Alle anderen von Maren Ade. BRD, 2008. Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hand-Jochen Wagner, Nicole Marischka

   Manche Filme sind ja so: Man erkennt ihre Klasse, mag sie aber eigentlich gar nicht anschauen, weil sie viel zu nahe am eigenen Leben sind, an meinem genauer gesagt, weil ich selbst mich in zu vielen Szenen gespiegelt sehe und das nicht besonders gut vertragen kann. Dennoch gehört eben viel Klasse dazu, diese Reaktion zu erzeugen, und das hat dieser Film zweifellos geschafft. Ein faszinierendes aber unangenehmes zweistündiges Exerzitium, dem man sich freiwillig vermutlich nur einmal unterziehen wird.

   Wir treffen Gitti und Chris, ein ganz normales deutsches paar Anfang Dreißig im Urlaub auf Sardinien. Er ist Architekt, etwas muffig und schluffig und unzufrieden mit sich und der Welt, sie ist flippig und impulsiv, wenn auch gelegentlich übers Ziel schießend. Sie vertreiben sich die Zeit in der trägen Hitze, langweilen sich dezent im Ferienhaus von Mama und Papa, doch erst als ihnen Hans und Sana über den Weg laufen, gerät die flaue Ruhe in Aufruhr. Chris wollte dem Studienkollegen unbedingt aus dem Weg gehen, doch es kommt zu einigen ungemütlichen Treffen zu viert, und plötzlich brechen zwischen Gitti und Chris Konflikte aus, die zuvor unter der Decke geblieben waren. Es wird im Laufe der Zeit immer hässlicher und kommt schon zum Bruch, doch am Ende bleibt alles in der Schwebe.

   Was immer zwischen Männern und Frauen so geschieht an Beziehungsdynamik, an Stimmungen und Schwingungen, an sehr Privatem und Intimem und auch mehr Öffentlichem, das kommt hier oft ziemlich unverblümt und unbequem auf den Tisch. Die kleinen kindischen Spielchen, das faule Dösen miteinander, unterbrochen von erotischen Ausbrüchen, dann plötzlich die ersten Spannungen, seine ersten Unaufrichtigkeiten und Kompromisse, ihre Enttäuschung, als sie merkt, dass er sich nicht traut, Hans offen und entschlossen zu begegnen und dem großmäuligen Geschwätz des unsympathischen Kerls ein Ende zu bereiten. Hier verfallen Mann und Frau in ihre klassischen Rollen: Er ist mundfaul, negativ und mürrisch, randvoll mit Selbstmitleid und Unentschlossenheit, sie ist spontan, emotional und direkt, sagt auch dann ihre Meinung, wenn es gerade unpassend zu sein scheint. Die Zusammentreffen der beiden Paare sind die Spitze an geradezu körperlich erfahrbarer Peinlichkeit, doch wer würde schon den Stab brechen wollen über die armen Leute hier, denn jeder befand sich bestimmt schon mindestens einmal in einer ähnlichen Lage, ausweglos gefangen in idiotischen Konversationen, gelähmt von Höflichkeit und dem Zwang, auch dann noch höflich Konversation zu betreiben, wenn man die anderen für die letzten Arschgeigen hält. Zusammen mit Chris und Gitti wünschte ich mir auch, es möge doch bald vorübergehen, und bis dahin wand ich mich unbehaglich im Kinosessel, zumal Maren Ade die Situation mit fast sadistischer Detailfreude weidlich auskostet. Ihre Spannung bezieht sie aus rein alltäglich Momenten, sie sich gelegentlich steigern, immer unerfreulicher werden, gelegentlich auch ironisch überspitzt werden, dies aber nur höchst selten und nie über den Rahmen hinaus. Der Film ist ein Musterbeispiel dafür, wie man mit ganz wenigen Mitteln aus ganz normalen Geschichten heraus sehr viel Wirkung erzielen und sehr viel über menschliches Zusammenleben sagen kann. Er wird immer abweisender und schroffer, sie hört nur noch alles auf dem Beziehungsohr, versucht sich aber wenigstens zu stellen und daran zu arbeiten, er blockt und verdrängt nach Männerart, sie nervt und stresst nach Frauenart, und all das geht überhaupt nicht zusammen. Erst eine extreme Maßnahme, ein Trick von ihr holt ihn aus seiner Starre zurück und entlockt ihm eine spontane, echte Gefühlsreaktion, doch ist mittlerweile viel kaputt gegangen und viel zwischen die beiden geraten – ganz wie im wirklichen Leben. Und ganz wie im wirklichen Leben werden sich die beiden vielleicht doch weiterhin aneinander klammern und weiter kämpfen und strampeln.

 

   Eine brillante Inszenierung, ohne Spektakel, jedoch mit unbarmherzigem Blick aufs Detail, und brillante Darsteller mit viel Mut zur Ehrlichkeit machen die Stärken dieses Films aus, den man bestimmt nicht genießt, dem ich mich aber gern gestellt habe, einfach weil er auch mal wieder die Frage nach den Alternativen im Leben aufwirft. Nicht, dass die Antworten besonders ermutigend wären… (22.6.)