4 luni, 3 săptămâni și 2 zile (4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage) von Christian Mungiu. Rumänien, 2007. Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Vlad Ivanov, Alexandru Potocean, Ion Sapdaru, Teodor Corban, Tania Popa

   „Geschichten aus dem goldenen Zeitalter“, lautet die Schlussbemerkung im Abspann, und solch ein bodenloser Sarkasmus kann wohl nur aus einem Land wie Rumänien kommen, das hier in den letzten Jahren der Ceaușescu-Diktatur liegt, genauer gesagt 1986. Wie man liest, musste Regisseur Christian Mungiu an die Bukarester Peripherie ausweichen, um auf Drehorte zu stoßen, die den realen Orten von vor zwanzig Jahren glichen, und das allein sagt schon alles über ein Land, das sich zumindest nach europäischem Maßstab wohl in einem beispiellosen zustand vollkommener Verwahrlosung befindet, die Bevölkerung eingeschlossen.

   Es ist vielleicht das eindrucksvollste Verdienst dieses ebenso niederschmetternden wie großartigen Films, genau diese Atmosphäre perfekt eingefangen zu haben. Über dreißig Jahre wahnwitziger Tyrannei haben das Land und seine Menschen in Armut, Agonie und Hoffnungslosigkeit versetzt, die Lebensverhältnisse sind nur mit der sogenannten  Dritten Welt vergleichbar, selbst elementare Lebensmittel gibt es oft nicht, die Schlangen vor den Läden erinnern an Nachkriegsszenen anderswo, die Wohnhäuser, die Viertel und Straßen sind unendlich trostlos, öde, einsam und vor allem auch sehr bedrohlich, die Menschen gehen entsprechend miteinander um, wirkliche Wärme oder Freundlichkeit erfährt hier so gut wie niemand.

   Auch Otilie und Gabita nicht, zwei Studentinnen in Bukarest, die sich eine schäbige Bude in einem schäbigen Wohnheim teilen, und die etwas vorhaben, nur ahnen wir erst nach geraumer Zeit, worum es geht. Eine Abtreibung ist im mittelalterlichen Regime des Diktators selbstverständlich streng verboten, weswegen einerseits die Frauen unendliche Mühen und aufwändige Manöver in Kauf nahmen müssen und andererseits enorm erpressbar sind, weil ihnen jederzeit eine harte Gefängnisstrafe droht. Dies macht sich auch der Herr bebe zunutze, der die beiden Freundinnen zwingt, vor dem Eingriff mit ihm zu schlafen, eine furchtbare Erniedrigung, die ebenso schwer wiegt wie der Verlust des Fötus‘ selbst, den Otilie schließlich in einem Müllschacht verklappt, weil sie in der nächtlichen Stadt keine Möglichkeit findet, ihn nach Gabitas Wunsch ordentlich zu begraben. Die beiden jungen Frauen sind zutiefst erschüttert und verstört und nehmen sich abschließend vor, über diese Sache nie wieder ein Wort zu verlieren. Es könnte aber auch ebenso gut sein, dass ihre zuvor so untrennbare Freundschaft zerstört bleiben wird.

   Während Gabita labil, unsicher und oft hilflos wirkt, sich mit fatalen Lügen durchzumogeln versucht und nicht mal Otilie in manche ihrer Lügen einweiht und damit einige bittere Situationen provoziert, ist Otilie die Stabilere, Bodenständigere, Aktivere, die so stark ist, ihre Freundin selbst dann nicht im Stich zu lassen, als klar ist, dass bebe sie brutal benutzen wird. Bei ihrem schluffigen Freund Adi und seiner einfältigen Familie findet sie keinen Rückhalt, im Gegenteil, Mamas Geburtstagsfeier ist geradezu ein quälend in die Länge gezogenes Martyrium, das sich uns fast physisch erfahrbar mittelt und furchtbar realistisch ist – man möchte zusammen mit der verzweifelten Otilie selbst fliehen aus der kleinbürgerlichen Spießerenge, die meilenweit entfernt von ihrer soeben durchlittenen Erfahrung ist. Ihre Wege durch die Stadt sind ein von unruhiger Wackeloptik begleitetes atemloses Hin und Her durch übelste sozialistische Milieus, behaust von grauen, gesichtslosen Menschen, die abwechselnd bedrohlich oder wenigstens extrem unfreundlich sind, und dennoch muss Otilie bitten und feilschen um ein Hotelzimmer, um Herrn Bebe, der misstrauisch wird, als ihm Gabitas Lügen offenbart werden, sogar um eine Zigarette, die wenn überhaupt nur schwarz zu haben sind. Eine Mangelgesellschaft in jeder Hinsicht, ausgezehrt und paralysiert, verhärtet und erkaltet, und so sind eben au h die Menschen, die darin leben müssen, auch Otilie und Gabita zeigen Spuren dieser Symptome, sie sind Produkte des Systems wie alle anderen auch. Dennoch ist dies nicht nur eine beklemmend intensive Zustandsbeschreibung aus einem zerstörten Land, sondern auch ein starker, bewegender humaner Appell ohne jedes Pathos und scheinbar auch ohne Botschaft, aber natürlich kann er niemanden kalt lassen und somit bewirkt er schon etwas, setzt Gedanken oder Einsichten in Gang und bringt uns die beiden Frauen nahe, vor allem Otilie, die deutlich im Zentrum des Films steht.

 

   Christian Mungiu hat einen schroffen, ungekünstelten, direkten Realismus angestrebt und dieses Konzept perfekt umgesetzt. Seine Schauspieler sind grandios und passen sich dem weitgehend natürlichen, wirklichkeitsnahen Stil der Inszenierung vollkommen an. Klassisches osteuropäisches Kino, das richtig wehtut, und sowas muss manchmal eben auch sein. (11.3.)