Chéri (#) von Stephen Frears. England/Frankreich, 2009. Michelle Pfeiffer, Rupert Friend, Kathy Bates, Felicity Jones, Frances Tomelty, Iben Hjejle

   Der einleitende Text stellt uns die Belle Epoque vor als jene kurze, aber glorreiche Zeit, in der die schönen Pariser Kurtisanen mächtiger waren als Politiker und Könige, denn sie konnten Geschicke lenken und die Reichen und Mächtigen in unbegrenzter Weise beeinflussen und beherrschen. Eine Zeit der Kultur und des Überflusses, eine Zeit der Verschwendung, und in der Geschichte vom Chéri findet sich gerade dafür ein Beispiel. Wir lernen die alternde Kurtisane Léa kennen, einst die Königin ihres Metiers, die nun daran denkt, sich aus dem Gewerbe zurückzuziehen, doch just in dem Moment trifft sie nach vielen Jahren auf Chéri, den Sohn ihrer Kollegin und Konkurrentin Mme Peloux. Chéri ist das Abbild des schönen, dekadenten Dandys, nicht mal halb so alt wie sie, dennoch beginnen die beiden eine jahrelange Liebesbeziehung, die jäh endet, als Frau Mama für ihr Söhnchen eine Heirat arrangiert, und zwar mit der jungen Edmée, die in dem ganzen System natürlich keine Chance hat. Chéri lässt sich auf die Ehe ein und reist mit der Gattin nach Italien, Léa rafft ihre Sachen und reist nach Biarritz, wo sie sich mit einem jungen Gecken ablenkt, doch beide kommen voneinander nicht los. Als sie sich allerdings später in Paris wiedersehen, haben sie den richtigen Zeitpunkt verpasst und kommen nicht wieder zueinander. Zum Abschluss wird uns dann kurz der weitere Verlauf der Geschichte erzählt: Chéri kämpft im Ersten Weltkrieg, der die belle Epoque rüde beendete, kehrt zurück, findet jedoch nicht mehr ins Leben und schießt sich eine Kugel in den Kopf.

   Leere, Überdruss, Eitelkeit, Egoismus, das scheinen die treffenden Attribute zu sein, wenn man an die zeit und die Figuren in diesem Drama denkt. Gefühle sind kalkuliert, berechnet auf Wirkung und Profit, wirkliches Engagement ist höchst selten und wenn, wird man dafür bestraft, so wie hier. Indem Léa einmal ihre Souveränität und Unabhängigkeit aufgibt, gerät ihr Leben aus der Balance, hat sie an nichts mehr Spaß, kann sie ihre Reputation als Königin der Salons nur mit größter Kraftanstrengung aufrechterhalten. Auch Chéri ist nicht daran gewöhnt, wahrhaft tiefe Gefühle zu investieren, er scheint der Archetyp seiner Epoche zu sein (die garantiert nur für die oberen Zehntausend „belle“ war…) und kann den eigenen inneren Aufruhr nicht erklären und verkraften. Die Flucht in die Ehe mit der süßen und total überforderten Edmée muss scheitern, heftige Verletzungen auf allen Seiten sind die Folge, der egozentrische Lebemann stößt sowohl die jüngere als auch die ältere Frau mit seiner Gedankenlosigkeit und Selbstsucht vor den Kopf, und als er sich Jahre später das Ausmaß der Verschwendung endlich eingestehen kann, zieht er die bittere Konsequenz daraus.

 

   Was also als ein weiteres funkelnd ironisches und erotisches Gesellschaftsstück in üppigen Dekors beginnt, endet als tristes Drama, in dem ausgelaugte und erschöpfte Protagonisten erkennen müssen, dass sie ihre kostbare Zeit zum Fenster hinausgeworfen, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit geopfert haben. Naturgemäß ist daher die erste Hälfte des Films weitaus witziger und unterhaltsamer als das irgendwie vorhersehbare Finale, und naturgemäß ist es viel leichter, die erste Hälfte eher zu mögen als die zweite. Frears knüpft hier an seinen brillanten „Gefährliche Liebschaften“ an, natürlich ohne die grimmige Bosheit dieses Werks, aber mit dem gleichen Gefühl für Timing und elegante Impressionen einer total dekadenten, selbstzufriedenen Gesellschaft. Aus spritzigen Verbalduellen, in denen besonders Pfeiffer und Bates glänzen, die eine mit spitzer, reizvoll welkender Schönheit, die andere mit bulliger, genussvoll destruktiver Rauhbeinigkeit, und dazwischen der blässliche Narziss Chéri, verwöhnt, egozentrisch, ruchlos, hohl und eitel, ein klassischer Dandy also, der ganz gegen seine Gewohnheit ein einziges Mal sein Herz verliert, um dann aber doch in Katzenjammer und Selbstmitleid unterzugehen. Die Belle Epoque erscheint hier als eine Art Tanz am Abgrund, eine kurze Episode maßlosen, rücksichtslosen Genusses, des schönen Scheins, der Charade aufgeputzter Gecken, die dann im Grauen des Krieges untergingen. Frears hat daraus nicht gerade eine dunkle Tragödie gemacht, sein Film balanciert gekonnt und geschickt zwischen Leichtigkeit und Drama, zwischen flüssig-spritzigem Wortwitz und der desillusionierenden Einsicht, dass es viele Arten von Verschwendung gibt, unter anderem eben auch die hier vorgeführte. Nicht dass uns irgendjemand hier leidtäte, oder dass wir etwas mit ihm oder mit ihr fühlen könnten – ironische Distanz gehört mit zum Spiel, und Frears zelebriert es hier mit absoluter Perfektion. (3.9.)