Dorfpunks von Lars Jessen. BRD, 2008. Cecil von Renner, Ole Fischer, Pit Bukowski, Daniel Michel, Laszlo Horwitz, Samuel Auer, Meri Husagic, Axel Prahl, Bojan Heyn
Die Musik der 80er im allgemeinen und Rocko Schamoni sowie Punk im besonderen sind ja nicht so mein Ding, aber meine Liebe zum Norden der Republik gleicht das locker wieder aus, und meine Vorliebe für dieser Art von coming-of-age-geschichten über Freundschaft, Träumereien, Sehnsüchte und das vermeintlich nüchterne Erwachen im Alltag hat mich nicht zögern lassen, den Film zu sehen. Recht so, denn das ist natürlich ein sehr schöner Film, der, wie man so schön sagt, das Herz am rechten Fleck hat, nämlich oben in der Holsteinischen Schweiz zwischen der Seenplatte um Plön und der Küste drüber, und allein die vertrauten Impressionen der kleinen Backsteinkaffs, der schönen Ostseeküste und das gesamte herrlich ländliche Ambiente haben mich sofort für die Dorfpunks eingenommen.
Das ist eine Gang, die Mitte der Achtziger so ihre Probleme hat, denn Lederkluft trägt in der Gegend so gut wie keiner, Punk hört erst recht keiner, und das ominöse Ideologiegemisch aus Provokation, Verweigerung und alkoholisiertem Marxismus-Leninismus erregt höchstens Wut und Gewaltbereitschaft bei den vor Ort stationierten Zeitsoldaten und den lokalen Jungbauern, die den struppigen Nichtnutzen zu gern mal so richtig auf die Fresse hauen möchten – und es von Zeit zu Zeit auch tun. Unser Held Roddy zum Beispiel steckt auch ordentlich ein, doch irgendwie lässt er sich nicht unterkriegen und hat von allen immer die besten Ideen – er schlägt vor, die Band zu gründen, er gibt die Anregung, auch mal weg von der reinen Punklehre zu denken und den musikalischen Horizont zu öffnen, er trampt nach Italien und er darf wenigstens ganz kurz mal davon träumen, das tollste Mädchen am Platz zu kriegen. Das klappt zwar im Detail nicht immer so richtig, und alles kommt sowieso anders als geplant, aber am Schluss hat sich Roddy durch all die Rückschläge und Niederlagen seinen Optimismus nicht austreiben lassen, und genau darauf kommt es an. Die Band ändert jeden Tag ihren Namen, die wenigen Auftritte sind desaströs, die Einladung zur Party der Angebeteten wird von den besoffenen Kumpels sabotiert, ein Schlauchbootausflug auf die Ostsee endet mit einer Havarie, Mama und Papa („Wir haben doch immer über alles geredet…“) schauen ständig nur verständnislos und überfordert aus der Wäsche, und der Zusammenhalt der Band geht flöten, als Roddy musikalische Kompromisse vorgeworfen werden, doch zuletzt steht er als Nasenflötenpunk auf der Bühne, unbeirrt bereit für neue Abenteuer. Er sieht aus wie ein junger Groucho Marx mit großen Augen und einem entrückten Lächeln im Gesicht, und ist auch für uns Zuschauer nicht recht zugänglich, weil er sich irgendwie ganz unangefochten durch jede Szene träumt und zumindest ich keine wirkliche Nähe herstellen konnte (so wie auch zu den anderen Typen nicht), doch ist die gesamte Haltung des Films so sympathisch und die einzelnen Episoden sind mit so viel gutem Timing und Sinn für Komik und Absurdität erzählt, dass die ganze Sache dennoch Laune macht. Sehr nachvollziehbar ist das Gefühl, als Freak auf dem Land unter Bauern und Soldaten aufzuwachsen und ständig hin- und hergerissen zu sein zwischen der Suche nach Anerkennung und der Lust auf Opposition und Provokation, wobei der Punk von den Bandmitgliedern durchaus unterschiedlich ernst genommen wird – für den einen ist es ein essentielles Lebensgefühl, der andere will eigentlich nur seinen Spaß haben und schaut nicht so sehr auf die Ideologie, wodurch dann letztlich die Freundschaft entscheidend angeknackst wird.
Lars Jessen hat ein gutes Schauspielerteam versammelt, keine Stars sondern Typen, die perfekt zu ihren Rollen passen, nur Axel Prahl wird eingeschmuggelt als musikbegeisterter Thekenwirt, der Roddy die Augen öffnet für ganz neue Klänge und Möglichkeiten. Und so kommen wir in den ganz seltenen Genuss, Captain Beefhearts einmalige Stimme in einem Soundtrack zu vernehmen, ein Vergnügen, das an sich fast schon den Kinobesuch lohnt, aber natürlich ist der Film insgesamt absolut sehenswert. (3.5.)