Sagan (Bonjour Sagan) von Diane Kurys. Frankreich, 2008. Sylvie Testud, Pierre Palmade, Jeanne Balibar, Arielle Dombasle, Lionel Abelanski, Guillaume Galienne

   Was weiß ich schon von Françoise Sagen? Die hat „Bonjour Trostesse“ und „Lieben Sie Brahms?“ geschrieben und irgendwie ein aufreibend skandalträchtiges Leben geführt, wofür sie in Frankreich halb verehrt und halb verachtet wurde. Das war’s. Ich wusste nicht mal, dass erst vor recht kurzer Zeit gestorben ist, nämlich 2004, aber egal.

   Ein Film, der sich der Biographie eines realen Menschen, zumal eines Künstlers, widmet, hat schon konzeptionell ein Problem: Was nehme ich rein, was lasse ich weg, wo liegen die Akzente, was kann ich nebenbei übergehen, wie nahe will ich meinem Objekt kommen, will ich urteilen oder nicht, wie weit gehe ich auf die Kunst ein und so weiter. Die Liste schwieriger Entscheidungen ist lang, die Möglichkeiten für Irrtümer sind mannigfaltig und die Zahl wirklich geglückter Biopics ist dementsprechend äußerst niedrig. Ich finde, dieser Film gehört absolut dazu, obwohl ich ansonsten fast nur Unfreundlichkeiten gelesen habe, aber was schert mich die Meinung anderer Leute…

   Diane Kurys hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, und ich finde, sie hat eine sehr akzeptable und in sich auch sehr konsequente Linie gefunden. Sie bleibt bei Sagan in Frankreich, lässt den ganzen internationalen High-Society-Quatsch außen vor und auch ihre medienträchtigen Auftritte (Mai 68 und so weiter) und lässt sich zwei Stunden Zeit für ein unbequemes, widersprüchliches Porträt einer offensichtlich unbequemen und widersprüchlichen Person, wobei der Film zu keiner Zeit den Anspruch erhebt, in irgendeiner Weise endgültig zu sein, alles zu beleuchten oder zu erklären, und das ist schon eine der besten Entscheidungen Kurys‘ gewesen, dass sie nämlich der Sagen ihre eigene Sphäre lässt und gar nicht erst vorgibt, bis in die letzten Winkel ihrer Persönlichkeit leuchten zu können.

   Sehr viel Sorgfalt wird von Beginn an darauf verwendet, Sagan in ihrem sie jeweils umgebenden Milieu zu zeigen, weil sich schon anhand dessen eine wichtige Entwicklung in ihren Leben festhalten lässt. Hat zu Anfang das Milieu noch auf sie Einfluss ausgeübt – das junge Mädchen aus ländlich-behütetem „guten“ Hause in den frühen Fünfzigern -, so ging sie sehr früh daran, ihr Milieu selbst zu gestalten. Ihr erster Roman wird völlig wider jegliche Erwartung ein Welterfolg und sie geht daran, die Früchte dieses Erfolgs in vollen Zügen zu genießen. Sie erwirbt eine Villa in der Normandie, legt sich einen mondänen Lebensstil zu und umgibt sich mit einer Clique treuer Freunde aus Bohèmekreisen, mit denen sie je nach Saison in St. Tropez residiert oder eben in ihrem großen Haus bei Honfleur, an dem sie ein Leben lang bedingungslos und in dem sie auch sterben sollte. Ihr Motto lautet, hier und jetzt und in vollen Zügen zu leben, Luxus und Verschwendung waren sozusagen Programm, immer auch aus der erziehungsbedingten Befürchtung heraus, die guten Tage könnten auch einmal vorüber sein, und ins Jenseits ließ sich sowieso nichts mitnehmen. An ihre eigene Kunst richtet sie, so sagt sie jedenfalls selbst, keine großen Ansprüche, sie wundert sich sogar, dass die Leute das Zeug gern lesen und kokettiert damit, dass ihre Romane am Ende doch nicht mehr seien als seichte Unterhaltung für junge Mädchen. Ihren Freunden mutet sie manche Extravaganz zu und belastet ihre Treue und Loyalität gern bis an die Grenzen, später dann auch über die Grenzen hinaus. Geradezu provokativ mutete ihre Nichtachtung jeglicher Vernunft, jeglicher Mäßigung an, wobei Kurys sich gerade in diesem Punkt äußerst diskret verhält und die der Sagan gern angerdichteten sexuellen Ausschweifungen fast vollkommen beiseite lässt, was ich ziemlich respektabel finde. Dafür gelingen ihr wunderbar beschwingte, geistvolle und im Unterton doch mehrdeutige Schilderungen der wilden Fünfziger, so wie Sagan und ihre Clique sie genossen haben mögen. Die Zeit des unbeschwerten, vorsätzlichen Leichtsinns hat ein Ende, als Sagan nach einem fast fatalen Autounfall von Schmerzmitteln abhängig wird und danach eine beachtliche Karriere als Drogenkonsumentin hinlegt, die ihr massive psychische, gesundheitliche und auch wirtschaftliche Probleme einbringt, sie zunehmend von ihren guten alten Freunden entfremdet, sie dann fast ganz von der Welt isoliert, bis sie abgeschottet und vergessen in der alten Villa haust.

