Waltz with Bashir (#) von Ari Folman. Israel/Frankreich/BRD, 2008.

   Mal was anderes – Vergangenheitsbewältigung als Comic. Obwohl, der Begriff Comic diesem Film nicht wirklich gerecht wird und allerhand deplazierte Assoziationen hervorruft – und auch prompt dazu geführt hat, wie ich las, dass diverse Kritiker monierten, diese Ästhetik sei dem Sujet wohl kaum angemessen. Dies wäre ein berechtigter Einwand, hätte Folman die gängige Disney-Pixel-Version gewählt, doch natürlich hat er dies nicht getan. Sein Film hat nichts zu tun mit der seichten, öden Kommerzscheiße, die uns mittlerweile nicht nur zur Weihnachtszeit sondern leider übers ganze Jahr zugemutet wird, sein Film ist großartiges Kino, sperrig, eigenwillig, visuell und emotional extrem eindrucksvoll und sehr stark in der Wirkung, und er zeigt vor allem, dass man auch in dieser künstlerischen Form komplexe, anspruchsvolle Inhalte ohne Reibungsverluste transportieren kann.

   Es beginnt mit einem Traum von 26 Bluthunden, die in mörderischer Raserei durch die Straßen einer Stadt hetzen und unter dem Fenster eines ehemaligen Libanonkämpfers stehen bleiben. Dieses bedrohliche Bild kehrt immer wieder, und eines Tages erzählt der Betroffene einem Freund davon. Dieser Freund wird zum Protagonisten, denn nun fühlt er sich angestoßen, seine eigene Vergangenheit als Soldat aufzuarbeiten. Auch ihn beschäftigt eine einzige, im Traum immer wiederkehrende Sequenz, in der drei Soldaten aus dem Meer aufsteigen, sich ankleiden und in eine von Flüchtlingen bevölkerte Stadt einziehen. Der Mann begreift in ersten Gesprächen mit anderen Ex-Soldaten und einer Psychologin bald, dass er Schlüsselerlebnisse aus dem Libanonkrieg irgendwo tief in sich verschüttet hat und er macht sich auf Spurensuche, die ihn zu verschiedenen alten Mitkämpfern führt und vor allem zu einer bitteren Wahrheit, in der es um seine eigenen Beteiligung an den furchtbaren Massakern von Sabra und Schatila geht. An dieses von ihm lang verdrängtre Ereignis tastet er sich langsam und nicht ohne inneren Widerstand heran, dennoch ist er zu Klarheit und Aufklärung entschlossen und am Ende hat er Gewissheit, so dass der Film mit Dokumentarbildern getöteter Zivilisten endet. Christliche Falangisten hatten 1982 unter den Augen der israelischen Armee in zwei palästinensischen Flüchtlingslagern vermutlich mehrere Tausend Menschen niedergemetzelt, zumeist wehrlose Zivilisten, ein vorsätzlich als Völkermord geplanter Terrorakt, getarnt als Rache für das Attentat auf Bashir Gemayel, dem neu gewählten Führer der Falangisten wenige Tage davor.

   Folman selbst hat Militärdienst für Israel geleistet, so dass der autobiografische Anteil an der Geschichte recht hoch sein dürfte. Sein Film kreist folglich um Schuld und Verdrängung und schwingt sich durchaus zu einem sehr deutlichen politischen und humanistischen Appell auf. Die israelischen Soldaten haben dem barbarischen Morden zugesehen, ohne einzugreifen, sie selbst haben an anderer Stelle natürlich auch barbarisch gemordet, doch den einzelnen Männern bleibt nur das Vergessen, Verdrängen, weil ihnen sonst kein Instrument zur Bewältigung zur Verfügung gestellt wurde. Einer emigriert nach Holland, baut sich dort eine völlig neue Existenz auf, doch die Schatten der Vergangenheit kann auch er nicht gänzlich abschütteln. Die meisten leben nun eine bürgerliche Existenz mit Beruf und Familie, so wie Ari, der zunächst ganz unfreiwillig in diesen Aufarbeitungsprozess hineingezogen wird. Er erinnert sich an die Zeit von OMD und PIL Anfang der 80er, von Naivität und Sorglosigkeit, die beide in der Konfrontation total unvorbereiteter junger Kerle mit dem mörderischen Krieg zerstört und durch tiefe Traumata ersetzt wurden. Assoziationen zu den Nazipogromen gesellen sich hinzu, für die Soldaten Teil der kollektiven Identität, denn fast jeder hatte Familienangehörige in Auschwitz oder anderswo, und vielleicht hat die Weltöffentlichkeit deshalb so empört auf Sabra und Schatila reagiert, weil man angenommen hatte, dass gerade die Israelis solch ein Geschehen niemals zulassen würden.

   Die schroffen, kantigen, schattigen monochromen Bilder entfernen sich wie gesagt weit von der glattpolierten Ästhetik kommerzieller Animationsfilme. Ich habe mich mehrmals an Marjane Satrapis „Persepolis“ erinnert gefühlt, denn hier wie dort herrscht eine spannungsreiche, unberechenbare Mischung aus dunkler Poesie, sehr grimmigem Humor und erschreckender Grausamkeit, und beide Filme setzen ihre großartige künstlerische Gestaltung wie ich finde vorzüglich ein, um innere Vorgänge sichtbar zu machen, vor allem Träume lassen sich auf diese Weise viel besser visualisieren als im Realfilm, wie die oben beschriebene Einganssequenz eindrucksvoll unterstreicht. Meiner Meinung nach ist „Waltz with Bashir“ in jeder Hinsicht überzeugend und beeindruckend, ein visuelles Erlebnis allemal und der Beweis, dass es nicht immer nur irgendwelche idiotischen Tiergeschichten sein müssen, sondern dass im Gegenteil der Animationsfilm unter bestimmten Umständen eine absolut gleichwertige und ernsthafte Kunstform ist – wenn man nur will. (17.11.)