Kirschblüten – Hanami von Doris Dörrie. BRD, 2007. Elmar Wepper, Hannelore Elsner, Aya Irizuki, Maximilian Brückner, Nadja Uhl, Birgit Minichmayr, Felix Eitner, Floriane Daniel

   Meine Wenigkeit hat das Durchschnittsalter der auch nach Wochen noch sehr zahlreichen Kinobesucher sicher nicht unter die 65-Marke drücken können, was aber nicht heißen soll, dass sich der Film nur an „alte Leute“ richtet. Allerdings sind Themen wie Trauerarbeit und Selbstfindung nicht gerade die Burner bei den Kids, und das Duo Wepper/Elsner vermutlich auch nicht, also sah ich mich unversehens an meinen Arbeitsplatz versetzt und fand es eigentlich sogar schön, dass auch ganz aktuelle Filme mal eine andere Klientel in den Saal locken, denn die sieht man ja sonst nur beim Seniorenkino mit Marika Rökk oder so.

   Trauerarbeit und Selbstfindung hat Rudi zu leisten, und wie meistens wird er von der Situation hilflos überrascht. Seine Trudi stirbt unerwartet im Hotel auf Usedom, wohin sie gefahren waren, nachdem sie zwei ihrer drei Kinder in Berlin besucht hatten. Traurige Ironie: Eigentlich wäre Rudi zuerst dran gewesen, denn seine Frau hatte sich ein paar Tage vorher seine Krebsdiagnose angehört und offenbar beschlossen, ihm erst mal nichts zu sagen, sondern noch schnell ein paar Dinge zu tun, die sie vor seinem bald zu erwartenden Tod gern tun wollten. Nun steht er allein da und erkennt, dass er sie in den langen Jahren ihrer Routineehe nicht mehr richtig beachtet und keine Rücksicht auf ihre Wünsche und Interessen genommen hat. Er reist kurzentschlossen nach Tokio, wo einer ihrer Söhne lebt und arbeitet, zum Teil um bei ihm zu sein, hauptsächlich aber, weil es immer Trudis Traum gewesen war, nach Japan zu kommen und den Fuji zu sehen. Eine Zeitlang läuft er ziellos durch die Stadt, nervt den überarbeiteten und überforderten Sohn, bei dem er natürlich wohnt, und erst als er Yu kennen lernt, eine Obdachlose, die tagsüber im Park tanzt, findet er einen Weg, seine Trauer zu bearbeiten. Gemeinsam fahren sie raus zum Fujiyama, und dort stirbt Rudi am Ufer des Sees mit blick auf den schneebedeckten Berg.

 

   Lange nichts mehr von der ollen Doris gesehen, lange auch schon nichts Gutes mehr, das hier ist aber ein sehr guter Film, vielleicht sogar ihr bester und persönlichster. Das erste Drittel vergeht mit lakonischem, furchtbaren Realismus. Erst der Lebensalltag in einem oberbayerischen Kaff zwischen Büroeinerlei und Heimkunft mit Pantoffeln und der wartenden Ehefrau, dann der Besuch bei den Kindern, der in aller Schmerzhaftigkeit deutlich macht, wie sehr sich alle entfremdet haben, wie wenig Platz die Eltern im Leben der Kinder haben, wie wenig aber auch umgekehrt die Eltern über die Kinder wissen. Der Karl in Tokio war sowieso immer Mamas Liebling heißt es, die Verbitterung der beiden Geschwister darüber lässt sich nicht überspielen, und insgesamt wünschen alle nur, dass die Alten bald möglichst wieder abhauen, auch damit man kein so schlechtes Gewissen haben muss. Bundesdeutscher Familienalltag, würde ich sagen, gnadenlos auf den Punkt gebracht in fröstelnd lebensechten, knappen und präzisen Momenten, brillant gespielt von allen Beteiligten. Dann noch ein paar herrlich fotografierte Momente an der Ostsee, der harte Schnitt, und mit Rudis Reise nach Japan entwickelt die Geschichte langsam aber sicher einen anderen Rhythmus. Rudis Gemeinschaft mit Karl ist wie erwartet unaufrichtig und hilflos, die Männer können sich ihre Trauer nicht anvertrauen, Karl hat natürlich überhaupt keine Zeit, fühlt sich aber dem Vater verpflichtet, und Rudi hat zunächst keine Idee, wie er Trudis unerfüllten Wunsch doch noch realisieren kann. Er geht eigenwillige Wege, zieht Kleidungsstücke von ihr an, versucht, Japan mit ihren Augen zu sehen, und die vorsichtig entwickelte Bekanntschaft mit Yu ist dann der Katalysator für das, was unter „Selbstfindung“ läuft. Der trockene, sachliche, gehemmte urdeutsche Aktenhengst Rudi entdeckt seinen Körper, entdeckt, dass es andere Dinge im Leben gibt als Arbeit und Fakten, erkennt auch, dass er weiter gehen muss als je zuvor, um bei seiner Trudi zu sein, um sie einmal verstehen zu können. Es entstehen Szenen von großer, kompromissloser Intimität, denen Dörrie jeden Kitsch entzieht, ihr Rhythmus bleibt bei aller Sensibilität und Poesie immer angenehm knapp und unpathetisch, und wenn man den Elmar Wepper hier sieht, versteht man sogar, wieso um alles in der Welt die Dörrie auf den Gedanken gekommen ist, gerade ihn aus dem fürchterlichen deutschen TV-Seriensumpf zu ziehen und ihm einmal eine richtig große, tolle Kinorolle zu geben, denn er spielt den Rudi wirklich äußerst eindrucksvoll und so, dass wir gern über zwei Stunden an seiner Seite bleiben. Der Film ist durchgehend wunderschön fotografiert, die Bilder aus Tokio sind zum Teil atemberaubend, aber immer steht das sogenannte Menschliche im Mittelpunkt, und das hat Dörrie so überzeugend gestaltet, wie ich es bei ihr bislang noch nicht gesehen habe. Rudis Erschütterung, seine Suche nach einem Weg zu Trudi, zu seiner Trauer, die Einsamkeit und Fremdheit innerhalb der eigenen Familie (was ja eigentlich das Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann), Momente der Zärtlichkeit, der Sehnsucht, aber auch der Hilf- und Sprachlosigkeit werden mit solcher Intensität und Einfühlsamkeit gespielt und geschrieben, dass sie sich bestimmt auch Leuten mitteilen, die sich mit der Generation und ihren Themen normalerweise nicht identifizieren kann. Beeindruckendes Kino von einer, die mir bisher eher durch ihre Launenhaftigkeit und ständig abwechselnde Highlights und üble Tiefschläge in Erinnerung geblieben ist. (8.4.)