There will be blood (#) von Paul Thomas Anderson. USA, 2007. Daniel Day Lewis, Paul Dano, Ciarán Hinds, Kevin J. O’Connor
Am Anfang sieht man Daniel Plainview, wie er ganz allein irgendwo im kalifornischen Niemandsland verbissen und unentwegt in einem selbst gegrabenem Schacht der Erde mit einer Spitzhacke zu Leibe rückt auf der Suche nach Öl. Am Ende sehen wir ihn dreißig Jahre später, eine Art Charles Foster Kane in seinem großen Haus, den Ölmann am Ziel seiner Wünsche, mächtig und reich, aber ebenso allein wie zu Beginn. Versoffen und hasserfüllt hat er soeben seinen Sohn endgültig verstoßen und hat sich seines härtesten Widersachers, des fanatischen Predigers Eli entledigt, in dem er ihn mit einem Holzkegel totgeschlagen hat. Dazwischen liegt eine amerikanische Geschichte, liegt die Realisierung des vielbeschworenen American Dream in seiner konsequentesten und deshalb abstoßendsten Form. Zwei Monstren stehen sich gegenüber und sie stehen für zwei monströse Systeme, gleichsam zwei Säulen, auf denen God’s Own Country errichtet wurde: Daniel repräsentiert den Kapitalismus comme il faut, gierig, brutal, besessen, egozentrisch, absolut rücksichtslos und einzig und allein am Profit interessiert. Eli steht für religiösen Wahn, Bigotterie, die Manipulation der Massen, Gehirnwäsche und letztlich Verlogenheit, denn am Schluss ist sein frommes Imperium wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Oberflächlich gesehen siegt der Kapitalismus, denn Daniel rächt sich bitter für eine früher erfahrene Erniedrigung, als Eli ihn öffentlich taufte und ihn vor der gesamten Gemeinde niederknien und seine Sünden beichten ließ. In dem Kampf der beiden geht es nicht um Inhalte, es geht um Systeme, die abstrakt betrachtet so unterschiedlich gar nicht sind, denn sie basieren auf diktatorischer Machtausübung und absoluter Kontrolle, nur dass Daniel niemandem außer sich selbst Rechenschaft ablegen will, während Eli möglichst viele Schäfchen in seine Gewalt bringen möchte. Beide sind zu menschlichen Beziehung unfähig, weil sie beide die Menschen nur als Werkzeug betrachten, ein jeder zu seinem Zweck, und weil beide jegliche Menschlichkeit ihren Zielen unterordnen.
Upton Sinclair hat in seinen Romanen aus solchen Stoffen eine ausführliche Lektion über die frühkapitalistischen USA gemacht, hat reportagenartige Elemente mit unverblümter Parteinahme und bissiger Ironie verwoben zu einem heute nicht immer leicht konsumierbaren, in vielen aber noch bestürzend aktuellen und beklemmend realistischen Panorama eines Landes, in dem im wahrsten Sinne des Wortes alles möglich zu sein schien.
Anderson nun nennt Sinclairs „Öl“ zwar im Nachspann als Vorlage zu seinem Drehbuch, doch mehr als eine ganz lockere Anlehnung kann es nicht gewesen sein (sogar der Protagonist heißt im Film anders), dass merke ich bereits nach fünfzig Seiten des Romans. Wo Sinclair erheblichen Raum auf das gesamte politische, ökonomische und soziale Umfeld der Ölbohrer verwendet, hat Anderson naturgemäß ganz andere Interessen, denn er muss, anders als Sinclair, heute nicht mehr aufklären und anprangern, er kann sich auf den menschlichen Aspekt konzentrieren und auf der Porträt zweier Besessener und ihrer Opfer. Die ersten zwei Stunden sind zum Teil bestechend, roh, archaisch, schroff und intensiv, eine dramatische Bilderoper in glühender Landschaft mit atonalen Orchesterausbrüchen, Männern, die über jede Grenze hinausgehen, in einem Moment Blut und Erde spucken und sich im nächsten Moment wieder als gerissene Taktierer am Verhandlungstisch gegenübersitzen, alles von dem Willen getrieben, für sich den bestmöglichen Deal herauszuholen. Es ist die Zeit der Pioniere, des noch besitzlosen riesigen Landes, das nun zur Aufteilung ansteht, oder der großen Farmländereien, die nun den bisherigen Besitzern für wenig Geld abgeluchst werden sollen. Die Geräte sind noch primitiv, Tote und Versehrte gibt’s zuhauf, die Eisenbahn wird erst noch gebaut, die ersten Pipelines zur Küste sind noch in Planung, aber es gibt schon die ersten Konzerne, gegen die Selfmademen wie Plainview mit aller Verbissenheit kämpfen, um überleben zu können. Und er hat die nötige Härte und Rücksichtslosigkeit, um es zu schaffen, auch wenn er einen hohen Preis zahlt. In diesen ersten zwei Stunden zeichnet Anderson ein gewaltiges und gewalttätiges Bild dieses gewalttätigen Landes, er präsentiert großes, eher kraftvolles als komplexes, dennoch höchst imposantes Kino, dessen einzelne Teile für sich genommen nicht neu sind, die aber in dieser Form wohl noch nie so eindrucksvoll montiert wurden. In der letzten halben Stunde geht diese starke Linie ein wenig verloren, die Dramaturgie verliert etwas von ihrer Kraft, die Dichte der Chronologie nimmt ab und leider verlieren wir auch Eli zunehmend aus dem Blick und bleiben damit ganz auf Daniel geworfen. Nun bietet natürlich Daniel Day-Lewis in dieser Rolle ein zweifellos ungewöhnliche Darstellung, die außer von ihm von niemandem sonst vorstellbar wäre, und er allein trägt diesen Film mit einer Souveränität, die sich niemals aufdrängt oder aufspielt, aber zum einen ist Paul Dano durchaus ein spannender Gegenpart zu seiner grimmigen Urgewalt, und zum anderen gehören die gemeinsamen Szenen der beiden Antagonisten zu den Highlights des Films, weswegen ich sie im letzten Viertel vermisse, von der abschließenden, tödlichen Konfrontation in Plainviews Anwesen abgesehen. Anderson hat hier das Problem, dass er sein Konzept nicht stimmig genug durchzieht und dass er der Figur des Daniel Plainview auf lange Sicht keine wirklich neuen Aspekte hinzufügt. In der ersten halben Stunde wird über ihn mehr oder weniger alles gesagt was gesagt werden muss, alles spätere sind allenfalls Nuancen, Ergänzungen, aber keine Fortentwicklung. Wie gesagt macht Day-Lewis dieses Defizit jederzeit vergessen, doch sehe ich hier schon eine Schwäche des Films, der ganz einfach zwanzig Minuten zu lang geraten ist und in seinem fatalistischen, unausweichlichen Verlauf eigentlich ziemlich vorhersehbar ist.
Wenn man also den Roman mal vergisst, was man in diesem Fall sowieso von Anfang an tun sollte, bleibt ein Film, der mich zwei Stunden lang mitgerissen und fasziniert hat, dem dann leider zu früh die Luft ausgeht, der aber immerhin mal wieder einen Darsteller in Erinnerung bringt, der sich so rar macht im Kino, und obwohl man das vielleicht verstehen kann, muss man es andererseits doch bedauern angesichts der vielen mittelmäßigen Kollegen, die sich Jahr für Jahr mit zwei, drei Auftritten auf unseren Leinwänden tummeln. Wer weiß, vielleicht findet er sogar mal wieder den Weg zurück nach Irland... (19.2.)