Paranoid Park (#) von Gus van Sant. USA/Frankreich, 2007. Gabe Nevins, Jake Miller, Taylor Momsen, Daniel Liu, Scott Patrick Green, Lauren McKinney
Gus van Sant bleibt ein schwer greifbarer und daher allein schon gänzlich untypischer US-Filmemacher. Nach seinen ersten Filmen wie „Drugstore Cowboy“ und „My own private Idaho“ vor ungefähr zwanzig Jahren wollte man ihn voreilig in die Independentecke stellen, woraus er sich dann mit mehr oder weniger angepassten und missglückten Werken wie „To die for“, „Good Will Hunting“ oder „Psycho“ befreite, um andererseits durch schrillen, schrägen Murks wie „Even Cowgirls...“ aufzufallen und letztlich durch karge, fast experimentell wirkende Sachen wie „Elephant“ oder den ebenfalls ziemlich verkorksten „Gerry“ zu irritieren. Bei den Kritikern und auf Festivals kommt so was häufig gut an, in die hiesigen Lichtspielhäuser, erst recht die in der Provinz, schafft man es damit allerdings nicht mehr, und so wurde aus Gus van Sant dem namhaften Arthousekunden Gus van Sant der Unbekannte, und dabei ist es bis heute geblieben, egal ob’s mal wieder in Cannes wo der sonstwo Preise gibt. Und so verdanke ich dies Wiedersehen nach zehn Jahren Kinoabstinenz einem Kinder- und Jugendfilmfest in unserer kleinen Stadt – man muss halt mitnehmen, was sich bietet!
Thematisch und auch künstlerisch knüpft der Film irgendwo an „Elephant“ an – eine Studie der Jugendszene, diesmal konzentriert auf einen sechzehnjährigen Jungen, Alex, der in Portland lebt und in jeder Hinsicht ein typischer Teenie ist: Die Eltern auf dem Weg zur Scheidung, die Schule so lala, die Freundin (noch Jungfrau) gibt sich fordernd, und eigentlich geht der introvertierte, muffelige, maulfaule Typ nur dann so richtig aus sich raus, wenn er auf dem Skateboard steht. Gerade wurde eine neue Strecke für Kids aufgemacht, der sogenannte „Paranoid Park“, und dort schließt Alex eines Tages eine folgenreiche Bekanntschaft, die in einem bösen Unfall und mit einem Todesopfer endet. Daneben gibt’s den ersten Sex, dann die Trennung von der Freundin, den Kampf gegen die Schuldgefühle und den Versuch, damit irgendwie fertig zu werden. Eine Freundin rät ihm, einen Brief zu schreiben, und genau das tut er, um ihn dann abschließend zu verbrennen.
Ein Film in sperrigen, unchronologisch angeordneten Szenen mit wenig Worten und einer Ästhetik, die auf moderne Sehgewohnheiten abgestimmt ist. Brillante Kameraarbeit, sehr abwechslungsreiche Musik, sehr authentische Milieus und Darsteller machen ihn zu einem eindrucksvollen und starken Stück modernen US-Kinos. Die Frage für den Konsumenten ist allein, wie er mit van Sants Haltung klarkommt, denn die besteht wie schon bei „Elephant“ darin, dass es eigentlich keine klare Haltung ist. Er entzieht sich einerseits vereinfachenden Erklärungsmustern und billigen Identifikationsangeboten, bleibt andererseits aber auch so auf Distanz, dass man schon versucht ist, die Kids hier als hohle, gefühllose Zombies abzuqualifizieren. Alex’ „Gespräche“ mit seiner Mutter, seinem Bruder, seinem Kumpel oder seiner Freundin, seine Gleichgültigkeit der Politik gegenüber (immerhin ist der Irakkrieg in vollem Gange) und sein allgemein äußerst wortkarges Wesen machen es schwer, einen Zugang zu ihm zu finden. Zwar sehen wir schon, dass der furchtbare Unfalltod des Wachmanns ihn trifft und dass er sich schuldig zu fühlen scheint, doch bleibt er dem Polizeibeamten gegenüber fast unnatürlich cool und kontrolliert, so als ginge ihn nichts wirklich etwas an. Ähnlich unbeteiligt absolviert er den ersten „Sex“ mit Jennifer, ähnlich stoisch erträgt er ihr Gezicke und ähnlich gleichmütig trennt er sich von ihr. Er versucht, einen Kontakt zu seinem Innenleben herzustellen, schreibt den Brief an die Freundin, doch bleibt offen, ob er daraus tatsächlich etwas lernen kann oder ob auch diese Aktion weitgehend folgenlos bleibt. Wie seine Freunde treibt er einfach weiter ziellos durch die Zeit, zumindest habe ich das so empfunden, aber ich bin auch schon ein gutes Stück von dieser Generation entfernt, und vielleicht würden Gleichaltrige Alex’ Verhalten ganz anders beurteilen.
So besteht also immer die Gefahr, dass sich die Apathie und Lethargie der Hauptpersonen auf den Film im ganzen übertragen, doch zeigt van Sant als Autor soviel Offenheit und Interesse, dass dies nicht geschieht. Ob er selbst die Kids versteht, von denen er da erzählt, ist mir nicht ganz klar geworden, doch der Film an sich ist wie schon „Elephant“ eine Geste, und in der Tatsache, dass er keine Position bezieht, liegt vielleicht auch nur die Unsicherheit des Außenstehenden, der sich kein vorschnelles Urteil anmaßen will. Keine leichte Kost natürlich, aber ich finde es sehr gut und richtig, dass er offenbar den Weg zurück vom Mainstream zu interessanteren und vor allem relevanteren Themen gefunden hat. (12.10.)