Il Divo (Der Göttliche) von Paolo Sorrentino. Italien, 2008. Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Giulio Besetti, Flavio Bucci, Carlo Buccirosso, Giorgio Calangeli, Albert Cracco, Achile Burgnini, Fanny Ardant

   Solche Filme können nur die Italiener machen, allein ich weiß nicht, ob man sie deshalb beneiden sollte. Bei allem berechtigten Frust über Verstrickungen und Verfilzungen hierzulande muss man doch feststellen, dass Italien zumindest im ach so zivilisierten Westeuropa dasjenige Land ist, das einer Bananenrepublik am nächsten kommt, denn nirgendwo sonst herrscht wohl eine solch denkbar enge Koexistenz von Politik und mafiösen Machenschaften, nirgendwo sonst scheint eine kontinuierliche politische Arbeit so schwer, nirgendwo sonst das politische Chaos so immens zu sein. Giulio Andreotti ist ein Synonym für diese Verhältnisse, weswegen ein Film über ihn zugleich ein Film über die politische Kultur Italiens im Ganzen ist, die Quintessenz einer ebenso delikaten wie monströsen Verbindung, die Quintessenz der Unantastbarkeit und der Unfähigkeit der Justiz, innerhalb des Systems für so etwas wie Gerechtigkeit zu sorgen. Und jetzt haben sie Berlusconi! In den letzten dreißig Jahren wurde nicht weniger als achtundzwanzigmal der Ministerpräsident gewählt, und das war in all den Jahren der italienischen Republik so, einige der Herren hatten das Amt fünfmal, sechsmal, siebenmal inne, manche nur für wenige Wochen und Monate, selten regierte mal ein Ministerpräsident tatsächlich für mehrere Jahre. Man sieht’s im Fernsehen, liest es in der Zeitung, schüttelt den Kopf und denkt, die Italiener sind unregierbar und kriegen überhaupt keine kontinuierliche politische Struktur auf die Reihe. Andreotti selbst war ganze siebenmal in diesem Amt, zuletzt für ein Jahr von April 1991 bis April 1992, und da er längst zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden war, konnte er auch danach und zwischendurch munter an der politischen Debatte teilnehmen. Alle Versuche, ihm an den Kragen zu gehen, die Tagebücher Aldo Moros auszuwerten und seine Verbindungen zur Mafia juristisch zu verwerten, scheiterten. Entweder schaffte man es nicht einmal, seine diplomatische Immunität aufzuheben, oder ein bereits gesprochenes Urteil wurde von der nächst höheren Instanz wieder aufgehoben. So geschehen zuletzt 2002/03, und danach trat dann die Verjährung in Kraft, und also blieb Andreotti bis heute, da er neunzig Jahre alt geworden ist, unangetastet. Ein Typ, der eigentlich für den Film erfunden wurde, ein Typ, für den der Begriff „schillernd“ ebenfalls erfunden wurde, und darum kann man die Italiener dann doch vielleicht beneiden (zumal Andreotti weiß Gott nicht der einzige dieses Kalibers ist), oder wenigstens die Filmemacher, die natürlich eine einmalige Steilvorlage für wunderbare Filme wie diesen direkt vor der Nase haben und ihre Fantasie gar nicht groß anzustrengen brauchen. Beneiden darf man sie auf jeden Fall um die Freiheit, sich so unverblümt zu äußern, denn hierzulande würden zweifellos sofort Prozesse wegen übler Nachrede und Rufmordes angestrengt und der Film würde gar nicht erst gezeigt werden dürfen.

   „Il Divo“ ist eine grandiose und auch monströse politische Satire, wie ich sie lange nicht mehr und überhaupt nur ganz selten mal gesehen habe. Paolo Sorrentino kann guten Gewissens in die Vollen gehen in dem sicheren Bewusstsein, dass die Wahrheit sowieso nicht übertroffen werden kann und dass selbst übelste Anwürfe und Suggestionen vermutlich noch zu kurz greifen dürften. Folglich kann Sorrentino sich eine beißende Polemik zwischen Groteske, Surrealismus und bösem Politthriller leisten, eine Verbindung von Themen, wie sie so eben auch nur in Italien möglich sind.

