Things we lost in the fire (#) von Susanne Bier. USA, 2007. Halle Berry, Benicio del Toro, David Duchovny, Alexis Llewellyn, Micah Berry, Alison Lohman, Omar Benson Mille, John Carroll Lynch
“Open Hearts”, “Brothers - unter Brüdern” und „Nach der Hochzeit“ sind drei großartige dänische Filme von Susanne Bier -kompromisslos und riskant in ihrer Emotionalität und der Entschlossenheit, Zwischenmenschliches bis an die Grenzen auszuloten und vorzuführen. Auf dem Papier lesen sich beide Filme reichlich kolportagehaft, funktionieren tun sie in erster Linie durch die Intensität der fabelhaften Darsteller und auch durch die Bereitschaft und die Fähigkeit der Regisseurin, diesen Weg voll und ganz mitzugehen. Kein glattes Stromlinienkino, sondern Kino, das uns fordert.
Für „Things we lost in the fire“ gilt im Grunde dasselbe, nur diesmal eben in US-amerikanischem Kontext. Menschen in existentiellen Lebenssituationen – eine Familie, die ihren Vater durch eine Gewalttat verliert, ein Freund der Familie, der mit und gegen die Drogensucht kämpft, ein Mann und eine Frau, die versuchen, ihre Gefühle zueinander zu ordnen und mit ihnen umzugehen. Nach außen hin geschieht nicht viel, es kommt eher auf die Begegnungen an, auf die Spannung, die entsteht, als die junge Witwe spürt, dass sie mehr für diesen Mann empfindet, als sie dürfte, die sich aber auch fragt, ob er für sie nicht nur der erstbeste Mensch zum Anlehnen ist, der Mensch, der sie nachts in den Schlaf streichelt, so wie es früher ihr Mann getan hat. Früher hat Audrey Jerry gehasst, weil ihr Mann Brian bedingungslos zu dem Freund gehalten und manchmal sogar die Familie hintangestellt hat, so zumindest hat sie es gesehen. In den Rückblenden ist Jerry ein hilfloses Drogenwrack, der Brians unerschütterliche Zuneigung und Hilfe fast schon beschämend findet, und wir sehen die Eheleute mehrmals in unterdrücktem Streit, weil Audrey nicht verstehen kann, dass Brian zu diesem Typen hält, einem ehemaligen Rechtsanwalt, dem offenbar nicht mehr zu helfen ist und an dem der notorische Gutmensch Brian lediglich sein Helfersyndrom ausprobiert. Nach Brians Tod überwindet Audrey diese Aversion jedoch, lädt Jerry zur Trauerfeier ein und lädt ihn weiterhin ein, vorübergehend bei ihr und den beiden Kindern zu wohnen, wodurch sich dann im weiteren die angesprochen emotionalen Verwicklungen ergeben, die logischerweise auch auf die Kinder übergreifen.
Wenn so was nicht vernünftig inszeniert und gespielt wird, degeneriert es ruckzuck zur seifigsten Seifenoper, doch genau wie bei ihren dänischen Filmen umgeht Susanne Bier diese Falle souverän, verfährt mit solcher Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit und Eindringlichkeit, das es tatsächlich schwer fällt, sich dem Sog dieser faszinierenden Charakterstudien zu entziehen. Halle Berry und Benicio del Toro bieten grandiose Porträts, wobei deutlich festgestellt werden muss, dass sich die letzten Geheimnisse ihrer Figuren nicht erschließen – auch das ist typisch für Biers Filme und darüber können auch die auffallend vielen ganz nahen Einstellungen und intimen Bilder nicht hinwegtäuschen. Auch als Autorin muss man vielleicht nicht alles verstehen, was die erdachten Figuren tun. Audrey scheint ständig mit sich selbst zu kämpfen, mal gibt sie sich abweisend und aggressiv, mal anlehnungsbedürftig und weich, und offenbar sucht sie dauernd nach einem Weg, ihre Trauer loszuwerden und irgendwie zu bearbeiten, denn ihre Kinder können ihr natürlich nicht helfen, sondern brauchen im Gegenteil selbst alle Kraft und Zuneigung, die sie noch aufbringen kann. Sie erinnert sich an den Hausbrand einst, in dem viele liebgewonnene Dinge verloren gingen und dass Brian ihr immer wieder eingetrichtert hat, dass es auf diese materiellen Werte gar nicht ankommt, sondern nur darauf, dass man zusammenhält, einander liebt. Jerrys seinerseits entwickelt überraschende Qualitäten im Umgang mit den Kindern – er gewinnt die Zuneigung der Tochter schnell und bringt den Sohn dazu, einmal mit dem Kopf unter Wasser zu tauchen, ein Projekt, an dem sich Brian Zeit seines Lebens vergeblich abgearbeitet hatte. Er ist sich Audreys Gefühle für ihn allzu bewusst und reagiert auf ihre Annäherung reserviert und vorsichtig, und diese Reserve gibt er bis zuletzt nicht auf. Er räumt schließlich das Feld nach einem heftigen Konflikt mit Audrey und unternimmt einen erneuten Entzug, diesmal vielleicht mit mehr Aussicht auf Erfolg, zumal er in der Therapiegruppe eine Frau kennen gelernt hat, die deutliches Interesse an ihm zeigt.
Die Erzählung wechselt zwischen gegenwärtiger und rückwärtsgewandter Perspektive und verdeutlich so vor allem Audreys enorm kraftraubende Versuche, mit den schmerzhaften Erinnerungen einerseits und der nicht weniger schmerzhaften Gegenwart andererseits zurechtzukommen, das eine bloß nicht zu vergessen und dennoch vorwärtsgewandt und „funktionstüchtig“ in ihrer Verantwortung als Mutter zu bleiben. Ihr fehlt der Gegenpol, der ihre Empfindungen und sie selbst auffängt, dem sie sich anvertrauen kann, bei den sie sich einfach mal fallen lassen kann. Jerry versucht, diese Rolle zu spielen, doch kann er sich natürlich nicht ganz darauf einlassen und ist emotional auch in keiner Weise vorbereitet, zumal er selbst mit sich genug zu tun hat. Dennoch tut er was er kann, bleibt auch angesichts der heftigen Stimmungswechsel bei Audrey ruhig und beharrlich und bestätigt damit Brians These vom dem, was wirklich zählt zwischen Menschen.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, warum Bier diesen Film in den USA gemacht hat, denn sie hätte ihn genauso gut und mit null Qualitätsverlust daheim in Danmark machen können. Natürlich reizt die Gelegenheit, mit Stars wie Berry oder del Toro zu arbeiten, doch daheim hat sie absolut gleichwertige Darsteller zur Verfügung, wie man in allen anderen Filmen sehen kann, und ihre Themen verlangen ja nicht gerade nach einem atemberaubenden Budget oder gewaltigem Produktionsaufwand. Na egal, als überzeugtem Hollywoodgegner wäre es mir natürlich lieber, sie kehrte baldmöglichst nach Europa zurück und der hiesigen Filmkultur ginge nicht schon wieder eine bedeutend Kraft verloren. Für den Moment ist dies ein beeindruckender, stark wirkender, sehr kraftvoll inszenierter Film mit unvergesslich intensiven Momenten und Schauspielern, und das ist bekanntlich etwas, was man in Hollywood nicht allzu häufig geboten kriegt – trotzdem, next time wieder in Europe, ok? (4.6.)