Before the devil knows you’re dead (Tödliche Entscheidung) von Sidney Lumet. USA, 2007. Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei, Rosemary Harris, Amy Ryan, Aleksa Palladino, Michael Shannon
Andy und Hank sind Brüder und Verlierer. Beide haben bei ihren Frauen verschissen, sind auch sonst ziemlich einsam, und während Hank kurz davor steht, ein verarmter Totalloser zu werden, wahrt Andy mit Schlips und Anzug und einem Bürojob wenigstens den Schein, doch unter der Funktionsfassade klaffen umso dunklere Abgründe. Beide stecken in Schwierigkeiten, beide brauchen dringend Geld, der eine, um wenigstens den Respekt seiner Tochter nicht ganz zu verlieren, der andere, um seine Frau vielleicht doch noch bei der Stange halten zu können (seine Frau, die längst schon mit dem Bruder vögelt...). Andy hat einen perfiden Plan, manövriert Hank unerbittlich dahin, mitzumachen und glaubt nun, die Drecksarbeit dem jüngeren Bruder überlassen und einfach in seinem Büro auf die gute Nachricht warten zu können. Doch der Überfall auf das Juweliergeschäft der eigenen Eltern endet in einer tödlichen Schießerei und jetzt geht der Ärger erst richtig los, denn erstens drängen sich lästige Zeugen mit Geldforderungen ins Spiel und zweitens geht Paps auf dem Kriegspfad und ruht nicht eher, bis er den Mann, der für den Tod seiner Frau verantwortlich ist, gestellt hat, und auch als er erkennt, dass es sich um den eigenen Sohn handelt, weicht er nicht von seinem Entschluss ab...
Eine Familientragödie im ursprünglichsten Sinn des Wortes, zeitlos und zugleich modern, mit viel Bewusstsein für klassische Handlungselemente und Charakterstereotypen und dennoch ganz straight und ohne Schnörkel erzählt von einem Veteranen, der auch mit Anfang achtzig noch den vielen jungen Kollegen vormacht, wie man ohne Gewalt- und Effektorgien eine Geschichte spannend und dicht erzählt – man muss das eben können, und Lumet hat in sehr vielen Filmen bewiesen, dass er das wirklich kann (was jetzt nicht heißen soll, dass er nicht auch ein paar echte Gurken verbrochen hat...). Er ist ein Vertreter des alten Studiosystems, uneitel, ohne aufgeblasenes Ego und stets dem Projekt und der Story verpflichtet, ein Profi, ein Handwerker der alten Schule, das heißt von liebenswürdig altmodischer Gradlinigkeit und wohltuender Reife und Gelassenheit. Dem entgegen steht diesmal ein Drehbuch, das gern vielleicht auf seine clevere, puzzleartige und antichronologische Konstruktion hinweist, das heißt Ereignisse aus mehreren Perspektiven zeigt, zeitlich dauernd hin- und herspringt und erst allmählich ein halbwegs nachvollziehbares Bild der Ereignisse im Gesamtbild erlauben. Diese etwas übermäßig künstlich angelegte Erzählweise steht für gewöhnlich der Spannung im Weg, doch hat es Lumet geschafft, jeder Szene ihre Essenz abzuringen, und trotz recht ausufernder knapp zwei Stunden stets beim Wesentlichen zu bleiben, ganz abgesehen davon, dass er auf unnötigen Zierrat von vornherein ganz verzichtet. Im Gegenteil – mit beachtlicher Kunstfertigkeit entwickelt er einen Malstrom, der Hank und Andy alsbald mit sich fortreißt, und zwar so gründlich, dass man zwischendurch fast geneigt ist, bei allem Abscheu über ihren Plan doch so etwas wie Mitleid zu empfinden, denn die endlose Serie von Demütigungen, Niederlagen und neuen Bedrohungen kann uns auch nicht kalt lassen. Als dann vermehrt Papa Charley auftaucht, beginnen wir zu verstehen, weshalb ein solcher Überfall überhaupt erdacht werden konnte, denn obgleich Charleys im ganzen nicht einmal unsympathisch ist, erweist er sich doch als ein ziemlich kalter Vater, der den Älteren für einen Arsch und den Jüngeren für ein Weichei hält und aus seinen Gefühlen auch keinen Hehl macht. Seine späte Einsicht und der ungelenke Versuch, sich bei Andy zu entschuldigen, verschlimmert dessen Not nur noch, denn nun gerät just das Weltbild ins Wanken, auf dem der gesamte Plan basiert und wirft den erwachsenen Mann zurück in die Zeit seiner Kindheit und Jugend, und das ist bestimmt keine Zeit, in die er gern noch einmal reisen möchte.
Das schwierige, tragische Geflecht zwischen den vier Hauptpersonen wird sicherlich nicht mit letzter Ausgewogenheit in jedem Detail behandelt, doch gibt sich die Dramaturgieabteilung alle Mühe, und dann sind da ja noch die Schauspieler, die ihre ganze Klasse in die Waagschale werfen, die ihren Charakteren die größtmögliche Intensität und Präsenz verleihen und damit über manche Lücke oder offen bleibende Frage ziemlich souverän hinwegspielen. Carter Burwell, dessen Name ich mir langsam einzuprägen beginne, steuert einmal mehr einen vorzüglichen, zugleich dezenten und doch sehr aktiven und konstruktiven Soundtrack bei, und der Regisseur Lumet hält alles locker und cool auf Kurs, so wie er das seit fünfzig Jahren mit mehr und manchmal auch weniger Erfolg getan hat. Schön, dass auch die alten Säcke ab und zu noch mal zu Wort kommen! (22.4.)