Into the wild (#) von Sean Penn. USA, 2007. Emile Hirsch, Catherine Keener, Hal Holbrook, Vince Vaughan, Marcia Gay Harden, William Hurt, Jena Malone, Brian Dierker, Kristen Stewart, Christopher McCandless
Anfang zwanzig, WASP aus Washington D.C., den exzellenten Collegeabschluss in der Tasche, alle Perspektiven offen, und Mom & Dad wollen ihm auch noch ein neues Auto hinstellen (weil der olle Datsun nicht mehr standesgemäß ist), und just in dem Moment bricht Chris alle Brücken hinter sich ab, verscherbelt sein Auto, gibt seine Ersparnisse weg, zerschneidet alle Papiere, die ihn identifizieren könnten, ändert seinen Namen und zieht los, zunächst nach Westen, dann den Colorado runter in den Golf von Kalifornien, bis ihn dann die Sehnsucht nach Alaska nach Norden treibt, wo er schließlich auch landet, in einem alten Bus mitten in der Wildnis. Gute drei Monate überlebt er dort, dann wird es schwierig: Das Elchfleisch vergammelt ihm, ein Fluss lässt sich nicht mehr überqueren, eine Pflanze erweist sich als giftig und alle Tiere sind plötzlich verschwunden. Seine Leiche wird im April 1992 von Jägern gefunden, aber immerhin nimmt sich ein Schreiber seiner Geschichte an und macht einen Bestseller draus.
Und Sean Penn hat nun einen Film draus gemacht, erwartungsgemäß kein braves, ödes Stück Mainstreamkino, sondern ein eigenwilliges, episches Zweieinviertelstundending, das mich nicht in allen Einzelteilen überzeugt hat, das aber im Ganzen doch mal wieder einen faszinierenden Blick auf Amerika bietet. Der Protagonist ist mir bis zuletzt fremd geblieben, aber das liegt sicherlich zu einem großen Teil am persönlichen Lebenshintergrund und nicht an Penn, der auch das Drehbuch schrieb und sich schon bemüht, ausreichend biographische Daten einzuflechten, um Christopher McCandless’ Beweggründe zu verdeutlichen. Inspiriert von Autoren wie Thoreau, Jack London oder Tolstoi, frustriert von der lieblosen, von Verlogenheit und Kälte gekennzeichneten Familie und angeödet von der vorgezeichneten Karriere träumt Chris von der absoluten individuellen Freiheit, von der Rückkehr zur Natur und zu den eigentlichen Dingen, von der Suche nach sich selbst und den Ursprüngen des Landes und vom völligen Verzicht auf materielle Güter, was dann wieder zu Punkt eins zurückführt. Wie Tolstoi will er seine wohlhabende Existenz hinter sich lassen, wie London will er als Abenteurer des Schienenstranges frei durchs Land ziehen und wie Thoreau will er in den Wäldern zum Kern menschlichen Daseins finden. Ein Typ, der auch in der öffentlichen Diskussion die Gemüter bewegt und die Meinungen spaltet: Die einen halten ihn für einen Idealisten und mutigen, aufrichtigen Typen, die anderen für einen egozentrischen Spinner, der in der falschen Zeit lebt. Sean Penn verhält sich grundsätzlich sympathisierend, doch bleibt sein Film offen für anderen Ansichten. Im Off hören wir gelegentlich Chris’ Schwester, die ihm am nächsten stand und aus gemeinsamen Erinnerungen erzählt, und zumindest ihr Schmerz lässt den Egotrip des Bruders in einem etwas weniger romantischen Licht erscheinen. Romantisch ist auch sonst höchstens die Hälfte seiner Erlebnisse: Die mexikanische Grenzpolizei schickt ihn zurück, weil er keine Papiere hat, in L.A. stellt er ebenfalls fest, dass man sogar als Obdachloser und Bedürftiger Papiere braucht, aus einem Zug wird er mit grober Gewalt geworfen, und die Flusspolizei ist hinter ihm her, weil er den Colorado ohne Genehmigung benutzt (fast wie in Deutschland...). Aber es gibt auch anderes, menschliche Begegnungen, die Chris bereichern: Ein skurriles, in seiner Begeisterung naiv wirkendes dänisches Pärchen, ein Hippiekommune, die total aus der Zeit gefallen ist, ein netter Farmer, der ihn bei sich arbeiten lässt oder ein alter Mann, der ihn gleich am liebsten adoptieren möchte. Das Land ist riesig und genau so vielfältig, Freundschaft und Gewalt, Solidarität und Feindseligkeit liegen dicht beisammen, doch fragt man sich als Zuschauer schon, ob der Traum der totalen Freiheit, so wie ihn die Pioniere einst (vielleicht!) hatten, heute noch realisierbar ist. Penn selbst scheint daran Zweifel zu haben, zumal Chris’ Erlebnisse in Alaska eher auf einen jungen Mann hindeuten, der sich von den Bedingungen des Lebens in der Wildnis letztlich doch kein detailliertes Bild gemacht hat und letztlich an naturbedingten Widrigkeiten scheitert. Woran er jedoch vor allem scheitert, was ihm aber zu spät erst klar wird, ist die Einsamkeit, die ihn dort im Niemandsland überwältigt und die ihm klarmacht, dass auch er ohne andere Menschen nicht leben kann, auch wenn er davon überzeugt gewesen war und es in seinen klugen Büchern zu lesen stand. Aus dem mutigen, entschlossenen Abenteurer wird in dem Moment ein einfältiger, unerfahrener junger Typ, der tatsächlich geglaubt hat, er braucht nichts und niemanden zum Leben, nur sich selbst. Sein Tod ist auch als Kommentar dazu, und es zeichnet Penns Drehbuch aus, dass er nicht mehr Worte darüber verlieren muss.
Der Film hat trotz seiner balladesken Struktur deutliche Längen und einen fast allgegenwärtigen Soundtrack, der mir ein wenig zu viel war, doch das Motiv der Reise zu sich selbst, der mythischen Reise ins Herz des Landes, hat eine zeitlose Faszination, die sich sehr intensiv mitteilt, zumal die Bilder wirklich toll sind und viel von dem vermitteln, was Chris gesucht haben mag. Obgleich ich selbst von ganz anderen Voraussetzungen ausgehe und es hierzulande kaum eine solche Tradition gibt wie in den USA, lässt sich die Sehnsucht danach, einfach mal alles hinter sich zu lassen und drauflos zu ziehen, sehr gut nachvollziehen und Penn hat sie mit sehr viel Einfühlsamkeit und Atmosphäre toll eingefangen. Wer mal wieder etwas von Land und Leuten sehen will, ist mit diesem Film sehr viel besser bedient als mit den allermeisten anderen aus Hollywood, aber das hat Penns frühere Werke ja auch schon ausgezeichnet, und es ist klasse, dass er sich diesen anderen Blick erhalten hat, denn er ist leider verdammt selten. (3.3.)