   Wir sehen Andreotti in seinen späten Jahren, zur Zeit seiner letzten Amtsübernahme bis hin zu dem Zeitpunkt, da sich der Druck auf ihn erhöhte und die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen eines Strafprozesses stetig anstieg. Wir sehen Andreotti aber auch auf der Höhe seiner Macht, umgeben von einem Clan total ergebener Funktionsträger inklusive seiner Ehefrau, wir erleben ihn als eine Art Nosferatu, ein unscheinbares schmales Männchen mit Buckel, hochgezogenen Schultern, maskenhafter Mimik und puppenhaftem Gang, dessen Augen groß und ausdruckslos durch seine Brille blicken und vollkommen unberührt von alldem bleiben, was sich um ihm herum zuträgt. Die Diskrepanz zwischen seiner äußeren Erscheinung, die so gar nichts italienisch Flamboyantes an sich hat, und seinem tatsächlichen Einfluss ist fast schon furchterregend. Er hat ebenso enge Kontakte zur Kirche wie zur Mafia, er bleibt jahrzehntelang trotz wechselnder Ämter eine feste Größe in der italienischen Politik und nie verliert er den festen Blick auf die Macht, die ihm alles bedeutet und für die er buchstäblich über Leichen geht. Politische Morde sind an der Tagesordnung, immer mal wieder wandert ein Mafiaboss hinter Gitter, ohne dass die Organisation ernsthaft Schaden nimmt. Andreotti stolpert erstmals über Aldo Moro, der ähnlich wie Schleyer in Deutschland der Staatsraison geopfert wurde, mit dem bezeichnenden Unterschied, dass Moro nachtrat und in seinen posthum veröffentlichten Texten heftige Vorwürfe gegen Andreotti erhob, die dessen Image nachhaltig ins Wanken brachten und die Mafiaconnection publik machten. Andreottis Status der Unberührbarkeit wurde kurzzeitig erschüttert, letztlich aber doch bestätigt, wie uns der Text im Abspann lakonisch mitteilt, indem sämtliche Urteile umgehend revidiert und aufgehoben wurden.

 

   Sorrentino zeigt den schmächtigen Ministerpräsidenten als ein Mysterium, zugleich abstoßend und faszinierend – niemand hat einen vollständigen Überblick über die Reichweite seines Netzes, niemand könnte umfassend Auskunft geben über seine Drahtziehereien und Machenschaften, niemand kommt ihm überhaupt nahe und könnte ihn verstehen, nicht einmal seine Frau, die ihm ihrer Rolle gemäß vorbildlich und höchst öffentlichkeitswirksam stets loyal und brav zur Seite steht. Allein ihr gegenüber erlaubt er sich gelegentlich einen privaten Moment, ansonsten verhält er sich diskret, abgeschirmt, wortkarg. Der Film suggeriert folgerichtig auch gar nicht, das Phänomen Andreotti durchdringen zu können. Vielmehr unternimmt er einen Rundumschlag gegen die politische Kultur in Italien und zieht in aller Deutlichkeit zu Feld gegen Korruption, Gewalt, Verlogenheit oder Bigotterie. Rabenschwarzer Humor, jähe Musikattacken, sarkastische Überzeichnungen, unverblümte Angriffe oder auch hintergründige Anspielungen, alles ist dabei, alles ist vertreten und macht zusammen genommen einen extrem unterhaltsamen, aber auch extrem bösen Kinofilm, der alles andere als leicht verdaulich ist, aber das ist Realität eben auch nicht. Sorrentino geht einen großen Schritt weiter als die traditionellen italienischen Polit- oder Mafiafilme und präsentiert sein Land als ein irrwitziges Schmierentheater, das leider nicht zum Lachen ist, denn die Effektivität der Mafiakiller ist furchtbar, Attentate und Hinrichtungen gehören zum Tagesgeschäft, und eine ohnehin halbwegs verseuchte Justiz schaut hilflos zu. Grimmige Wut und das höhnische Gelächter des Ohnmächtigen mischen sich zu zwei furiosen Kinostunden, gegen die Nanni Morettis „Il Caimano“ direkt wie eine milde Spöttelei daherkommt. (23.4.)