Birdwatchers – La terra degli uomini rossi (Birdwatchers) von Marco Bechis. Italien/Brasilien, 2008. Abrisio de Silva Pedro, Alicélia Battista Cabreira, Ambrósio Vilhalva, Claudio Santamaria, Chiara Caselli, Ademilson Concianza Verga, Matheus Nachtergaele, Nelson Concianza, Eliane Juca da Silva

   Für alle, die geglaubt haben, das Dahinvegetieren in Reservaten sei allein den nordamerikanischen Ureinwohnern vorbehalten – hier erlebt man, wie es ihren südamerikanischen Kollegen seit Jahrhunderten ergangen ist und noch heuet ergeht, nämlich ganz genau so: Von ihrem Land vertrieben von weißen Siedlern, entweder sofort oder auf Dauer vernichtet, ermordet, von Krankheiten ausgerottet oder eben in eigens zugewiesene Reservate verpflanzt, fristen sie ein Dasein zwischen Alkoholismus, Prostitution, völliger Entfremdung und vielleicht mal dem hilflosen Versuch, sich ihrer Ursprünge zu erinnern. Sobald unsere zivilisierten, ehrgeizigen, klar strukturierten und materiell orientierten weißen Freunde Bodenschätze auf Indianergebiet entdecken, wird das Reservat halt wieder umgesiedelt in eine andere, möglichst karge und unfruchtbare Gegend, die mit dem alten Lebensraum der Stämme nichts mehr zu tun hat, zumal auch die Wälder mehr und mehr verschwinden, wofür wiederum tagtäglich unsere eifrigen, effektiven, unerhört fleißigen weißen Freunde sorgen. Ich sag ja, manchmal hasse ich mich selbst dafür, ein weißer Mensch zu sein.

   Dabei ist dieser Film für sich genommen gar nicht so wütend, er ist eher das ganze Gegenteil. Statt simpler, plakativer Polemik gibt’s eine spröde Geschichte mit sperrigen Typen, ohne Identifikationsfigur, ohne stringente Dramaturgie, ohne gefälliges Melodrama, und dennoch, oder wahrscheinlich genau deshalb, sagt er über die Situation der Indigenas im heutigen Brasilien und über das Miteinander der so gänzlich konträren Völker sehr viel aus. Skizziert wird die Geschichte der Guarani-Kaiowá im Mato Grosso do Sul im westlichen Brasilien, die eines Tages als kleine Gruppe ihr Reservat verlassen, um sich wieder auf dem Land niederzulassen, das einst ihnen gehörte. Nun gehört’s natürlich einem wei0ßen Großgrundbesitzer, und der versteht die Indigenas nicht, denn seine Familie lebt hier nun auch schon in dritter Generation, und für sein Empfinden ist dies sein Land, zumal er es ja auch kultiviert. Zunächst ist man nur erstaunt, dann leicht beunruhigt, und schließlich greifen die Siedler doch zur Gewalt und versuchen auch noch, die Indigenas gegeneinander auszuspielen. Ereignisse wie diese haben sich tatsächlich abgespielt, zumal die Guarani-Kaiowá offenbar nicht willens sind, sich ihr Land widerstandslos wegnehmen zu lassen, und seit Jahren immer wieder Kampagnen gegen Raub und Mord unternehmen.

