Giorni e nuvole (Tage und Wolken) von Silvio Soldini. Italien/Schweiz, 2007. Margherita Buy, Antonio Albanese, Giuseppe Battiston, Alba Rohrwacher, Carla Signoris, Fabio Troiano, Arnaldo Ninchi, Paolo Sassanelli, Antonio Francini
Schon früh während des Hinschauens war es mir mal wieder klar: Das ist meine Art von Kino, dafür gehe ich hin, sowas möchte ich sehen, und obwohl ich einen gepflegten Unterhaltungsfilm jederzeit auch sehr genieße, sind mir doch diese Alltagsgeschichten ungleich näher. Mein Credo, wenn man so will, und ich bete es runter, wann immer sich die Gelegenheit ergibt, bei den klassischen Brits selbstredend, bei den guten neuen Deutschen auch, und eben bei einem Film wie diesem aus einem Land, dessen Kultur und Temperament nicht unbedingt für diese Art von Film prädestiniert sind, obwohl es ja einst eine große Tradition gab.
Solche Filme brauchen eine einfache Geschichte, und dies ist eine: Michele verliert seinen Job, sagt seiner Frau Elsa aber erst zwei Monate später die Wahrheit, um ihre Uniprüfung nicht zu gefährden. Der Schock ist groß, die Folgen sind gravierend, der Absturz vollzieht sich unaufhörlich: Bescheidenere Wohnung, bescheidenerer Lebensstil, sie geht wieder arbeiten, er suhlt sich in Bitterkeit, der Ton zwischen den beiden verschärft sich, sie geht fremd, er wird aggressiv, man trennt sich sogar räumlich, er zieht kurzzeitig zur Tochter, und gerade als der totale Kollaps nicht mehr vermeidbar scheint, treffen sich die beiden unter einem frisch freigelegten uralten Fries und nehmen sich vor, ihre Kräfte neu zu sammeln und von vorn zu beginnen.
Genua ist kein typisch italienisch pittoresker Schauplatz für solch ein Ehedrama, dafür aber ein sehr vielseitiger und einer, der das ganze notwendige soziale Spektrum abdeckt. Wir werden eingeführt in das gutbürgerliche, wohlhabende, sorglose und vor allem statusbewusste Leben des Ehepaares. Beide haben sich darin eingerichtet, ohne je über mögliche Verluste nachzudenken, weshalb sie Micheles Entlassung und die Konsequenzen mit voller Wucht treffen. Die Gesetze des neuen, freien Kapitalismus schlagen zu, Micheles Idealismus und seine Eigensinnigkeit sind nicht kompatibel mit dem rigorosen Sanierungsprogramm, das die Firma vor der Insolvenz retten soll und so wird er vom alten Kompagnon und dem neu eingestellten Marktexperten wegrationalisiert. Das feine Boot muss verkauft werden, Papas Einzelzimmer im teuren Heim wird unbezahlbar, der gewohnte Lebensstil mit Essen in teuren Restaurants undsoweiter ist eigentlich nicht mehr möglich. Doch während Elsa schnell bereit ist, sich darauf einzustellen, auch wenn es ihr schwer fällt, reagiert Michele lethargisch, schwerfällig, verdrängt nach Männerart, will die ganze Tragweite der Situation nicht an sich heranlassen, flüchtet sich in Phrasen wie „Das wird schon wieder.“ Sie setzt sich emotional mit dem veränderten Leben auseinander, auch wenn sie sich nicht gleich ihren Freundinnen anvertrauen kann, doch viel früher als er schluckt sie ihren Stolz hinunter, nimmt Jobs im Callcenter oder als Sekretärin an und geht spät abends sogar noch ihrer Tätigkeit als Restauratorin in einer Kirche nach. Diese Entschlossenheit und Stärke lähmt Michele noch mehr. Paralysiert von männlichem Selbstmitleid verkriecht er sich zuhause, startet lediglich einen missglückten Versuch, als Renovierer tätig zu werden, legt sich mit den alten Kollegen an und macht jede Chance zunichte, vielleicht doch wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen. Elsa ist zunehmend enttäuscht und abgestoßen von seiner Destruktivität und seiner Unfähigkeit, irgendetwas Sinnvolles zu unternehmen, oder sich wenigstens darum zu bemühen. Als Mann und rollenbewusster Ernährer von Frau und Familie scheint er den sozialen Abstieg, den Verlust seiner beruflichen Position als ungleich demütigender zu empfinden. Er schämt sich ihr gegenüber besonders, verliert sein Selbstwertgefühl in dem Maße, in dem sie bereit ist, zu kämpfen und nach neuen Wegen zu suchen. Soldini legt den Fokus dabei nicht so sehr auf das ökonomische als vielmehr auf das private Drama, das sich dort zwischen den Eheleuten anbahnt und dessen fatale Dynamik scheinbar nicht aufzuhalten ist. Elsa verhält sich bei allem extrem besonnen, verliert kaum einmal die Fassung, lässt sich nur einmal gehen, als sie mit einem Kollegen im Büro schläft und konzentriert sich ansonsten darauf, das Leben neu zu ordnen und zu stabilisieren, während er zurück in kindliche Verhaltensmuster verfällt, trotzig, mit grotesken Ausbrüchen und chaotischen Aktionen und alles in allem völlig unfähig, Verantwortung zu übernehmen. Dieses Drama wirkt auf mich um so stärker, da es diesmal keine große italienische Oper gibt, sondern eher verhaltene, unterdrückte Emotionen, die für vielmehr Spannung sorgen. Soldini bleibt seinen beiden Hauptfiguren zwei Stunden lang so nahe, dass es unmöglich ist, sich als Zuschauer zu distanzieren, wir müssen auf ihre Perspektive, ihre Situation ganz eingehen, die Identifikation wird praktisch erzwungen, aber das ist kein Problem, wenn man zwei so großartige Schauspieler hat und wenn diese beiden Rollen so großartig geschrieben sind. Im Kontakt mit der Tochter, mit Freunden und Kollegen versuchen die beiden abwechselnd, die alte Fassade zu erhalten und dann, als sie das nicht mehr durchhalten können, dennoch ihren Stolz nicht ganz zu verlieren. Was den Film neben den Darstellern auszeichnet, ist seine große Intensität und Einfühlsamkeit, ohne dass künstlich große Gefühle erweckt werden müssten. Gerade die Zurückhaltung, der fast durchgehend dezente Ton haben auf mich einen bestechenden, großen Eindruck gemacht, nicht nur weil das untypisch ist für die Italiener, sondern weil es dieser alltäglichen Geschichte soviel Eindringlichkeit und Würde verleiht.
Ein ganz ganz toller Film also, einer der besten des Jahres bislang und mal wieder richtig exquisite Kost aus Italien. (27.10.)