Im Winter ein Jahr von Caroline Link. BRD, 2008. Karoline Herfurth, Corinna Harfouch, Josef Bierbichler, Hanns Zischler, Mišel Maticevic, Cyril Sjöström, Inka Friedrich, Franz Dinda, Jacob Matschenz, Hansa Czypionka
Ein Tischler sagt es gegen Ende des Films so schön: Ach, die Reichen, gut, dass es sie gibt – was täten wir ohne sie? Also, ich wüsste schon, was ich ohne sie täte, aber egal. Hier geht’s um die Kulturschickeria Münchens, und die hat mich noch nie interessiert, und dementsprechend hat es ein Film, der sich mit den Seelenblähungen dieser Sorte Mensch befasst, von Anfang an nicht leicht bei mir. Familiendramen unter Starwissenschaftlern, Innenarchitekten, Kunstmalern und Ballettmiezen in feinen Dekors zwischen Starnberger See, durchgestylter Vorortvilla und gleichfalls durchgestylter Cityloft sind mir per se ein wenig fern, und leider ist es Caroline Link auch nicht gelungen, diese Distanz, die ja sicherlich die meisten Zuschauer empfinden werden, zu überbrücken.
Der unerwartete Freitod des geliebten Sohnes hat die Familie XY auf eine Probe gestellt. Die Ehe zwischen Mom & Dad ist eh schon halb hinüber, Mama Eliane, die ihren Alexander besonders vergötterte, ist in Trauer und Selbstmitleid erstarrt, und Tochter Lilli, die eh unter ihrem Außenseiterstatus gelitten hat, grenzt sich verbittert ab und hat sich von der Mutter gründlich entfremdet. Nun beauftragt die den kauzigen und selbst von Toten besessenen Maler Max, ein Porträt der beiden Kinder zu malen, und Lilli muss zunächst gegen ihren Willen Modell stehen. Zwischen ihr und dem Maler bahnt sich ein tieferes Verständnis an, was auch ganz gut ist, denn ansonsten kommt Lilli nicht sehr gut klar. Ihre Hauptrolle im Ballettstück geht baden und die Freundschaft zu einem Kunstschnösel ebenfalls. Max fordert sie heraus, provoziert heftige Abwehrreaktionen, gewinnt aber auch immer wieder ihr Vertrauen und hilft ihr mit seiner Lebensklugheit, ihre unbearbeitete Beziehung zu dem Bruder endlich zu klären, und er sorgt durch sein Bild dafür, dass ganz klar wird, wer von den beiden wirklich am leben ist und wer nicht. Diese Botschaft kommt vor allem bei Lilli an, die vermutlich neuen Mut sammeln und sich für die Zukunft befreien kann.
Bestechend sind hier die optische Gestaltung, die erlesenen, schön komponierten und intensiven winterlichen Bilder, und bestechend sind vor allem die Darsteller, von denen allerdings mehr als die Hälfte glatt verschwendet werden. Corinna Harfouch gibt die einseitig nervig und garstig trauernde Egomama, Hanns Zischler hat als distanzierter und halbwegs entfremdeter Gatte und Papa auch wenig zu tun, eine so großartige Schauspielerin wie Inka Friedrich wird in eine kleine Nebenrolle gepfercht, was mir besonders weh getan hat, hervorragende junge Leute wie Dinda, Matschenz oder Paula Kalenberg erscheinen als Staffage ganz am Rand, und einzig Karoline Herfurth und Josef Bierbichler dürfen in spannenden, differenzierten Parts glänzen, tun dies auch und machen ihre Szenen allemal sehenswert, doch im ganzen reicht das nicht. Bei annähernd zwei Stunden Spielzeit kommt Caroline Link überraschend selten wirklich mal auf den Punkt, dringt kaum mal zur Essenz, zum Kern der Sache vor, hält sich lieber mit Nebensächlichkeiten wie Lillis diverse Nebenbeschäftigungen und Privatgeschichten auf, die nicht wirklich von Interesse sind. Ich habe fast die ganze Zeit darauf gewartet, dass es endlich mal ans Eingemachte geht, wie man so schön sagt, dass die eigentlichen Themen auf den Tisch kommen, die Familie, die Rolle des Bruders, überhaupt sein Persönlichkeit, die bis zum Schluss höchst nebulös und rätselhaft bleibt, das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, das annähernd inzestuöse Dimensionen gehabt haben dürfte, und so weiter. Ich bin wahrscheinlich zu sehr von Ingmar Bergman geprägt, der uns zuverlässig in (fast) jeder seiner Psychokisten das gibt, was wir brauchen, und habe Caroline Links Story deshalb insgesamt als etwas zu schwach und vage empfunden, zu wenig ausgewogen in den Charakterporträts und in der Dramaturgie nicht packend genug. Das künstlerische Potential ist hier jederzeit in beachtlichem Umfang vorhanden, nur nutzt es Link meiner Meinung nach nicht annähernd voll aus, so dass ich unter dem berühmten Strich diesmal nicht ganz zufrieden bin. (13.11.)