Effi Briest von Hermine Huntgeburth. BRD, 2008. Julia Jentsch, Sebastian Koch, Mišel Maticevic, Rüdiger Vogler, Barbara Auer, Margarita Broich, Thomas Thieme, Juliane Köhler, Mirko Lang, Sunnyi Melles

   Der missmutige Kinogänger wird sich fragen, was uns Theodor Fontanes berühmt-berüchtigter Oberstufenquäler nach knapp hundertzwanzig Jahren heute noch sagen kann, und wenn man so fragt, mag dies seine Berechtigung haben – Fontanes Welt mitsamt ihrer Standesordnung und ihrem Rollen- und Ehrenkodex ist längst verschwunden, kein Hahn kräht heute noch nach Heiratsversprechen, Ehebruch und dergleichen, keine bescheuerten Duelle werden deswegen mehr ausgefochten und hoffentlich müssen weder Geliebter noch untreue Gattin an den Folgen ihrer Affäre bzw. der darauf folgenden gesellschaftlichen und familiären Ächtung zugrunde gehen. Aber: Es gibt diesen Film, den insgesamt fünften, und so wie ich es sehe, wird er keine Schwierigkeiten haben, als der bislang beste der Reihe durchzugehen, auch wenn er formal vielleicht nicht so radikal ist wie Fassbinders sperriges Exerzitium (das natürlich „Fassbinder Effi Briest“ hätte heißen müssen), und auch wenn er den Schluss entscheidend verändert, denn diese neue Effi stirbt keineswegs in der Obhut ihres Elternhauses an „gebrochenem Herzen“, nein, sie geht im Gegenteil gestärkt und mit neuer Entschlossenheit aus vermutlich ihrem letzten Treffen mit den Eltern hervor, schreitet erhobenen Hauptes geradewegs am belämmert dreinblickenden Ehegatten vorbei hinein ins Berliner Leben. Eine Provokation für die Fontanejünger, aber natürlich auch eine Geste, denn wie oben bereits gesagt, lässt sich die Geschichte in dieser Form heute kaum noch vertreten, und irgendwie ist es ja auch nein reizvoller Kontrast, dass ein formal recht konventionelle gestalteter Film am Ende eine deutlich emanzipatorische, fast schon feministische Botschaft verkündet, in der sich die Frau, die als junges Mädchen gegen ihren Willen allein aus elterlichem Kalkül verheiratet worden war, mit Hilfe einer rein erotisch motivierten Affäre aus den Zwängen löst und sich trotz der bitteren Trennung von ihrer Tochter weiter entwickelt und neue Kraft findet.

   Wie schon gesagt, Form und Optik gehören weitgehend den Regeln des klassischen Ausstattungsfilms, doch das ist diesmal kein Problem, denn erstens erzählt Huntgeburth dennoch zügig, straff, spannend und lässt die normalerweise unvermeidlichen, üppig-zähen Massenszenen fast gänzlich weg, und zweitens sind die Bilder von der wunderbaren polnischen bzw. lettischen Küstenlandschaft einfach so großartig und imposant, dass ich als Ostseefan mich genussvoll zurücklehnen und schlicht und einfach schwelgen konnte, und in solchen Momenten freue ich mich über die große Leinwand, denn dafür ist dieser Film gemacht. Das Zeitgenössische, gesellschaftliche, der gesamte fontanesche Lokalkolorit werden angenehm knapp und präzise umrissen, denn all das kann man wohl als bekannt voraussetzen, hier geht es in erster Linie um die Geschichte einer Frau zwischen der Pflicht als Tochter und später Ehefrau und ihrem eigenen Gefühl, das sie in eine andere Richtung leitet. Alle daran beteiligten Personen erhalten ein klar konturiertes Gesicht, doch stärker als im Roman steht hier die Effi im Zentrum, und so betrachtet verfolgt Huntgeburth ihr Konzept sehr konsequent, und sie kann sich das leisten, denn mit Julia Jentsch hat sie eine fantastische Effi Briest, die den Vergleich mit ihren Vorgängerinnen nicht nur locker aushält (die Hoppe litt halt unter der Diktatur anno 39 und die Domröse unter der Diktatur anno 68), sondern sie alle ebenso locker übertrifft (man denke an Ruth Leuwerick, die Chefsekretärin der 50er, oder an Hanna Schygulla, die Schlafwandlerin der 70er). Ihre physische Präsenz allein ist faszinierend, so kraftvoll und ausdrucksstark habe ich sie bislang eigentlich noch nie gesehen, obwohl sie natürlich auch als Sophie Scholl extrem beeindruckend war. Die Kamera ist auf sie fokussiert, auf ihren oft dunklen, zweifelnden Blick, auf die Augen, die ausdrücken, was sie verbal nicht zu äußern vermag, und dann auch ganz explizit auf den ganzen Körper, der sich im Zusammentreffen mit dem Major von Crampas befreit. Diese befreiende Kraft der Sexualität wird von Huntgeburth stark betont, auch dies Teil ihres Konzepts, auch dies in diesem Rahmen absolut schlüssig und angemessen, denn schließlich geht’s bei Ehebruch ja in den meisten Fällen um Lust und Befreiung, auch bei Fontane, nur herrschten damals noch etwas andere Sitten, und so kann heute offen gezeigt werden, was damals zwischen den Zeilen erschien. Das hat nichts mit plattem Voyeurismus zu tun, auch hier bleibt der Blick auf Effi gerichtet, die Sex erstmals nicht als ehelichen Missbrauch erlebt, sondern als ein genussvolles Erlebnis, und der zugleich bewusst ist, dass von Liebe zwischen den beiden zumindest anfänglich nicht die Rede sein kann, erst später entwickelt sich die Beziehung anders, und als Effi die Nachricht von Crampas‘ Tod im Duell erfährt, wird deutlich, dass sie ihn doch wohl geliebt hat.

 

   Ein ausgewogenes, überzeugendes Drehbuch, eine grandiose Hauptdarstellerin und eine Fernweh erzeugende Optik machen eben doch manchmal einen guten Film, egal wie bekannt und ausgewalzt das Sujet auch sein mag. Mal schauen, ob jetzt der Fontane neu fürs Kino entdeckt wird – Nachholbedarf herrscht allemal. (18.2.)