I’m not there (#) von Todd Haynes. USA, 2007. Cate Blanchett, Heath Ledger, Marcus Carl Franklin, Richard Gere, Christian Bale, Ben Wishaw, Charlotte Gainsbourg, Julianne Moore
Nach Martin Scorseses beflissenem aber nicht wirklich erhellenden „No direction home“ geht Todd Haynes in seinem ungleich spannenderem, aufregenderen Film einen ganz anderen Weg. Statt eifrig noch mehr Material zu sammeln und noch mehr Leute zu befragen nähert er sich dem Enigma Bob Dylan sozusagen auf Augenhöhe und mit dessen eigenen Mitteln, und entstanden ist ein wirklich außergewöhnlicher, brillanter und gleichzeitig recht sperriger Film, der einige Zuschauer schon vorzeitig aus dem Saal getrieben hat, der zugleich aber beweist, dass es drüben in Hollywood noch Leute mit Visionen gibt.
Haynes trägt dem (durchaus zum Teil selbst gebastelten) Image und der öffentlichen Wahrnehmung Dylans Rechnung und spaltet ihn praktisch in sechs verschiedene Personen auf, die zusammen genommen nicht mal Teil eines vollständigen Ganzen ergeben, die sich auch nicht immer scharf voneinander abgrenzen lassen, die zumindest aber versuchen, verschiedene Aspekte des Künstlers und Menschen zu begreifen. So sehen wir Cate Blanchett als eigenwilligen, divenhaften Sänger, der in London die dümmliche Journaille blamiert und ansonsten am aufdringlichen, zermürbenden Business kaputt zu gehen droht. Wir sehen Christian Bale als Folksänger, der nach langen Jahren im Geschäft plötzlich zum Glauben findet und seinen Gospel in Popmessen verkündet. Wir sehen Ben Wishaw als Artur Rimbaud, der einem Interviewer sein Konzept von Kunst und Wahrheit darzulegen versucht. Wir sehen Heath Ledger als Schauspieler, der vor den Trümmern seiner Ehe steht und nicht in der Lage ist, die Brüche zu heilen. Wir sehen Richard Gere als eine Art Outlaw im alten Westen, der einsam und frei durch die Lande zieht und am Ende aufbricht zu neuen Ufern. Und wir sehen Marcus Carl Franklin als kleinen Woody Guthrie, der in den Dreißigern auf Zügen durchs Land reist und den Menschen unterwegs von alten Folksongs und seinen Vorbildern erzählt, bis ihm eine Frau erklärt, er müsse von sich selbst und seiner eigenen Zeit singen.
Collage, Puzzle, Rätsel, dieser erstaunliche Film ist alles in einem, durchaus nicht frei von Längen, und gerade die Figur Rimbauds hätte ich gern etwas ausführlicher gesehen, doch die übrigen Teile, locker und oft bruchlos ineinander geschachtelt, sind zumeist sehr eindrucksvoll und ergeben zumindest für den, der sich ein bisschen für Dylan und seine Songs interessiert, ein schillerndes, komplexes Fragment, das notwendigerweise nie den Anspruch auf Objektivität oder Korrektheit erhebt. Haynes geht radikal subjektiv vor, und wer sich mit Dylan überhaupt noch nicht befasst hat, wird schwerlich einen Zugang finden, doch dies ist kein Argument gegen den Film. Häufig korrespondieren die Songs im Soundtrack mit den jeweils gezeigten Episoden, die alten Folksongs, die Protestlieder der Bürgerrechtsbewegung, die ersten elektrischen Versuche, die Liebeslieder, später die bitteren Songs über Trennung und Konflikt und sogar der fromme Kram der frühen 80er ist dabei. Viele der Themen und Motiven und Mythen, die Dylan aufgesogen und in seinen Songs verarbeitet hat, werden bebildert, manche ganz direkt und fast naiv, andere mit schöner Ironie, und stückweise baut man zusammen, was Person und Kunst ausmachen: Die Verwurzelung in Amerika und seiner Folktradition, die kurze Bindung zur politischen Aktion der frühen 60er, die zunehmende Isolierung als Flucht vor der totalen Vereinnahmung durch die Öffentlichkeit, seine Liebe zur Poesie Ginsbergs oder eben Rimbauds, das wenig beleuchtete und wohl auch wenig erfolgreiche Privatleben, die religiöse „Erweckung“ und so weiter. Dylan, der asketische Folkbluessänger der ersten Jahre schöpft aus der kulturellen Tradition der amerikanischen Mythen, wurzelt in ihnen und wird selbst sehr bald zu einem Mythos, kreiert ihn zum Teil sicherlich auch selbst, zumal Arroganz, Eitelkeit und Unberechenbarkeit genauso zu ihm gehören wie seine Fähigkeiten als Dichter und Musiker. Eine Gesellschaft, die dringend nach Identifikations- und Leitmodellen Ausschau hält, weil sie sich seit mindestens fünfzehn Jahren in einem geistigen Vakuum und außerdem knietief in schwersten gesellschaftlichen Konflikten befindet, kommt ihm dabei auf halbem Weg entgegen, vernimmt allzu gern die Worte des neuen Propheten und wird dann prompt vor den Kopf gestoßen, als dieser nach einigen Jahren den Dienst aufkündigt und sich nicht länger vor irgendeinen Karren spannen lassen will..
Natürlich geht es Haynes zu keiner Zeit darum, zu ordnen, zu erklären, zu werten, zu urteilen, er versucht, sich mit filmischen Mitteln der Rockmusik zu nähern, und in diesem Bereich fällt mir im Moment kein Film ein, dem dies besser gelungen wäre. Mit „Velvet Goldmine“ hat Haynes schon gezeigt, dass ihm Musik am Herzen liegt und er die richtigen Bilder dazu findet, hier ist er noch einen Schritt weiter, oder besser tiefer gegangen, ist über das rein optische der auch akustische Phänomen hinaus zur Substanz der Musik vorgestoßen, und bei einem Künstler wie Dylan ist das natürlich eine besondere Herausforderung. Die Montage aus gefakten Dokus, archaischen, oft ironisch überzeichneten Hobo- und Westernmotiven, modernen Szenen einer Ehe oder nachgestellten und teilweise schön parodierten Interviews (Julianne Moore als Joan Baez!) ist großartig gelungen, die Schauspieler sind dem anspruchsvollen Konzept absolut ebenbürtig, und wer Rockmusik ein wenig ernst nimmt und sich gern über den reinen Konsum hinaus mit ihr beschäftigt, wird den Film vielleicht ähnlich faszinierend finden wie ich, und dazu muss man nicht unbedingt ein Dylan-Fan sein (bin ich auch nicht!). (6.4.)