Le scaphandre et le papillon (Schmetterling und Taucherglocke) von Julian Schnabel. Frankreich/USA, 2007. Mathieu Almaric, Anne Consigny, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Olatz Lopez Garmenida, Marina Hands, Max von Sydow, Patrick Chesnais, Isaach de Bankolé, Niels Arestrup, Jean-Pierre Cassell

   Ein Mann sozusagen mitten im Leben, Familienvater, Chefredakteur einer prominenten Life-Style-Gazette undsoweiter, erleidet einen schweren Schlaganfall, überlebt zwar, doch bleibt gefangen im sogenannten Locked-in-Syndrom, das heißt, er kann hören und denken, kann aber nicht sprechen und sich nicht oder kaum bewegen. In einer Klinik am Meer bemühen sich Therapeutinnen, Freunde und Familie intensiv um ihn, stellen eine Kommunikationsmethode her, die ihm zumindest einen gewissen Kontakt zur Umwelt erlaubt und es ihm vor allem ermöglicht, einer Freundin sein Buch zu diktieren, das er lange geplant hatte, und es gelingt sogar, das Buch noch vor dem Tod Jean-Dominique Baubys zu veröffentlichen.

   Selbst wenn gerade erst ein Quartal des Kinojahres vorüber ist, lege ich mich mal fest und behaupte, dass ich in dieser Saison schwerlich einen Film zu sehen kriegen werde, der mich noch stärker und tiefer berührt als dieser. Für knappe zwei Stunden bin ich so vollständig in der faszinierenden Bilder- und Gefühlswelt versunken (auch als Zuschauer braucht man dafür eine Taucherglocke!), wie es nur ganz selten mal vorkommt, und unübertrieben ist dies in der Tat ein außerordentliches Kinoerlebnis. Zwischen Schmerz und Hoffnung, Ohnmacht und Aufbegehren, Liebe und Einsamkeit schwingt das Pendel hin und her, und wie durch ein Wunder findet Julian Schnabel für jeden dieser Zustände großartige, maximal intensive Bilder und vermeidet doch jeden flachen, billigen Effekt, jede Zurschaustellung oberflächlich kinowirksamer Emotion, erreicht eine vollendete Balance aus bestürzender Tragik, warmer Menschlichkeit und sehr privater Intimität.

   Die ersten Minuten sind ein Alptraum: Radikal subjektive, wackelige, unscharfe Bilder mit stark eingeengtem Gesichtsfeld, eine einzige Überrumpelung und Überforderung der Sinne, und aus der Sicht des Sprach- und Wehrlosen erleben wir das Aufwachen im Krankenzimmer, die ersten Kontakte zu Pflegerinnen und Ärzten, die schreckliche Einsicht, dass Bauby selbst zwar seine Stimme hören kann, aber außer ihm niemand sonst. Schritt für Schritt wird ihm sein Zustand bewusst, die Diagnose des Arztes in den typisch herzlosen professionellen Floskeln, das unverbindliche Geschwätz des Neurologen, der selbstgefällig und plump im Sarkozy-Stil auftritt, die Reaktion der ersten Besucher, die um ihre Fassung ringen müssen, und schließlich muss er sich mit seiner Rolle auch als Opfer abfinden: Trotz verzweifelter oder wütender innerer Proteste wird sein rechtes Auge zugenäht, um Infektionen zu vermeiden, oder wird der Fernseher abends abgeschaltet, wann der Pfleger es will, egal ob gerade Fußball gezeigt wird, und ganz allgemein ist Bauby einfach nicht mehr Herr seines Lebens und seiner Entscheidungen. Aber es gibt auch Schönes, Hoffnungsvolles: Zwei hinreißende Frauen betreuen ihn mit Physiotherapie und Logopädie, mittels Augenblinzeln wird eine aufwendige und Geduld fordernde, aber letztlich erfolgreiche Verständigungsform gefunden, und seine Verlegerin schickt eine nicht minder bezaubernde Frau, die sich ganz der zeitraubende Aufgabe widmet, sich von Bauby das Buch diktieren zu lassen. Wir möchten ihm durchaus zustimmen – so könnte das Paradies aussehen, wenn die Umstände nicht so wären wie sie sind. Dann kommt seine Ex, kommen die drei Kinder zu Besuch (ein echt erschütternder Moment!), kommen besonders die Erinnerungen an Berufliches und Privates, an die neue Geliebte, an das Leben als getrennter Ehemann und Vater, an das aufreibende, hektische Treiben im eitlen Jetsetmilieu, an Begegnungen mit dem eigenen, alten Vater (wunderbar, den großen Max von Sydow endlich mal wieder auf der Leinwand zu sehen), an alles, was zugleich schön und schmerzhaft ist. Mit zunehmender Dauer öffnet sich die Perspektive etwas, die Kamera verlässt den radikal subjektiven Standpunkt und wir sehen den gelähmten, verzerrten Bauby mal von außen, wenn auch selten. Dominant bleiben weiterhin seine Wahrnehmung und Gefühlszustände, wir erleben ihn manchmal verzweifelt weinend, dann wieder humorvoll ironisch und vor allem entschlossen, seine Erinnerungen noch fertig zu diktieren. Er selbst wird nicht mal als der große Kämpfer dargestellt, die Menschen in seiner Umgebung bemühen sich mindestens genauso aufopferungsvoll um ihn, und so wird der Film besonders zur Hommage an sie, die sich immer wieder zurücknehmen müssen, unendlich viel Zeit und Geduld aufwenden und vor allem an den Sinn ihrer Unternehmung glauben, denn sonst ließe sich so etwas nicht durchführen.

 

   Künstlerisch ist Schnabels Film großartig gelungen. Die starken, mutigen, ungewöhnlichen Bilder, ein toller Soundtrack und ebenso tolle Schauspieler, die die im Zentrum der Geschichte stehende Humanität buchstäblich verkörpern und ihr ein Gesicht geben. Es ist gar nicht so leicht, diesen Film zu beschreiben, vor allem auch in seiner Wirkung. Ich habe ihn als sehr stark und eindrucksvoll erlebt, wohl auch, weil er wirklich tief liegende Themen berührt, aber das gilt für mich, und andere mögen das ganz anders sehen. Ich weiß nur, dass ich Filme wie den hier nicht allzu häufig zu Gesicht bekomme und er mich daran erinnert, was Kino ausdrücken kann, wenn es in seinen Möglichkeiten nur ausgeschöpft wird. (28.3.)