Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte von Birgit Schulz. BRD, 2009
Am Anfang drei Männer in einem Gerichtssaal – Horst Mahler auf der Anklagebank, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily als sein Verteidiger. Zwei engagierte Anwälte, die sich in den späten 60ern politisch klar links positioniert und ihre berufliche Tätigkeit daraufhin ausgerichtet haben, ein dritter Anwalt, den sein politisches Engagement in die extreme, die kriminelle Fraktion getrieben hat – aus einem Sprachrohr der APO und späterem Anwalt der RAF ist ein aktives Mitglied derselben geworden. Das war 1972. Gut dreieinhalb Jahrzehnte später sitzen diese Männer nicht mehr zusammen im Gerichtssaal, wollen oder können es nicht, werden folglich getrennt gefilmt und befragt zu ihren Biographien, ihren Werdegängen, ihren Beweggründen und ihren Resümees, jeder für sich allein. Aus drei Lebensläufen, woher sie kommen, was sie wollten, war sie taten und was aus ihnen geworden ist, formt sich, wie der Titel schon sagt, die jüngere deutsche Geschichte mit all ihren grotesken Widersprüchen, Umbrüchen und Konstanten, spannt sich ein Bogen, der deutlich weiter reicht als siebenunddreißig Jahren, der natürlich zurückreicht in die Nazizeit, in der die drei Männer geboren wurden, die sie erlebten, von deren Folgen sie geprägt wurden, jeder auf seine Weise. Jeder der drei kann Einflüsse und Prägungen sehr reflektiert benennen, tut dies auch vermeintlich offen und klar, dennoch zeigen sich schon hier beim genauen Hinhören deutlich Unterschiede in der Art der Verarbeitung, nicht nur dieses Teils der Biographie, sondern natürlich auch späterer Phasen.
Was für eine Geschichte: Politisiert, (mehr oder weniger) radikalisiert wie viele in den Jahren ab 1966, als sich der erstickende, alles verdrängende und vertuschende Muff der Wirtschaftswunderrepublik nicht mehr behaupten konnte gegen die neue Generation, die Antworten forderte, Dialog, Auseinandersetzung, Konsequenzen. Je repressiver und polemischer der Altväterstaat gegen die Äußerungen und Aktionen der Studenten zu Werke ging, desto heftiger und radikaler wurde der Widerstand, und in dieser Zeit betreten unsere drei Anwälte die Bühne, Mahler schon etwas eher, sodass er bereits ein profilierter Linkssprecher war und ein Umfeld aufbauen konnte für Leute wie Schily und Ströbele, die alsbald auf ihre Fahnen schrieben, niemals für die Repräsentanten der Reaktion arbeiten zu wollen, sondern nur für ihre Opfer. Bald zählten Leute wie Baader und Ensslin zu ihren Klienten, als diese jedoch den Schritt in den Untergrund machten, trennten sich auch die Wege der Anwälte: Mahler folgte der RAF zunächst noch, Ströbele und Schily blieben auf der anderen Seite, und als Mahler sich 1975 nach der Lorenz-Entführung weigerte, sich ausfliegen zu lassen, weil der Weg der Gewalt nicht der der „revolutionären“ Arbeiterklasse sei, bedeutete das noch lange keinen Schritt in Richtung Establishment. In den 80ern traten Schily und Ströbele den frisch gegründeten Grünen bei, der eine ein strategisch denkender, intellektueller Anzugträger, der andere ein überzeugter Pazifist und Grüner mit Herzblut. Schnell merkt Schily, dass er bei den Grünen fehl am Platze ist und tritt schließlich der SPD bei, bewegt sich politisch in eine deutlich andere Sphäre, während Ströbele bis heute ein Hardliner geblieben ist, dessen flammende Auftritte im Bundestag ihm auch reichlich Ärger mit der eigenen Partei eingebracht haben, zumal in der Zeit, als diese selbst an der Regierung waren und plötzlich Kompromisslösungen zwischen ideologischem Anspruch und politischer Praxis finden mussten und mehr als einmal bös in Schleudern gerieten. Ausgehen von dem neuerlichen Schub durch die imposanten Friedensdemos in den frühen 80ern, die zumindest Ströbele und Schily nochmal an einem Strang ziehen sahen, fächerten sich die Richtungen in den 90ern endgültig auf, der eine entschloss sich zur sogenannten Realpolitik unter weitgehender Aufgabe ehemaliger Überzeugungen, der andere blieb sich (zumindest an der Oberfläche) treu, ein Grüner, ein Linker. Der Dritte entschied sich für den mit Abstand abstrusesten Weg, treibt ins rechtsradikale Lager ab, taucht auf NPD-Demos auf, hält wirre reden über Hitler, Überfremdung und die Holocaustlüge und begründet diesen Wahn mit der Lektüre der Hegelschen Logik während seiner langen Zeit im Knast- Am Schluss ziehen drei Männer Anfang bis Mitte siebzig Bilanz, und dabei werden sie von der Interviewerin offenbar nicht allzu sehr in Bedrängnis gebracht.
