Un secrèt (Ein Geheimnis) von Claude Miller, Frankreich, 2009. Cécile de France, Patrick Bruel, Ludivine Sagnier, Julie Depardieu, Mathieu Almaric, Nathalie Boutefeu, Sam Garbarski
Eine komplexe Geschichte über vier Zeitebenen, die den Bogen spannt von der Besatzungszeit in Frankreich bis in die 80er Jahre, eine Geschichte über Schuld und Vergessen und ein tragisches Familienschicksal, und wer befürchtet, dass daraus jetzt eine kapitale Hollywoodschnulze geworden wäre, sieht sich gottlob eines Besseren belehrt. Großes Kino natürlich, aber manchmal ist großes Kino auch gutes Kino.
Die Geschichte des Jungen François, der schon bei seiner Geburt den ehrgeizigen Ambitionen seiner Eltern nicht gerecht wird, denn er ist ein schmächtiger, schwächlicher Knabe, und Mama und Papa, beides schöne, trainierte Menschen, frönen dem Fitness- und Körperkult. Maxime will aus dem Stammhalter einen harten Kerl machen, Tanja blendet mit ihrer Schönheit, Grazie und ihrer tollen Schwimmtechnik, und so sucht François Zuflucht, zum einen zur Nachbarin Louise, die ihn genauso liebt, wie er ist, und zum anderen in eine imaginäre Welt, wo es einen Bruder gibt, der all das tut und kann, wozu er selbst nicht in der Lage ist. Einige Jahre später dann, als François auf dem Weg ins Erwachsensein ist und schon begriffen hat, dass sich hinter der perfekten Fassade der Eltern ein Geheimnis verbirgt, beginnt Louise, ihm zu erzählen, wie sich Maxime und Tanja während der Kriegszeit trafen, dass vor allem Maxime eine bedeutsame Vorgeschichte hat und dass es tatsächlich einen Bruder gab, den François allerdings nie kennen lernen konnte und dessen unfassbar tragisches Opfer sein eigenes Leben gewissermaßen erst ermöglichte. Zwischendurch sieht man dann noch in Schwarzweiß den erwachsenen François, dreißig Jahre später selbst Familienvater, wie er mit den Eltern zusammentrifft und der Eindruck entsteht, die Altlasten der Vergangenheit seien nun halbwegs überwunden und begraben.
Auf diese Szenen hätte ich trotz ihrer schönen Optik der Präsenz des geschätzten Mathieu Almaric fast noch verzichten können, denn sie fügen dem gesamten Konstrukt nichts Wesentliches hinzu, weder brechen sie neue Emotionen auf noch bieten sie eine andere Perspektive oder konfrontieren uns mit François‘ möglichen Konsequenzen aus dem, was Louise einst erzählte. Ich würde dies allerdings nicht wirklich als Mangel ansehen, vielleicht wollte man in Anlehnung an den Roman die Sache entsprechend rund machen oder auch nur verdeutlichen, dass Verdrängung ein Mechanismus ist, der manchmal ziemlich gut funktioniert.
Claude Millers Film ist sehr eindrucksvoll, er ist emotional sehr intensiv, spannend, tiefgründig und künstlerisch meiner Meinung nach besonders gut gelungen, obwohl er sich durchaus nicht scheut, auch konventionelle Elemente des Melodramas einzubauen, diese aber eher im Sinne eines bewussten Zitats. Vor allem die unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven werden brillant differenziert: Der Blick des mittelmäßigen kleinen Jungen auf seine fast übermenschlich strahlenden Eltern, den kernigen Papa und seien Turngeräte, die umwerfende Mama, die aus jedem Sprung im Schwimmbad eine große Show macht, der deutlich nüchternere Blick des erwachsenen François auf die beiden nun stark gealterten und gezeichneten Menschen, und der Blick der jüdischen Nachbarin Louise auf ein Drama, das dem Film eine ganz neue Wendung gibt. Plötzlich geht es um die Besetzung durch die Nazis, die Haltung und Kultur der französischen Juden, die Flucht in die „freie Republik“, es geht um Liebe und Eifersucht und um eine junge Frau und Mutter, die sich und ihr Kind an die Nazis ausliefert als sie merkt, dass sie ihren Mann, den Nichtjuden Maxime an eine andere Frau, nämlich Tanja, verloren hat. Das perfekte Paar wahrt zwar nach Außen den Anschein der Unantastbarkeit, doch zeigen sich hier und da Risse und Verletzlichkeiten, die die beiden letztlich auch als Menschen zeigen, die eigentlich nur ihrem Gefühl folgen wollten und nicht anders konnten und denen nun nur die Verdrängung bleibt.
Sicherlich kann der Film nicht alle Tiefen und Nuancen seiner psychologisch vielschichtigen Vorlage ausloten, dazu ist ein Film dem Buch gegenüber von vornherein im Nachteil, doch er holt mit sensibler Regie und einem beeindruckenden erstklassigen Schauspielerensemble Beachtliches heraus, verbindet bruchlos und gekonnt klassisches Liebesdrama mit Zeitgeschichte und anspruchsvollen Charakterstudien, und allein der letztgenannten wegen lohnt sich der Kinobesuch in jedem Fall. (6.1.)