Talk to me (#) von Kasi Lemmons. USA, 2007. Don Cheadle, Chiwetel Ejiofor, Taraji P. Henson, Cedric the Entertainer, Mike Epps, Martin Sheen, Vondie Curtis Hall, Richard Chevolleau
Talk to me – rede mit mir, war der Leitspruch von Petey Greene, mit dem er in seiner Radiosendung Kontakt zu Anrufern aufnahm. Ralph Waldo Greene war bis zu seinem Tod 1984 ein berühmter schwarzer TV- und Radiomann und Komiker, nur ich als dummes deutsches Weißbrot hatte seinen Namen nie gehört – talk about cultural boundaries, right? Dies ist ein Film über ihn, und vor fünfzehn, zwanzig Jahren wäre er wahrscheinlich von Mr. Spike Lee gedreht worden, was ich mir auch sehr gut hätte vorstellen können, nur hat der Spike heutzutage (leider...) andere Themen, und das ist weiter kein Problem, denn Kasi Lemmons als Regisseurin macht ihren Job genau so gut.
Dies ist auch ein Film über Dewey Hughes, der Greene im Knast kennen lernt und ihn später bei seinem Sender WOL in Washington D.C. einschleust, zunächst sogar gegen seine eigene und auf jeden Fall die Überzeugung seines Chefs, doch als Greene wie eine Bombe einschlägt, beruhigen sich die aufgebrachten Herren in der Chefetage und Greenes Aufstieg zur populärsten schwarzen Radiostimme Amerikas geht los. Greene ist ein frisch entlassener Knacki und Ex-Junkie mit einem Alkoholproblem, einem extrem lockeren Mundwerk und dem festen Vorsatz, immer jedem die Wahrheit einzuschenken, koste es was es wolle. Er möbelt das vermuffte Image von WOL auf, verschafft der Station neue street credibility, dockt sie wieder eng an das öffentliche schwarze Leben an und wird eine Art Sprachrohr des hart erkämpften schwarzen Bewusstseins. Seine Freundin Vernell hat alle Hände voll zu tun, ihn halbwegs in der Spur zu halten, auch was seine sexuellen Eskapaden angeht, doch sie bleibt dran und fungiert oft genug als Komplizin für Hughes. Der, obgleich auch in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, bewegt sich nun am anderen Ende der sozialen Skala, ein äußerlich angepasster, zurückhaltender Schwarzer mit festem Blick auf die Karriere und darauf, was er dafür tun und lassen muss. Für ihn ist es nicht anstößig, sich bei den weißen Bossen anzubiedern oder sich jedenfalls ihnen gegenüber zurückzunehmen, stattdessen verfolgt er sein Ziel, Petey zum Star zu machen, unbeirrbar und konsequent und achtet auch nicht darauf, dass Petey selbst gar nicht so hoch hinaus will und lieber ein Radiomoderator bleiben möchte, was dann in New York bei der Johnny-Carson-Show zum Eklat und zum Bruch der beiden führt. Erst spät im Leben treffen sie sich wieder und bleiben bis zu Greenes Tod enge Freunde.
Dies ist auch ein Film über Politik, vornehmlich natürlich Rassenpolitik. Als Greene 1967 oder so bei WOL einsteigt, tut sich bereits eine ganze Menge im Land (Vietnam, Bürgerrechtsbewegung etc.), nur hatte der brave Sender bislang mit diesen Themen wenig am Hut, bis Greene herkommt und die heißen Eisen anpackt und vor allem mit den Menschen von der Straße ins Gespräch kommt. Seinem Chef und auch Hughes geht der Hut hoch, als er Barry Gordy vor laufenden Mikros als korrupter Zuhälter bezeichnet, doch später hört Hughes ein Kneipengespräch mit an und kapiert, dass Greene vielen Leuten aus der Seele spricht und dass WOL den Kontakt zu den Leuten ganz einfach verloren hat. Dann wird Martin Luther King erschossen, Rassenunruhen drohen ein katastrophales Ausmaß anzunehmen und Greene nimmt trotz der eigenen Trauer und Wut in dieser dramatischen Lage seine Verantwortung als öffentliche Stimme wahr und ruft die Leute zu Ruhe und Gewaltlosigkeit im Sinne Luther Kings auf. Auch sonst hat er sich immer in politische Themen eingemischt, gegen den Vietnamkrieg opponiert, Stellung zur Rassendiskriminierung bezogen und nie aufgehört, die Weißen gezielt zu provozieren und herauszufordern. Der Film konzentriert sich sehr auf die frühe Schaffensperiode Greenes, wird dann was die spätere Zeit angeht ziemlich lückenhaft, aber ich fand diese Gewichtung insofern in Ordnung, da halt die Jahre von 1967 bis 70 gesellschaftspolitisch und kulturell ungleich spannender, umwälzender und aufregender waren als etwa die frühen 80er oder so. Außerdem zeigt Kasi Lemmons ein außerordentlich gutes Gespür für die faszinierende Atmosphäre der späten 60er, die man als Zuschauer regelrecht in sich aufsaugen kann, auch wenn meinetwegen einiges an Verklärung und Nostalgie im Spiel sein mag.
Für mich ist dies aber auch (und zwar nicht in untergeordneter Weise) ein Film über Soulmusik, und zwar Soulmusik aus ihrer besten und explosivsten und wichtigsten Phase (siehe oben). Ich genieße zum einen den supertollen Soundtrack mit (fast) allem, was mir lieb und teuer ist aus der Zeit und erhalte zum anderen eine neuerliche Bestätigung dafür, wie wichtig Musik als identitätsstiftendes und motivierendes Moment sein kann. Nicht nur setzt Greene gewisse Songs sehr bewusst und kalkuliert in seinen Sendungen ein, er bewegt sich ganz selbstverständlich in einer Welt, in der Musik ein integraler Bestandteil des Alltags, des Lebensgefühls, des Selbstbewusstseins ist und das galt sicherlich für einen recht großen Teil der schwarzen Community, vor allem in den großen Städten. Hier spielen die einzelnen Lokalsender eine essentielle Rolle als Kommunikator, weshalb sich Hughes, dem dies wohl bewusst ist, gegen den Widerstand seines Chefs für Greene stark macht. Soul war damals sicherlich mehr als ein Teil der Unterhaltungsindustrie, und genau diese Bedeutung wird in diesem Film ausgiebig gewürdigt.
Schon deshalb ist das ein toller Film, aber auch sonst hat er mir sehr gut gefallen, egal wie historisch korrekt er nun im einzelnen sein mag. Er vermittelt ein intensives Bild seiner Zeit, er ist mitreißend, funky, dramatisch, spannend und zeigt ein plastisches Porträt zweier Männer, die sich in vieler Hinsicht hervorragend ergänzten: Greene sprach all das unverblümt aus, was Hughes sich nie zu sagen getraut hätte, Hughes wiederum tat all das, was Greene nie den Mut hatte zu tun, und so haben sie es als Duo ganz schön weit gebracht. Don Cheadle und Chiwetel Ejiofor sind großartig in ihren Rollen und sie bekommen angemessenen Raum zur Entfaltung. Und wenn dann mittendrin Sly Stones „I want to take you higher“ wie eine Abrissbirne in die Tonspur kracht und uns für sechs Minuten vom Sitz reißt, dann kriegen auch Timbaland-Fans vielleicht einen vagen Eindruck davon, wie GEIL Soulmusic mal war - vor langer langer Zeit... (7.2.)