Nadzieja (Hope) von Stanisław Mucha. Polen/BRD, 2007. Rafael Fudalej, Kamilla Baar, Wojciech Pszoniak, Zbigniew Zapasiewicz, Zbigniew Zamachowski, Grzegorz Artman, Jerzy Trela, Jan Frycz

   Drehbuch: Krzysztof Piesiewicz. Das ist der von Kieslowskis Farben-Trilogie und dem Veronikafilm und auch vom Dekalog. Tom Tykwer hat sein „Heaven“ verfilmt und nun dies: Das Leben, die Liebe, der Tod, zum wiederholten Male, ganz ernst und geradeaus und essentiell, und wenn ein Regisseur so was nicht bewältigt, sprich keine angemessene Form und Bilder dafür findet, dann kommt schnell der größte verquaste Unfug dabei raus, doch Stanisław Mucha hat alles richtig gemacht, und so ist es irgendwie, als sei Kieslowski gar nicht tot, sondern lebte vielmehr in diesem Film weiter, einem wunderschönen und meisterhaft intensiven Film, der uns endlich mal wieder die große polnische Tradition in Erinnerung bringt.

   Der erste Schock gleich zu Beginn: Eine Mutter wird vom Lastwagen erwischt und stirbt. Die beiden Söhne müssen zusehen, der Mann gibt gerade ein Konzert und erleidet, als er die Nachricht erfährt, einen Schlaganfall. Fünfzehn Jahre später: Der Vater ist Kirchenorganist. Michal, der ältere Sohn hat den Halt verloren, sitzt wegen Mordes im Gefängnis und lebt ständig am Rand des Suizids.  Francis, der jüngere Sohn schließt jeden Morgen die Kirche auf, verbringt seine Tage gern im Gerichtssaal, hat eine süße Freundin, übt sich in riskantem Fallschirmspringen und fotografiert viel. Er hat es auf einen Kunsthändler abgesehen und filmt ihn schließlich beim Raub eines großen Kirchengemäldes. Er nimmt Kontakt zu ihm auf, will aber weder Geld noch seine Verhaftung, sondern verlangt nur das Bild zurück. Der Deal gelingt schließlich, Michal aber nimmt sich das Leben und der Vater kommt zu spät. Immerhin entdeckt Francis nach einem besonders gefährlichen Sprung endlich die Angst und kann nun anfangen, richtig zu leben.

   Es ist gar nicht so leicht zu erklären, worin genau die Wirkung dieses Films besteht, wahrscheinlich aber in seiner Mischung aus magischem Bilderfluss, tiefem Ernst und immer wieder eingebauten Irritationen, die mal komisch und mal düster sind und uns jedenfalls immer wieder Rätsel aufgeben. Mal rückt der Betrachter ab in die Welt der Liebe und der Poesie, mal bricht unversehens brutale Kriminalität in die Ruhe, dann wieder betört uns rauschend schöne Musik. Wir sehen eine Familie, die durch den Tod der Mutter in den Grundfesten erschüttert wurde und darüber zerbrochen ist. Michal verliert den Anschluss und geht im Gefängnis verloren, Francis und der Vater leben zwar weiterhin zusammen, doch scheint der Kontakt zwischen ihn brüchig zu sein. Ebensolche Schwierigkeiten hat Francis, die offen dargebrachte Zuneigung der hübschen Klara zu erwidern, die unverdrossen an ihm dranbleibt, obgleich er seinen skurrilen und zum Teil haarsträubend gefährlichen Hobbys nachgeht und sich ihr gegenüber eher unbeholfen und wortkarg gibt. Erst am Schluss erfahren wir, worum es ihm eigentlich geht, nämlich um eine Grenzerfahrung ähnlich der von Jeff Bridges aus „Fearless“ – als kleiner Junge ist er selbst dem Tod knapp entkommen, doch er hat aus nächster Nähe mit ansehen müssen, wie der LKW seine Mutter getötet hat und kann seither offenbar kaum noch etwas empfinden. Erst die Erfahrung akuter Todesangst bei seinem letzten Sprung aus dem Flugzeug gibt ihm das Gefühl für sich selbst und seine Identität zurück und zugleich die Kraft, auch Klara lieben zu können. Am Schluss sagt er zum Vater, „Komm, wir fahren nach Hause“, ein vielsagender, gern gesagter Satz, in diesem all aber schon passend und ein Hinweis darauf, dass Francis sich wieder auf ein bewusstes, familiäres Zusammenleben einlassen kann, zu sich und zum Vater zurückgefunden hat.

 

   Die Kunst Muchas, die Kieslowski bekanntlich zur Perfektion entwickelt hat, besteht darin, solch schwere Themen mit zahlreichen religiösen Anklängen so in eine Geschichte einzubinden, dass weder die Geschichte noch die Zuschauer davon erschlagen werden. Dies ist ihm ganz im Sinne seines Vorbild großartig gelungen, der Film fließt ruhig und dunkel dahin, doch nie träge oder überladen, sondern stets sinnlich und spannend. Schauspieler, Kamera und Musik fügen sich zu einem perfekt orchestrierten Ganzen zusammen, das so wie es ist auch von Meister Kieslowksi nicht schöner hätte inszeniert werden können. Gut, dass es solche Filme aus Polen noch immer gibt, schade, dass es so wenige sind! (23.1.)