Hoppet (#) von Petter Næss. Schweden/Norwegen/BRD, 2007. Ali Abdusalam, Ronas Gemici, Mehmet Aras, Telar Hirani, Peter Stormare, Per Fritzell

   Kurz vorweg: Erstmal bin ich froh, diesen Film überhaupt gesehen haben zu dürfen, denn wie oft kommen anspruchsvolle Kinder- und Jugendfilme aus Skandinavien schon zu uns ins Kino, das doch längst im Würgegriff der Pixeldominanz erstickt ist und außer jedem noch so beschissenen Hollywoodauswurf kaum noch etwas anderes zulässt. Hier muss man allerdings ehrlich sein und auch die hiesigen Arthousekinos rügen, denn selbst die gehen schon seit langen Jahren kein Risiko mehr ein, zeigen eher die x-te Wiederholung bekannter Uraltwerke (sprich Lotta, Michel, Pippi und Konsorten), als mal einen neuen, aktuellen Film ins Haus zu holen. Das finde ich armselig und traurig, es engt den ohnehin schon arg beschränkten Konsumhorizont der Kinder noch mehr ein und zeugt auch sonst von wenig Respekt, denn gerade die Programmkinos sollten versuchen, Kindern und Jugendlichen eine wirkliche Alternative zum elenden Mainstream anzubieten. So.

   Hoppet bedeutet im Schwedischen sowohl „Hoffnung“ als auch „Sprung“, eine für den Film wichtige Doppeldeutigkeit, die nicht ins Deutsche übertragbar wäre, weshalb es einmal Sinn macht, den Originaltitel beizubehalten. Hoppet beginnt irgendwo im Nahen oder Mittleren Osten, egal wo genau, jedenfalls in einem Land, wo Krieg herrscht. Azad ist ein begeisterte Hochspringer, was ihm in der fußballfixierten Machokultur seiner Heimat nur Spott und Unverständnis einbringt, doch er schwärmt unverdrossen für Kajsa Bergqvist und träumt von einer ähnlich großen Karriere. Doch dann fallen Bomben, sein älterer Bruder Tigris verstummt im Schock, die Eltern schicken die Brüder in Panik weg und verabreden sich in Frankfurt, wohin sie nachkommen wollen. Der Vater, der systemkritische Texte verfasst, hat die Flucht schon länger geplant, doch in der Überstürzung sind die Jungs plötzlich auf sich allein gestellt. Als sie von den vermeintlichen Fluchthelfern auch noch betrogen werden und ein falsches Flugticket bekommen, finden sie sich in Stockholm wieder, mittellos und auch ohne das Handy, mit dem sie ihre Eltern hätten verständigen können. Notgedrungen nimmt sich eine anderen Flüchtlingsfamilie aus der alten Nachbarschaft der Brüder an, doch die beiden sind unwillkommen, ungeliebt und wissen, dass diese Lösung nicht von Dauer ist. Azad integriert sich, anders als die träge und unsympathische Familie von Hussein und Naza, schnell in Schweden, er lernt die Sprache, er kommt in der Schule nach Anfangsproblemen klar, er macht den Dolmetscher für die Behörden, die den Antrag auf Bleiberecht prüfen,  und er nimmt wieder Tuchfühlung zu seiner Leidenschaft dem Hochsprung auf. Zwischen Freud und Leid geht es lange hin und her, bis dann die Familie, von der Ausweisung bedroht, einen gemeinen Plan entwickelt und Azad und Tigris zur erneuten Flucht zwingen. Die endet auf einem Sportfest in Berlin, einer Begegnung mit Kajsa Bergqvist und dem Wiedersehen mit den Eltern.

   Natürlich erscheint gerade das Ende arg märchenhaft, und es hätte meiner Meinung nach durchaus gereicht, Azads großen Erfolg beim Hochsprung als Zeichen für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu nehmen und es dabei bewenden zu lassen. Auch sind die eine oder andere Nebenfigur zu schematisch geraten und der Kulturkonflikt auf sprachlicher Ebene geht zumindest in der deutschen Fassung gänzlich verloren und kann nicht überzeugend vermittelt werden. Wenn ich mir andererseits überlege, an wen sich der Film vor allem wendet, würde ich diese Kritik stark einschränken, zumal ich finde, dass dies ein toll gespielter, sehr gefühlvoller und einfühlsamer Film ist, der sein komplexes Thema sicherlich vereinfacht, es aber niemals banalisiert oder verharmlost und der damit Anstoß für viele Gespräche geben könnte. Die wenigen Szenen aus Azads Heimat (Irak oder was auch immer), sind sehr prägnant und eindrücklich, zeigen ohne viel Aufwand ein Land, dass lange unter staatlicher Repression und nun auch unter dem Krieg leidet. Knapp und dennoch glaubwürdig wird dann geschildert, wie Azad und Tigris in Stockholm festsitzen und zum Widerwillen aller Beteiligter von Hussein spontan als weitere Kinder adoptiert werden. Immerhin schwankt Hussein im weiteren zwischen Ablehnung und Solidarität unter Landsleuten, während seine feiste, aggressive Frau aus ihrem Hass auf die beiden Brüder keinen Hehl macht und auch am Ende einen infamen Plan entwickelt, um ihre eigene Haut zu retten. Der Film konzentriert sich nun auf diese Situation und auf Azads Gehversuche im neuen, fremden Land. Dies sind die besten und wichtigsten Szenen des Films, hier gelingen Næss sehr viele eindringliche Momente zwischen Ernst und leichter Komik, und vor allem macht er unmissverständlich klar, dass Schweden schon lange nicht mehr das Paradies aller schutzsuchenden Immigranten ist wie einst. Auch hier hat nun die Toleranz der Bevölkerung ihre Grenzen, auch hier herrscht bürokratische Tyrannei, und wieder genügen wenige Szenen, um die Auswirkungen des politischen und gesellschaftlichen Sinneswandels zu verdeutlichen. Das gilt vor allem für den zwischenmenschlichen Bereich – Hussein, der sich nach einem handgreiflichen Wutausbruch bei Tigris entschuldigt, erklärt für uns, wie belastend die Situation des Wartens, der Angst, der Unsicherheit ist, wie sehr die Leute unter Druck stehen, weil sie doch befürchten müssen, wieder abgeschoben zu werden in ein Land, in dem Terror und Gewalt herrschen. Auf diese Weise wird das eine oder andere Klischee doch relativiert, obwohl mir im ganzen viele der Figuren zu simpel gestrickt sind – auch jüngere Zuschauer können sehr wohl differenzieren und brauchen es nicht so schwarz-weiß wie teilweise in dieser Geschichte.

   Trotzdem ein Film mit Herz und Mut, einer starken Aussage und einem großartigen Hauptdarsteller, dessen mitreißendes Porträt des Azad genauso über die eine oder andere Untiefe hinweghilft wie die gefühlvolle, atmosphärisch intensive und spannende Erzählung. Damit könnte ich zu meiner Litanei am Anfang zurückkehren, aber eigentlich ist schon alles gesagt. (9.10.)