Aanrijding in Moscou (Neulich in Belgien) von Christophe van Rompaey. Belgien, 2008. Barbara Sarafian, Jürgen Delmaet, Johan Heldenbergh, Anemone Valcke

   Für mich ist Belgien immer das Land, durch das man durch muss um in schönere Länder zu kommen, das Land der beleuchteten Autobahnen, eigentlich eine einzige Autobahn. Man hört zwar Legenden von großartigen Kulturstädten, aber ich habe bislang nur Brüssel gesehen (fand ich nicht sooo toll) und sonst – Autobahnen! Außerdem gibt’s da Pommes und Stella Artois und wenig Landschaft und Jacques Brel, der seine herb-melancholischen Oden auf das flache flämische Land singt. („Avec la mer du nord...“ hört man auch hier in diesem Film)

   Die Filme, die ich mit Belgien assoziiere, sind zumeist auch irgendwie öd oder vielleicht garstig und sperrig, und dies hier ist der erste, der ein anderes Gesicht zeigt, auch wenn hier alles andere als eine Hochglanzkulisse präsentiert wird: Matty lebt in einem Vorort von Gent und wird aktuell vom Schicksal ordentlich durchgeschüttelt. Ihr Mann nimmt sich seine Midlife Crisis und lebt mit einer jungen Frau zusammen – auf Probe natürlich nur und mit der Option, jederzeit heim ins Reich kommen zu dürfen. Die älteste Tochter pubertiert und outet sich als Lesbe, die jüngere Tochter denkt, sie pubertiert und die Pubertät des Sohnes ist eigentlich seit langem überfällig. Matty selbst ist einundvierzig, arbeitet am Postschalter und ist also rundherum so richtig glücklich. Eines Tages rammt sie auf einem Parkplatz einen Lastwagen und schafft es nach Frauenart, die Schuld total auf den Fahrer zu schieben, mit dem sie sich außerdem ein hitziges Wortgefecht liefert. Komischerweise macht ihr der Kerl, der Johnny heißt auch noch zwölf Jahre jünger ist, beharrlich Avancen und nach langem Hin und Her sich zieren und wehren landen die beiden tatsächlich in der Koje, sehr zum Missfallen der großen Tochter und des Gatten, der sogleich ein paar üble Details aus Johnnys Biographie hervorkramt, um Matty abzuschrecken und sie weiterhin als Notnagel in der Hinterhand zu haben. Als sich Johnny, der eine Vergangenheit als Alkoholiker und jähzorniger Schläger hat, dann auf offener Straße zu einer neuerlichen Szene hinreißen lässt, scheint für Matty die Sache gelaufen zu sein, doch wie wir mit Recht erhoffen durften, siegen die Liebe und der Mut, den alten Blödmann in die Wüste zu schicken und doch was Neues zu wagen.

 

   Es gibt verbrannte fettige Blutwurst, fettiges Kartoffelpüree, natürlich fettige Pommes und Senf aus pupsenden Flaschen, und auch sonst ist das Setting alles andere als romantisch. Wir finden hier alltägliche Leute mit ihren alltäglichen Problemen und Beschäftigungen zwischen Zuhause und Arbeitsplatz, darin sind uns die Leute hier nahe und schon deswegen ist dies alles andere als ein flaches, niedliches Hollywoodmärchen. Matty vollführt den ewig vergeblichen Mamaspagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit und ist mit Anfang vierzig von den Anstrengungen so ausgebrannt, dass sie kaum noch positiver Gefühle fähig scheint und auf jeden Fall Angst hat, sich spontan auf Menschen einzulassen und Entscheidungen zu treffen, die vielleicht Veränderungen herbeiführen könnten. Dabei verbirgt sich unter der ruppigen, miesepetrigen Fassade eine starke Frau, die nur von all den Jahren zwischen Hausfrau, Mutter und Ehefrau verschüttet worden ist. Johnny, impulsiv, direkt, kein feingeistiger Intellektueller wie ihr Mann und auch bestimmt kein Engel, scheint zunächst auf einem ganz anderen Planeten zu leben und keine Chance zu haben, zu der blockierten und zickigen Dame durchzudringen, die zudem von Männern, ihrer Selbstsucht und Feigheit, aktuell ziemlich die Nase voll hat. Das Vergnügen hier besteht natürlich nicht in der Erwartung des Ausgangs, denn da kann man sich ziemlich sicher sein, das Vergnügen besteht wie häufig im Weg dorthin, das sich Zusammenraufen, das Kämpfen und Kabbeln, und dieser Weg ist schön holprig, reich an Rückschlägen, Missverständnissen und endlosen Scharmützeln zwischen den Beteiligten. Die sind richtig schön kernig und witzig, vor allem zwischen Matty und Johnny kracht’s gehörig, und immer wieder findet sich jemand, um von der Seite noch mehr Öl ins Feuer zu schütten. Das Timing der Gags ist perfekt, es gibt zahlreiche sehr lustige Momente, dargeboten von ebenfalls perfekt ausgesuchten Darstellern. Vor allem Barbara Sarafian gibt als Matty eine tolle Vorstellung und zeigt diese Frau mit all ihren Facetten, mal ängstlich, müde und genervt, aber auch stark, kokett und selbstbewusst. Sehr schöne und auch nicht zu seichte Unterhaltung jedenfalls, wie ich sie aus Belgien bislang noch nicht kannte. Und solange ich da nicht essen muss.. (19.10.)