Adam resurrected (Ein Leben für ein Leben) von Paul Schrader. Israel/BRD, 2008. Jeff Goldblum, Willem Dafoe, Derek Jacobi, Ayelet Zurer, Joachim Król, Tudor Rapiteanu, Dror Keren, Idan Alterman, Jenya Dodina, Juliane Köhler, Moritz Bleibtreu

   Paul Schrader ist einer der wenigen US-Regisseure, die immer mal für etwas Abenteuerliches gut waren, nur leider zu selten im positiven Sinn – der eine oder andere gelungene Film ist dabei, oft genug aber hat er für meinen Geschmack reichlich schräges Zeug abgeliefert, und wirklich gern erinnere ich mich eigentlich nur an „Blue Collar“ und „Light Sleeper“ („Cat People“ mit Einschränkungen…), während er als Autor eher noch auf sich aufmerksam gemacht hat (z.B. „Taxi Driver“). Mit gut über sechzig aber hat er seine Abenteuerlust scheinbar nicht verloren und als israelisch-deutsche Koproduktion diesen Film gemacht, seinen bislang mit Abstand besten, einen Film, an den man sich noch lang erinnern wird, und dies nicht allein aufgrund seines Themas, sondern gleichberechtigt aufgrund seiner großartigen künstlerischen Qualitäten. Schrader, der hier nicht als Drehbuchautor fungiert, zeigt sich bei der Umsetzung des schwierigen, sehr kontrovers rezipierten Romans von Yoram Kaniuk sehr mutig und konsequent, und falls der Film, nicht genau so rücksichtslos ist wie der Roman, liegt dies zum ersten an den Begrenzungen des Mediums und zum anderen auch daran, dass der Roman bereits vor vierzig Jahren erschien und seitdem natürlich eine Unmenge Material jedweder Art über den Holocaust und seine Folgen veröffentlicht worden ist.

   Wir sehen drei Versionen von Adam Stein: Den gefeierten Varietéstar in Berlin der späteren 20er und frühen 30er, den gequälten und erniedrigten Juden im KZ, und traumatisierten, psychotischen und rätselhaften Patienten einer Wüstenklinik nahe Tel Aviv anno 1961. In der Klinik ist er der Star unter seinesgleichen, ein irrlichterndes Genie, das plötzlich zu bluten anfängt und rätselhafte Heilungen bewirkt, dem eine Krankenschwester sexuell hörig ist und den der Klinikleiter Dr. Gross zu seiner persönlichen Chefsache erklärt hat. Ein Panoptikum zerstörter Gestalten, jener Opfer, die man auf lange Sicht stets vergisst, sie haben zwar überlebt, eigentlich aber sind sie alle im KZ gestorben, und was nun von ihnen übrig ist, ähnelt einer verzerrten, zerfetzten Hülle, die nur noch von fern menschliche Züge hat und die dennoch die Essenz des Menschen in sich birgt. Hier sind markerschütternde Komik und Tragik unmittelbar ineinander verflochten, und vermutlich hat nur ein jüdischer Künstler die Autorität, sich solch eine Darstellung erlauben zu dürfen. Stein gestattet sich regelmäßige Ausbrüche in seine Pension in der Stadt, wo er seine verzweifelten sexuellen Phantasien an seiner Wirtin auslässt, die wer zugleich begehrt und misshandelt in dem vergeblichen Versuch, sich selbst zu spüren und irgendetwas von dem, was für immer in ihm verkapselt bleibt, zutage zu fördern. Der Spagat klafft noch weiter auf in den Erinnerungen. Seine riskant provokativen, verspielt ironischen und genüsslichen makabren Zirkusnummern spielen leichtfertig mit dem Leben, seine Aura des charismatischen, souveränen Magiers wird brutal und bitter gegen ihn gekehrt, als er im KZ just jenen Mann wiedertrifft, dem er einst praktisch das Leben rettete, damals ein jämmerliches Häufchen Elend, dem Suizid nahe, und nun ein Teufel in Uniform, Nazioffizier im KZ, nun seinerseits Herrscher über Leben und Tod, und es ist ihm eine diabolische Freude, den Juden Stein, der ihm nun vollkommen ausgeliefert ist,. auf furchtbarste Weise zu erniedrigen und zu demütigen und zugleich Frau und Tochter in die Gaskammer zu schicken, obwohl Stein bis zuletzt um ihr Leben bittet. Stein muss als Hund auf allen Vieren kriechen, muss vom Hundeknochen essen, muss bellen und im Zwinger Schlafen und kann dennoch seine Familie nicht retten, und fünfzehn Jahre später muss er sich zusätzlich noch die Verachtung seines Schwiegersohns anhören, der ihm vorwirft, das Liebchen des Kommandanten gewesen zu sein und zum  Massenmord im Lager noch Geige gespielt zu haben. Dann entdeckt er in der Klinik den verstörten Jungen, der auf allen Vieren geht und sich nur durch Belllaute äußern kann. Mit allen Mitteln geht er daran, ihn zum aufrechten Gang zu bewegen, und indem ihm dies gelingt, nimmt er ein Stück Selbsttherapie vor, bewältigt sein eigenes Trauma wenigstens zu einem kleinen Teil. In dem kleinen Davey sieht er sich selbst, und indem er Davey wieder zu einem Menschen macht, lässt er auch den Menschen in sich neu aufleben. Dr. Gross erkennt als einziger Arzt diese Verbindung und lässt Stein deswegen gewähren, eine Entscheidung, die Stein zu einem neuerlichen Versuch außerhalb der Klinik verhilft.

  Hinter dem bitteren Humor, hinter den grotesken Verzerrungen, hinter den skurrilen Fassaden und schrägen Typen wissen wir stets den Abgrund, und der ist tiefer, als man sich vorstellen kann, wenn man nicht selbst dort hinabgeblickt hat. Schrader tut gut daran, keine direkten Bilder für das Grauen des Holocaust finden zu wollen, die Szenen zwischen Stein und Klein reichen vollauf, und ansonsten genügen uns die für immer verstörten, in ihrer Menschlichkeit tief erschütterten Überlebenden in der Klinik, die sich von den Toten in nicht viel unterscheiden, und es genügt uns das Gesicht Jeff Goldblums, der hier eine außergewöhnliche, seine bisher weitaus eindrucksvollste Darstellung zeigt und in dessen Augen sich all das spiegelt, was nicht ausgesprochen,. Nicht bebildert werden kann.

 

   Ein launischer, sperriger künstlerisch brillanter und radikal mutiger Film, der sich nicht sofort zugänglich gibt, dessen Tonfall schlagartig zwischen Komik und Tragödie wechselt, dem aber wie wenig anderen nur gelungen ist, die unerträgliche Last der Erinnerung, der Erfahrung, die unerträglich schwere Aufgabe der Verarbeitung ebenso nachfühlbar zu machen wie die Zerstörung der Seele, der Identität, der menschlichen Würde, und ich musste beim Zuschauen immer an all jene vielen Ignoranten denken, die da so gern sagen, man müsse all das doch endlich mal ruhen lassen und vergessen und irgendwann sei es ja wohl mal gut damit. Das genaue Gegenteil ist der Fall, das wird einem hier mal wieder klar, und nicht nur deshalb wird dies einer der großen, wichtigen Filme des Jahres sein. (26.2.)