Mein Freund aus Faro von Nana Neul. BRD, 2008. Anjorka Strechel, Lucie Hollmann, Manuel Cortez, Florian Panzner, Tilo Prückner

   Natürlich denkt man zwischendurch immer mal an „Boys don’t cry“ und ist am Ende froh, dass sich diesmal eine andere Lösung als die tödlicher Gewalt finden lässt – wir sind eben doch nicht in der US-amerikanischen Provinz sondern in der westfälischen, und das macht schon einen gewissen Unterschied, thanksbetogod.

   Melanie ist 22, arbeitet auf dem Flughafen Münster/Osnabrück und schafft es locker, sich innerhalb kürzester Zeit in ein ziemliches Schlamassel zu manövrieren. Als ein neuer Kollege aufkreuzt, Nuno aus Faro in Portugal, kommt sie auf die Idee, ihn ihrer Familie gegenüber als ihren Freund auszugeben, wofür sie ihn auch noch reichlich bezahlt. Nuno, keinem krummen Geschäft abgeneigt, spielt das Spiel amüsiert mit und hat keine Ahnung, welche Verwicklungen sich ergeben könnten. Viel schlimmer wird’s noch, als Mel nachts zwei Mädels aufgabelt, die in die Disko wollen und denen sie hilft, am Türsteher vorbei in den Laden reinzukommen, denn sie sind erst 14, auch wenn sie sich natürlich als 16 ausgeben. Eins der Girlies heißt Jenny, hält Mel für einen Jungen und findet sie attraktiv. Mel nennt sich Miguel, sagt, sie komme aus Faro in Portugal und verliebt sich ernsthaft in das Mädchen, das leider auch einen Freund hat, und zwar einen von der burschikosen Machosorte, mit dem Mel eine Menge Ärger bekommen wird. Früher oder später muss die Wahrheit raus, und die geschockte Jenny nimmt das noch am besten auf, leider aber nicht die anderen, und so gibt es eine Prügelei, eine Jagd im Maisfeld, und anschließend macht sich Mel auf, ihre Familie zu verlassen und mit Nuno nach Portugal zu fahren.

   Ein Provinzdrama, das sich was traut. Keine biedere, brave Fernsehspiel-Optik, statt dessen starke, intensive Bilder für starke, intensive Gefühle. Themen wie Sehnsucht, Verwirrung, Selbstfindung, Suche nach  sexueller Orientierung undsoweiter finden Eingang in eine Geschichte, die nicht vor schrägen Entwicklungen und Wendungen zurückschreckt, die aber dennoch nicht unglaubwürdig wirkt, sondern eine gewisse Folgerichtigkeit und innere Logik besitzt, einfach weil Milieu und Personen so glaubhaft und plastisch dargestellt werden. Die dezente Ödnis münsterländischer Ländlichkeit, in der es tatsächlich nichts anderes gibt als viel Bauernland und den relativ neuen Flughafen mit immerhin einigen Arbeitsplätzen, ist kein passender Ort für jemanden wie Mel, die Mädchen liebt und absolut nicht in die klassische Frauenrolle passt. Ihre Träumereien, ihre Spiele und Experimente entspringen nicht zuletzt der Leere um sie herum, in der es kaum Möglichkeiten gibt, sich auszuprobieren, Bekanntschaften zu machen, zu sehen, wo man steht und wohin man vielleicht will. Die Leute sind selbstverständlich bodenständig in jeder Beziehung, noch nicht mal die stereotypen bäuerlichen Monster, aber natürlich würde Mel hier auf keinerlei Toleranz oder Verständnis stoßen und hat entsprechend Mühe, ihre Homosexualität zu verbergen. Sie gibt sich tough und männlich und hat keine Probleme, Jenny gegenüber einen glaubwürdigen Jungen abzugeben, denn sie hat Körpersprache und Gehabe der Typen um sie herum lange und gründlich studiert. Ähnlich wie Teena/Brandon in „Boys don’t cry“ lebt sie ihre neue Rolle so intensiv, dass sie zwischenzeitlich keine Distanz mehr dazu hat, allerdings kriegt sie rechtzeitig die Kurve, auch weil sie Jennys Gefühle nicht benutzen und verletzen möchte. Der abschließende Showdown ist natürlich auf Effekt komponiert, doch passt er durchaus in die Geschichte, denn es war abzusehen, dass Jennys Freund und seine Jungs sich den komischen Knaben Miguel früher oder später vornehmen würden, nur endet so was im Landkreis Steinfurt selten in Blut und Tod, siehe oben.

 

   Ein vor allem von der Hauptdarstellerin sehr stark gespielter und originell inszenierter Film, einerseits reizvoll nah dran, weil er fast in der Nachbarschaft spielt (was ja leider ziemlich selten vorkommt), andererseits aber auch für mich recht weit weg, weil hier Gefühlsverwirrungen verhandelt werden, mit denen ich als ostwestfälischer Holzklotz natürlich nicht vertraut bin. Nicht jeden dieser „kleinen“ deutschen Filme hätte ich im Kino sehen müssen, weil viele das von der Optik nicht hergeben. Dieser tut es und deshalb hat sich der Besuch absolut gelohnt. (3.11.)