Coco avant Chanel (Coco Chanel – Beginn einer Leidenschaft) von Anne Fontaine. Frankreich, 2009. Audrey Tautou, Benoît Poelvoorde, Alessandro Nivola, Marie Gillain, Emanuelle Devos
Biopics sind augenscheinlich richtig en vogue zurzeit, und auch die Franzosen haben sich auf ihre Ikonen besonnen – vor kurzem war’s noch die Sagan, nun ist’s die Chanel. Zwei unkonventionelle Frauen ihrer Zeit, jede für sich brach mit Traditionen und Gebräuchen, jede für sich arbeitete sich offenbar Zeit ihres Lebens an der Liebe ab und jede wurde ungeachtet dessen legendär, wenn auch nicht unumstritten.
Anne Fontaine umreißt in ihrem Zweistundenwerk ungefähr dreißig Jahre im Leben Chanels, beginnend mit ihrem Weg ins Waisenhaus anno 1893, endend in den frühen Zwanzigern in Paris, wo sie sich als Modemacherin etablieren kann und ihre erste aufsehenerregende Fashion Show an den Start bringt. Dazwischen liegt ihr Weg durch die Provinz, die sie an der Seite ihrer Schwester Adrienne singend in kleinen Cabarets beackert, immer von der Sehnsucht nach dem großen Erfolg in der großen Stadt getrieben, schon in jungen Jahren forsch und zugleich sperrig. Das begrenzte Repertoire alberner Liedchen bringt sie immerhin mit dem stinkreichen Industriellen und Dandy Balsan zusammen, mit dem sie in den folgenden Jahren eine lockere, wechselhafte Liebschaft unterhält, der sie aber immerhin in die sogenannte große Gesellschaft einführt, auch wenn sie konsequent auf Distanz bleibt. Aus Gabrielle wird rasch Coco, sie kleidet sich gern jungenhaft und völlig gegen die herrschende Mode und rümpft die Nase über den ganzen Tüll und Plüsch, den sich die noblen Damen auf den Hintern hängen. Coco will etwas ganz Eigenes schaffen und sein, nur braucht sie sehr lange, um herauszufinden, wo genau sie das finden könnte. Inzwischen verliebt sie sich in den Briten Arthur, einen Geschäftsfreund Balsans, der sich allerdings nicht festlegen und entscheiden kann und sich schließlich zu einer standesgemäßen Verbindung überreden lässt und kurz nach dem krieg durch einen Autounfall ums Leben kommt. Coco wagt den Absprung nach Paris, bleibt Balsan zwar verbunden, doch ist sie offenbar entschlossen, sich nicht von Männern abhängig zu machen. Im Nachspann lesen wir denn auch, dass sie trotz zahlreicher Liaisons niemals geheiratet, sich stattdessen lieber dem Aufbau ihres Imperiums gewidmet hat.
Die größte Attraktion des Films ist erwartungsgemäß die grandiose Darstellung Audrey Tautous, deren faszinierende Ausstrahlung auch dann einen besuch lohnt, wenn man so wie ich mit der ganzen Modewelt reichlich wenig im Sinn hat. Tautou ist in jeder Phase glaubwürdig, lebendig, das absolute Zentrum des Geschehens. Auch wenn Geschichten wie diese zwangsläufig Spekulationen und Legenden enthalten, liefert Tautou ein beeindruckendes Porträt einer Frau, die sich sehr bewusst in einer konservativen und klassenbetonten Männerwelt positioniert, die Männern keineswegs abgeneigt ist, die sich nur nicht domestizieren und dominieren lassen will und die ihren Fokus unzweifelhaft auf ihre Selbstverwirklichung legt. Das tut sie so kompromisslos, dass sie ihre Mitmenschen oft vor den Kopf stößt, vor allem die Herren, die mit ihrem gradlinigen, burschikosen Wesen nicht zurechtkommen, auch nicht mit den weiblichen Anteilen, die sich manchmal ganz normal nach Geborgenheit und Liebe sehnen. Chanel nutzt zwar Balsans Einfluss (und auch seine Moneten), will ihm jedoch nicht verpflichtet sein, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruht, denn er ist längst bekannt für seinen lockeren Lebenswandel in Bezug auf Damenbekanntschaften. Dennoch nimmt er in diesem Film eine wichtige Rolle ein, war offenbar einer derjenigen, die Coco Chanel auf ihren Weg gebracht haben.
Die Darsteller um Tautou sind sämtlich sehr gut, stehen allerdings klar in ihrem Schatten, was für mich kein Problem ist, da ich sie sowieso klasse finde und sie sich in dieser Rolle niemals unangenehm produziert. Leider schafft es Anne Fontaines Drehbuch nicht, die Unterhaltsamkeit und Spritzigkeit der ersten halben, dreiviertel Stunde über die gesamte Strecke zu bringen, was speziell dann passiert, wenn die Liebesgeschichten zu sehr in den Vordergrund rücken. Überraschenderweise ertappte ich mich dabei, dass ich gerade an Chanels Modeideen Interesse zeigte (natürlich hatte ich zuvor null Ahnung davon) und ihren strengen, klaren Stil sogar ziemlich interessant und ästhetisch fand. Zwar gelingt es Fontaine durchaus, zwischendurch immer wieder Bezüge dazu herzustellen und anzudeuten, wie Chanel ausgerechnet zu diesem Stil fand, trotzdem hätte ich gern mehr von dieser sozusagen öffentlichen Seite Chanels kennengelernt, zumal ich die Liebesaffären sooo spannend und bewegend auch nicht fand. Insgesamt also ein streckenweise, sicher nicht durchgehend interessanter und auf jeden Fall gut inszenierter und herausragend gespielter Film, der mich nun allerdings nicht endgültig für das Biopic-Genre eingenommen hat. Da hat die Weltgeschichte doch wohl noch ein paar andere Stories in petto, oder? (25.8.)