   Das ist sozusagen die offizielle Ebene der Geschichte. Die andere ist mehr privat und erzählt von einigen Kontakten zwischen Indigenas und Weißen, von der vorsichtigen Freundschaft der Tochter des Großgrundheinis mit einem Jungen aus dem Stamm, oder von dem Umgang vor Ort, der verrät, dass die Weißen die Indigenas je nachdem als billige Arbeitskräfte für ein paar Tage und ein paar Real benutzen oder als jederzeit verfügbare Nutten. Die Indigenas haben allerdings auch ihre eigene Realität und die ist natürlich auch nicht geordnet oder irgendwie harmonisch. Man ist sich schon mal nicht einig über das Vorgehen, ob man das Land besetzen oder darauf beharren oder ob man sich lieber wieder als Tagelöhner anheuern lassen soll. Die einen wollen das als politische Demonstration verstanden wissen, die anderen sind eher am täglichen Überleben und am Geldverdienen interessiert. Müssen sie auch sein, denn die Wälder geben für Jäger längst nicht mehr genügend Beute her, denn erstens leben dort kaum, noch Tiere (Dank an den weißen Mann!), und zweitens haben die jungen Stammesmitglieder das Jagen gar nicht mehr erlernt, weil es sich nicht lohnt. Die Indigenas schuften also nicht für die Weißen, weil sie es gern tun, oder weil sie keinen Bock mehr auf ihr altes Leben haben, sondern weil es gar keine andere Möglichkeit mehr gibt, den Lebensunterhalt zu sichern. Das gilt auch für die Prostitution: Die Frau, die sich dem weißen Aufpasser anbietet, klaut ihm danach frech eine Pistole und Lebensmittel, sie sieht offenbar nicht die Erniedrigung, sondern nur den praktischen Nutzen. Und die Mädchen reißen am Fluss gern auch deftige Witze über die weißen Männer, die zeigen, dass man sich im langen Miteinander arrangiert hat. Dennoch empfinden viele vor allem junge Indigenas die Ausweglosigkeit, das Elend, die Entfremdung als unerträglich und hängen sich in den Wäldern in großer Zahl einfach auf, was dann in der Berichterstattung der weißen Medien als Symptom für fortschreitenden Alkoholismus gewertet wird. In diesem Film gibt es von weißer Seite kein Bestreben, die Situation der Indianer zu verstehen, anders zu sehen als es traditionell üblich ist. Zu den bereits erwähnten Verwendungszwecken gesellt sich höchsten noch der Tourismus hinzu: Für ein vermutlich lausig geringes Entgelt sind die Guarani-Kaiowá bereit, vorübergehend Jeans und T-Shirts abzulegen, ihre traditionelle Ureinwohnerkluft anzuziehen, sich an den Fluss zu stellen und für ein vorbeifahrendes Touriboot die finsteren, pfeilschießenden Wilden zu markieren. Grimmigster Zynismus, wie ihn nur die Wirklichkeit produzieren kann, hier im Film trocken und fast beiläufig inszeniert, wie sich überhaupt Marco Bechis mit großen Gesten ganz zurückhält, ruhig und bedächtig, fast nüchtern erzählt, Bilder und Momente zur Entfaltung kommen lässt und allgemein das Zwischenmenschliche in den Mittelpunkt rückt. Die Kunst dabei ist, dass das Politische automatisch mit in das Bewusstsein rückt, weil es sich im Zwischenmenschlichen, allein schon in den Bildern manifestiert. Der weite Blick über die gerodeten Weide- und Anbauflächen lässt erahnen, wie viel von ihrem Lebensraum die Ureinwohner verloren haben, wie viel ihnen entrissen worden ist. Wir hören die Worte des Anführers, der immer wieder auf die Bedeutung der Erde, des Bodens für den Glauben hinweist, wir sehen, wie die jungen Selbstmörder mit dem Gesicht nach unten bestattet werden, wir erfahren, dass es das schlimmste Verbrechen ist, den Guarani-Kaiowá ihr Land zu nehmen und sie einfach auf ein anderes, fremdes Land zu zwingen.

 

   Marco Bechis hat zum großen Teil mit indigenen Laiendarstellern gearbeitet und nicht nur deshalb eine große Authentizität und Nähe hergestellt, die dennoch respektvolle Distanz erlaubt. Natürlich steht er inhaltlich und argumentativ der Perspektive der Indigenas deutlich näher, doch hat er es nicht nötig, dies mit platten Sentenzen zu untermauern. Sein Film ist nicht gerade flott verdauliche Sommerkost, wie könnte er auch, dafür bleibt er nachhaltig im Kopf haften und hat viel mit politischer Bewusstseinsbildung zu tun, und das kann einem lahmen, satten, schlaffen Sack wie mir ab und zu nur gut tun. (22.7.)