte oberflächliche Gans, und so lange benötigt Mike Leigh, um uns zu versichern, dass dies im Ganzen natürlich alles andere als ein seichtes Feelgoodmovie sein wird (da ist es wieder, das böse Wort...). Dies ist ein rundherum geglückter, großartiger Film, ein neues Meisterstück des Meisters, eine Alltagsstudie, eine Alltagskomödie und keineswegs nur eine Einfraushow sondern viel mehr ein Film über Menschen, die miteinander leben, miteinander auskommen müssen oder wollen und andere, denen das schwer bis unmöglich ist. Poppie und ihre Freundin Zoey bilden eine harmonierende Wohngemeinschaft, zu der sich regelmäßig am Wochenende noch andere Frauen für die feucht-fröhlichen Tanzabende gesellen. Dann gibt’s da noch Poppies Schwestern, die eine ist eine schwangere Parademittelklassemutti mit Mann und Heim und Garten, die andere ein übellaunige Zicke ohne all dies, es gibt Poppies Alltag in der Schule, den Alltag im Flamencokurs und es gibt ihre Begegnungen unterwegs, mit einem verwirrten Obdachlosen, einem abweisenden Buchhändler und eben immer wieder dem schrägen Fahrlehrer Scott, der sich seine private apokalyptische Weltsicht gebastelt hat, darin reichlich rassistische Elemente einbaut und bei Bedarf in fast unkontrollierte Wutausbrüche verfällt, die selbst Poppie schließlich so sehr erschrecken, dass sie sich distanzieren muss. Das tut sie auch noch aus einem anderen Grund, sie hat nämlich erkennen müssen, dass ihr allzu unbeschwertes, argloses Geflirte und Geflachse auch mal ernster genommen werden könnte, als sie beabsichtigt und dass sie plötzlich Verantwortung übernehmen muss für die Emotionen, die sie in anderen, in diesem Fall in Scott, auslöst. Sie trifft immer wieder Leute, die nicht nur nicht nach ihrer Happy-go-lucky-Philosophie leben können, sondern die davon entweder vor den Kopf gestoßen oder sonst wie irritiert werden. So ergeben sich immer wieder Momente, in denen der heitere und flotte Ton jäh umschlägt und die Kehrseite der Medaille immer mal sichtbar wird. Wie in „Naked“ muß Leigh sich nicht politisch explizit äußern, um uns verständlich zu machen, dass die Leute, die er zeigt und denen er auf verschiedene Weise seine Zuneigung bekundet, die Gesellschaft spiegeln, aus denen sie stammen und von der sie geprägt wurden. Die existentiellen Themen de früheren Filme sind diesmal nicht so vordringlich, eher geht es um die Lebenseinstellung, das Umgehen miteinander, und weder Poppie noch Scott, die so etwas wie Antipoden zueinander bilden, können davon ausgehen, dass ihre jeweilige Lebenseinstellung folgenlos für andere bleibt und sie praktisch als Inseln im Strom schwimmen können. Dabei meint es Poppie natürlich nie böse, sie ist einfach so witzig und locker drauf und versucht auf ihre Weise einfach nur, mit anderen in Kontakt zu kommen. Aggressionen scheinen ihr fremd zu sein, was aber nicht heißt, dass sie nicht mit den Aggressionen anderer umgehen kann. Sowohl im Umgang mit dem Schüler als auch mit dem cholerischen Scott erweist sie sich als ziemlich einfühlsam und menschlich engagiert und eben nicht als doofe Spaßmaus, die sonst nichts auf der Pfanne hat.
Ich liebe Filme, egal ob komisch oder ernst, die ganz aus dem Alltag kommen und auch dort bleiben, und dies ist ein Paradebeispiel für einen wunderbaren Alltagsfilm, der sich Zeit nimmt für die Menschen und ihr Milieu, der beidem seinen Respekt erweist und dabei auch noch fabelhaft gut unterhält und streckenweise wirklich total witzig ist. Und Sally Hawkins ist in ihrer Rolle natürlich grandios gut, eine fulminante und so facettenreiche Performance, dass ich ihr auch nach zwei Stunden noch beglückt zugeschaut habe und die haargenau das Gegenstück ist zu David Thewlis’ nicht minder furioser Darstellung in „Nackt“. Seit „Vera Drake“ sind schon vier Jahre vergangen, der Herr Leigh macht sich also rar, viel zu rar für meinen Geschmack, aber solange er immer mal mit solch wunderschönen Filmen auftaucht, sei ihm das herzlich verziehen. (17.7.)