   Mit dem Unfall ändert sich auch der Tonfall des Films spürbar, und zumindest innerhalb dieses Konzepts ist das vollkommen richtig. Die jugendliche Leichtigkeit ist dahin, der folgenlose Spaß vorbei, Sagan hat den mutwilligen Tanz auf dem Drahtseil solange vollführt, bis sie doch endlich herabgefallen ist. Ihre Eigenwilligkeit, ihre Sperrigkeit und Kompromisslosigkeit behält sie bei, ebenso ihre Neigung, sich in Abhängigkeit von anderen Menschen zu begeben, um so m ehr, als ihre Alkohol- und Tablettenkonsum sie schwächen und sie ihre eigene Verletzlichkeit spüren lassen. Ihre ungebrochen strikte Weigerung, irgendetwas zu bereuen oder auch nur Mitleid mit sich oder anderen zu empfinden macht sie schroff und oft kantig, und dennoch wird im Kontrakt zu ihren Freunden deutlich, wie sie sie braucht, obwohl sie es nur selten zugibt. Sie leidet, als sich die Begleiter der ersten Stunde resigniert oder verletzt von ihr abwenden, als der eigene Bruder schließlich wütend aufgibt, sie zur Besinnung bringen zu wollen, und stattdessen tritt eine sehr viel dubiosere Frau in ihr Leben, die offenbar vor allem das Ziel hate, Einfluss zu gewinnen und sich in der Gesellschaft einer Berühmtheit sonnen zu können. Zuletzt ist nur noch eine mürrische Haushälterin geblieben, und auch die ist nur durch eine Art Hassliebe an sie gebunden, weil auch die alternde Sagan niemanden richtig an sich heranließ.

 

   Kurys zeigt Sagan betont als Privatmensch abseits öffentlicher und politischer Eskapaden, lässt die Romane in den Hintergrund treten, zitiert gottlob nicht lang und breit daraus und versucht nicht, eine motivische oder andere Verbindung zwischen Leben und Werk herzustellen. Vielleicht hat es auch gar keine gegeben, ich jedenfalls habe das nicht vermisst und finde die inhaltliche Gewichtung des Films absolut gelungen und in sich stimmig. Françoise Sagan erscheint als eine Frau mit sehr vielen Facetten, auf keinen Fall nur als Skandalobjekt der öffentlichen Sensationsgier, als eine Frau, die ihr Leben weitgehend selbst bestimmt hat und, so sieht es wenigstens auch, auch bereit war, die Konsequenzen zu tragen. Sylvie Testud bietet in der Titelrolle ein wirklich furiose, großartig nuancenreiche Vorstellung, die Kurys‘ Konzept hundertprozentig entspricht und die allein schon eine Attraktion wäre, die zudem noch angereichert wird von durchweg ausgezeichnet besetzten Nebenrollen und durch die bewährt sensible und starke Regie von Diane Kurys, die ihre alten Stärken wieder bestens zur Geltung bringt und einfühlsame Charakterporträts nicht mit Bevormundung oder Vereinnahmung und schon gar nicht mit Pathos verwechselt. Wir bleiben der Sagan zwei Stunden lang nahe, doch nie so nahe, dass wir sie ganz zu durchschauen glauben. Ich finde, Kurys ist die Gratwanderung zwischen Intimität und respektvoller Distanz hervorragend geglückt, ich finde, der Film ist ihr überhaupt hervorragend geglückt und bin froh, nach langer Zeit mal wieder was Neues von ihr gesehen zu haben. So häufig hat man ja leider nicht das Vergnügen… (7.1.)