Non pensarci (Nicht dran denken) von Gianni Zanasi. Italien, 2007. Valerio Mastandrea, Anita Caprioli, Giuseppe Battiston, Teco Celio, Gisella Burinato, Chiara Bucchi, Riccardo Bucchi, Paola Bechis, Valentina Fois
Die einzig wahre Hölle, das lesen wir in der Bibel, wir schlagen es nach bei Shakespeare und wir sehen es bei Ingmar Bergman, das ist die Familie. Es ist dies ein seit Menschengedenken bekanntes Faktum, und es hätte dementsprechend dieses Films nicht bedurft, um uns von neuem daran zu erinnern, andererseits aber kann uns auch ein so bekanntes Faktum mitunter großes Vergnügen bereiten, zumal wenn es von solchen Turbulenzen wie in dieser Geschichte begleitet wird, und wer auf diesem Erdball könnte sich dieser Turbulenzen mit mehr Expertise widmen als unsere Freunde die Italiener? Die Familie wurde bestimmt von Italienern überhaupt erst erfunden, allein schon damit sie einen handfesten Grund für ihre Temperamentsausbrüche haben, und gottlob haben die Italiener dazu noch den Humor, das Herz und die Liebe erfunden, damit sich der ganze Krawall auch lohnt, und all dies steckt drin in einem Film wie dem hier, der ganz typisch italienische Motive, mit denen uns die Kerle schon in den Fünfzigern nervten, nimmt und sie in unsere heutige Zeit transportiert, was für mich der beste Grund ist, ihn zu mögen, denn diese ganzen volkstümlichen Komödien von anno dazumal finde ich schlicht grausam.
Wenn dein Leadsänger beim Stage Diving auf die Fresse knallt (weil nämlich die Italiener das Stage Diving leider nicht erfunden haben!) und du am gleichen Abend noch deine Freundin mit einem Musiker aus einer konkurrierenden Band erwischst, dann wird es Zeit, das Feld zu räumen und zurück in den Schoss der Familie zu kehren. Was aber, wenn Mama und Papa und Bruder und Schwester mindestens genau so große Probleme haben wie du und du ihnen nicht mal richtig helfen kannst, weil du erstens alles anderes als ein cooler Held mit dem großen Überblick bist und du zweitens einsehen mußt, dass ein jeder sein eigenen Leben zu managen hat, inklusive all der Fehler und Pannen, die eben auch passieren. Da kann es nur heißen, zurück nach Rom, zurück auf die Bühne und den nächsten Versuch unternehmen, vielleicht doch mal vom Publikum aufgefangen zu werden.
So ergeht es Stefano in dieser Geschichte, und Autor/Regisseur Gianni Zanesi hat seine Wiedervereinigung mit der lieben Familie in jedem skurrilen, schrägen Detail festgehalten und sich dann daran gemacht, zu unserem größten Vergnügen in kurzer Zeit die Illusion einer intakten Welt so gründlich zu demontieren, dass am Schluss kein Stein auf dem anderen steht, was aber wiederum den großen Vorteil in sich birgt, dass niemand mehr etwas zu verlieren hat und alle Beteiligten wieder bei Null starten können. Stefano schwankt genau wie wir zwischen totaler Entgeisterung, Entsetzen, Entnervtsein, dem wilden Vorsatz, hier und jetzt alles zu kitten, was sich kitten lässt, und in seinem Eifer schießt er oft genug weit am Ziel vorbei, outet die Schwester als vermeintliche Lesbe, will den maroden Familienbetrieb retten, will seinen Nichten und Neffen ein cooler Onkel sein und so weiter. Alles wie im richtigen Leben also, alles auch mal ein wenig überzeichnet und schön pointiert, mal wunderbar witzig und italienisch überdreht, mal durchaus auch ernst und mit etwas mehr Tiefgang. Die Schauspieler sind großartig, die Frauen sehen toll aus, die Regie geht mit viel Herzblut zur Sache, und insgesamt ist der Malstrom der Ereignisse so zwingend, unaufhaltsam und folgerichtig in jeder bitteren Entwicklung, dass man mit vergnügt kicherndem Frösteln zusieht in der heimlichen Hoffnung, selbst von solchen und ähnlichen Heimsuchungen doch bitter verschont zu bleiben. Das genau macht den großen Reiz solcher Filme aus, jedenfalls was mich betrifft: Ich sehe mit wohligem Schaudern zu, lache viel, jedoch ohne jede Schadenfreude, denn zu gut weiß ich, wie schmal der Grat der Sicherheit ist, auf dem ein Jeder jeden Tag balanciert und wie schnell man bei der geringsten Erschütterung zur einen oder anderen Seite herunterkippen kann. Genau wie die Familie hier im Film müht man sich nach Kräften, das Schlimmste zu verhüten, und wenn’s gelingt, dann ist es wohl getan, und wenn nicht, na ja, dann sind wir halt alle auch nur Menschen (oder so). (3.9.)