Deutschland 09 von Angela Schanelec, Dani Levy Fatik Akin, Nicolette Krebitz, Sylke Enders, Dominik Graf und Martin Gressmann, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Hans Weingartner, Tom Tykwer, Romuald Karmakar, Wolfgang Becker, Christoph Hochhäusler. Dani Levy, Joshua Levy, Denis Moschitto, Jasmin Tabatabai, Sandra Hüller, Anneke Kim Sarnau, Karl Markovics, Joseph Bierbichler, Christoph Jacobi, Claudia Geisler, Uwe Bohm, Benno Fürmann, Mahmoud Rahimzadiany, Peter Jordan, Andreas Hofer, Andreja Schneider
13 kurze Filme zur Lage der Nation – klingt erst mal typisch deutsch hochgestochen, ist ja vielleicht auch ironisch gemeint, und ich finde schon, dass vielleicht nicht jeder dieser Beiträge dem Anspruch gerecht wird, aber das ist natürlich eine reine Frage der persönlichen Sichtweise. Fest steht, dass dreizehn zum Teil sehr namhafte deutsche Filmemacher ihre Sicht zum Stand der Dinge in hundertfünfzig sehr abwechslungsreichen und grundsätzlich nicht gerade leicht konsumierbaren Minuten gesammelt haben, und das Ergebnis ist ungefähr genauso vielschichtig und widersprüchlich wie unser ach so holdes Vaterland im Ganzen. Zwischen bierernsten Reflektionen, intellektuellen Gedankenspielchen, Sozialberichten, Minidramen à la Kleines Fernsehspiel und wüsten Grotesken ist alles vertreten.
Angela Schanelec kommt mit einer reizvollen, im Hier und jetzt verankerten Bildmeditation, Dani Levy mit einer abwechselnd bissigen und märchenhaften Fantasykomödie, Fatih Akin mit einem Interview zum Thema Terrorismus und Guantanamo, Nicolette Krebitz bringt Ulrike Meinhof und Susan Sontag zum Gedankenaustausch und Tanz zusammen, Sylke Enders wirft einen Blick auf soziale Realität und mediale Wahrnehmung, Dominik Graf und Martin Gassmann zeigen eine Meditation zur Architektur und zum Verschwinden einer Kultur, Hans Steinbichler lässt einen brüskierten FAZ-Leser Amok laufen, Isabelle Stever zeigt Konfliktmanagement in einer integrativen Grundschule, Hans Weingartner lässt in einer aktuellen Version der Katharina Blum einen unbescholtenen Bürger zum Opfer staatlicher Terrorismusparanoia werden, Tom Tykwer lässt einen Geschäftsreisenden die erdrückende Eintönigkeit des Leben im Wirtschaftsniemandsland erleben, Romuald Karmakar interviewt einen Bordellbesitzer und gewährt drastisch Einblick in Deutschlands schillernd-morbiden Unterleib, Wolfgang Becker zeigt Deutschland als maroden pathologischen Fall am Rand des Abgrunds, und Christoph Hochhäusler schließt den Kreis zum ersten Film mit einer weiteren, diesmal allerdings utopisch-ironisch gefärbten Bildmeditation.
So verschieden wie die einzelnen Filme sind, so spannend ist der Dialog im Ganzen, so vielfältig und überaus anregend die Denkanstöße, Perspektiven und Gewichtungen. Manche Filmemacher treten dezent hinter die Bilder oder die Erzählung zurück, andere sind deutlich wahrnehmbar, wenn auch häufig gefiltert durch reichlich Ironie. Denn natürlich fällt solch ein Projekt heutzutage weder besonders optimistisch noch in irgendeiner Form staatstragend aus, ganz im Gegenteil. Der Blick ist bestenfalls skeptisch, natürlich kritisch, manchmal von beißendem Spott, manchmal von verspieltem Witz, manchmal von Pessimismus gezeichnet, die Themen haben überwiegend einen klar politischen oder gesellschaftlichen Bezug. Manchmal geht der Blick zurück, um dann allerdings wieder auf die Gegenwart und ihre Verluste zu rekurieren, manchmal geht der Blick auch nur zurück, um uns eine weitgehend unbekannte und ziemlich abgründige Welt vorzustellen, und alles in allem erhebt dieses Projekt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern bleibt eine private, subjektive Bestandsaufnahme, die man genau so einordnen sollte. Deutschland erscheint hier als ein Land gezeichnet von tiefgehenden Identitäts- und Kulturkrisen, von wachsenden sozialen Konflikten und vor allem fehlenden wirksamen Lösungsansätzen, von politischer Unsicherheit in der gesamten globalen Vernetzung. Nicht alles daran hat mir logischerweise gut gefallen – Akins Beitrag ist enttäuschend trocken, Steinbichlers drastische Satire fand ich vor allem am Schluss zu platt, zu Krebitz‘ Planspiel habe ich keinen rechten Zugang gefunden, Weingartners Film ist etwas zu voll für die Kürze der Zeit -, das meiste jedoch ist gut gelungen: Levys verschrobener, frecher, launiger Humor, Tykwers stilistisch äußerst elegante Inszenierung, Enders‘ und Stevers überzeuget und überzeugende Verwurzelung im Sozialkino, Grafs tolle Bilder mit nachdenklichem Kommentar, Beckers wunderbar überdrehte, wüst polemische Satire und in gewisser Weise auch Karmakars kleine Dokumentation, obwohl das Thema natürlich recht unappetitlich ist. Zwei ruhige Meditationen als Auf- und Ausklang finde ich eine gute Idee, denn auch wenn man wie ich alles andere als ein Patriot ist (sondern das ganze Gegenteil davon), lohnt es sich aus verschiedenen Gründen sicherlich, über das Land nachzudenken, in dem man lebt, und es lohnt sich auf jeden Fall auch, sich mit den Gedanken anderer zu beschäftigen, und dazu ist diese Sammlung sehr gut geeignet, selbst dann, wenn man mit den Genre Kurzfilm an sich nicht sonderlich viel anfangen kann. In diesem Fall aber ist das für mich die passende Form, sie wurde sehr gut genutzt und zeigt außerdem, wie enorm kreativ und vielfältig die deutsche Filmszene gegenwärtig und seit etlichen Jahren ist. Solche Projekte sollte es alle zehn Jahre oder so geben – es wäre sehr spannend. (7.4.)