Inhaltlich ist dieser Film faszinierend, keine Frage, so faszinierend wie eben die Geschichte ist. Man sieht und hört hier zwar im Großen und Ganzen nichts Neues aus dieser unerhört spannenden Zeit, dennoch sehe und höre ich es immer wieder mit Interesse. Die Idee, dass Ganze an diesen drei komplex miteinander verbundenen Biographien aufzuhängen, ist obendrein ausgesprochen anregend und erlaubt eine neue Perspektive auf viele bekannte Ereignisse. Gerade dies aber, die Unterschiedlichkeit dieser drei Biographien, die von vergleichsweise ähnlichen Ausgangspunkten starten, wird halbwegs verschenkt, weil die Dokumentaristin entweder viel zu brav vorgeht, oder aber die drei Herren sich jede tiefergehende und unbequeme Fragestellung von vornherein strikt verbeten haben. So bleibt uns nur die weitgehend ungebrochene und erst recht unwidersprochene Selbstdarstellung dreier Politiker, die in sowas natürlich bestens geübt und womöglich dankbar für das Forum sind: Ströbele gibt den integren, ungebrochenen (und im Vergleich zu den beiden anderen langweiligen) Idealisten. Der frisch gebackene Pensionär Schily hat keine Probleme, seinen doch recht abenteuerlichen politischen Wandel darzulegen, er gerät (leider) zu keiner Zeit in Erklärungsnot, tritt als altersmilder Souverän auf, der seine Karriere als folgerichtig und konsequent darstellen darf. Mahler, von den dreien die schillerndste, enigmatischste Figur, ist natürlich nicht so dumm, als wüst fabulierender Nazi zu posieren, vielmehr kleidet er sich dezent intellektuell, spricht gewählt, überlegt, klug, lässt sein gegenüber völlig im Unklaren über seine Beweggründe für das Umschwenken von radikal links nach radikal rechts (es sei denn, man kauft ihm das Geschwätz von wegen Hegel und so tatsächlich ab), und reflektiert souverän mit ironischer Distanz über die Wandlung seines alten Weggefährten Schily vom Terroristenanwalt hin zum Law-and-Order-Apostel nach 9/11. Vieles steht für sich und kann auch so stehen bleiben, und natürlich werden die letzten Geheimnisse dieser drei Männer nicht enthüllt, dennoch hätte ich mir etwas mehr Standpunkt seitens der Filmemacherin erwünscht, eine klarere eigene Position. Auch ein Dokumentarfilm darf so etwas haben, ich finde das sogar spannender als ein bloßes Abfilmen von Fakten, manchmal aber scheint es, als habe die Dame ein wenig zuviel Respekt vor den ergrauten honorigen Herrschaften gehabt, um ihnen wirklich zuleibe zu rücken und sie auch mal aus der Reserve zu locken. Die drei bleiben gänzlich unangetastet, und hier wäre doch mehr möglich gewesen. (6.12.)