Etz Limon (Lemon Tree) von Eran Riklis. Israel/BRD/Frankreich, 2007. Hiam Abbas, Rona Lipaz-Michael, Ali Suliman, Doron Tavori, Tarik Copty, Amos Lavie, Smadar Yaaron
Weil der israelische Verteidigungsminister sein neues Domizil ausgerechnet an ihr Grundstück grenzen lässt, soll Salma aus der Westbank ihren Zitronenhain und damit ihre Lebensgrundlage und auch ihre Identität verlieren, denn seit mehr als fünfzig Jahren schon gibt es die kleine Plantage, von ihrem Vater angelegt und später von ihrem früh verstorbenen Ehemann gepflegt wurde. Der israelische Staat argumentiert rigoros mit Sicherheitsinteressen, doch Salma lässt sich nicht ohne weiteres einschüchtern und zieht unterstützt von einem jungen Anwalt vors oberste Gericht in Jerusalem. Erwartungsgemäß verliert sie den Prozess, doch hat sie einiges in Bewegung gesetzt: Die Medien greifen den Fall auf und stilisieren ihn zu einem Symbol des Kampfes der Palästinenser für ihre Rechte. Der Anwalt macht Karriere und sitzt bald in einem feinen Büro. Und die Frau des Ministers lernt endlich, einen eigenen Standpunkt zu wagen und den auch zu äußern, und folglich sitzt der Gatte am Schluss ganz allein in seinem schönen neuen Haus und starrt auf eine hässliche Mauer, die das Anwesen nun umgibt. Jenseits dieser Mauer sehen wir Salma in den Trümmern ihres Zitronenhains, wie sie die gekappten Bäume auf frische grüne Triebe absucht.
Schon in dem wunderbaren „Die syrische Braut“ hat Eran Riklis eindrucksvoll gezeigt, wie wenig man braucht, um aus einer ganz einfachen, elementaren Geschichte eine bestechende politische Parabel zu machen. Gleiches gelingt ihm hier, wieder genügt eine simple, fast alltägliche Situation um zu zeigen, wie Unversöhnlichkeit, Hass, Paranoia und öffentlicher Druck auf das Zwischenmenschliche wirken und ein normales Miteinander unmöglich machen. Natürlich ist von Salmas Zitronenpflanzung noch niemals irgendeine Gefahr ausgegangen, doch ziehen die Israelis sofort Wachtürme und einen Zaun hoch und erklären das Gebiet zur nationalen Sicherheitszone. Das Intifada-Gesetz gibt ihnen jedwedes Recht auf Eingreifen in jedwede Sphäre, und sie wären Salma am Ende noch nicht mal etwas schuldig, weswegen die Witwe eigentlich für die angebotene „Entschädigung“ dankbar sein müsste. Sie steht natürlich im Mittelpunkt, ihre Situation, ihre Ohnmacht und schließlich ihre Entschlossenheit, um ihre Würde und ihre Existenz zu kämpfen, wobei sie bald merkt, dass ihr die Sache von dem Anwalt und den Medien mehr oder weniger aus der Hand genommen und zur großen Nummer instrumentalisiert wird, während sie selbst unbeirrt das eine Ziel verfolgt, nämlich den Hain behalten und ihr altes Leben weiterleben zu dürfen und sonst nichts. Der Minister Navon, an sich nicht mal ein übler Kerl, ist in einer halbwegs ähnlichen Lage - auch ihm werden die Entscheidungen aus der Hand genommen, und zwar von Geheimdienst, der berufsmäßig hinter allem und jedem eine Bedrohung sieht, während Navon selbst an den Bäumen keinen Anstoß genommen und Salma sicherlich in Ruhe gelassen hätte. Doch ist er als Politiker und Mann der Öffentlichkeit nicht frei in seinen Handlungen, muss sich oft gegen seine eigene Überzeugung vor den Karren spannen lassen, was seiner Frau Mira immer wieder bitter aufstößt, wogegen sie bislang aber noch nie opponiert hat. Sie lebt in einem Käfig, in ihrer Bewegungsfreiheit beengt, ständig bewacht von bulligen Sicherheitsmännern mit großen Kanonen und wenig Grips, die alle ständig nur die Befehle von oben befolgen. Parallel zu Salma, die ihre gewohnte Zurückhaltung und Schüchternheit überwindet und vor Gericht zieht, entwickelt sich jenseits der Grenze auch eine Emanzipationsgeschichte, indem sich Mira nämlich ein Beispiel an der mutigen, unbeirrbaren Nachbarin nimmt und zuletzt ihre Koffer packt und ausbricht aus dem goldenen Käfig. Bis dahin hatte sie zu der grotesken Ungerechtigkeit geschwiegen, fürs Fernsehen die Phrasen ihres Mannes mit telegenem Lächeln abgenickt und sich höchstens per Bildschirmtelefon bei ihrer Tochter ausgeweint (dort allerdings auch keine verständnisvolle Zuhörerin gefunden).
So ist dies also eine Geschichte von kleiner Ursache und großer Wirkung, von einer regelrechten Lawine, die sich in Gang setzt und das Leben einiger Menschen verändert. Vor allem aber ein Lehrstück über eine politische und auch menschliche Situation, die sich längst schon verselbständigt hat und die beide Seiten in völliger Unversöhnlichkeit zeigt. Die Mechanismen von Sicherheit, Angst und Macht greifen fast wie von selbst, die Beteiligten scheinen darin genauso gefangen wie die Außenstehenden, die unversehens selbst zu Opfern werden können. Die Rolle der Medien, die keine Chance ungenutzt lassen, im Dienste der Einschaltquoten und gewinnträchtigen Schlagzeilen Öl ins Feuer zu gießen, wird recht kritisch gesehen, andererseits mobilisieren sie aber auch eine Öffentlichkeit, die in manchem Fall auch helfen könnte. Und selbst für die Israelis kann man durchaus Verständnis aufbringen, denn die haben schon zu viele Attentate erlebt und erlitten und können selbst wohl kaum noch frei und unbefangen leben und denken. Der jahrzehntelange Krieg hat jede Möglichkeit auf ein normales nachbarschaftliches und vor allem vertrauensvolles Zusammenleben ein für allemal zunichte gemacht, und es werden sich immer wieder Lobbygruppen finden, die diese Situation für ihre Zwecke missbrauchen.
Eran Riklis hat daraus einen ganz ruhigen, meditativen, von Melancholie und Schmerz gezeichneten Film gemacht, dessen gelegentlich einfließender satirischer Humor relativ gedämpft wird von der Einsicht, dass die Dinge sich bei alledem doch nicht ändern werden. Die politische und menschliche Aussage ist eindrucksvoll klar und muss nicht durch Pathos oder Plattitüden an den Zuschauer herangetragen werden. Und totaler Pessimismus herrscht ja auch nicht: Immerhin hat Salma ihren Stolz verteidigt, sie hat es versucht, hat nicht nachgegeben, und immerhin hat Mira auf der anderen Seite des Zauns den Aufbruch zu mehr Selbstbestimmung geschafft, sodass zwei kleine Erfolge zu verzeichnen sind, auch wenn die allgemeine Lage natürlich so verfahren bleibt wie immer. Starke, intensive Bilder und großartige Darsteller tragen die Geschichte, vor allem das Gesicht von Hiam Abbas bleibt unvergesslich, und somit ist dies ein weiteres großes „kleines“ Werk aus diesem Teil der Welt, in dem „Normalität“ anders aussieht als anderswo. (15.10.)