Gigante (#) von Adrián Biniez. Uruguay/Argentinien/BRD, 2009. Horacio Candule, Leonor Svarcas, Fernando Alonso, Diego Artucio, Ariel Caldarelli, Néstor Guzzini
Jara aus Montevideo ist ein Bär von einem Kerl, eher schüchtern und gutmütig, ein Wachmann im Supermarkt und ein Türsteher in der Disco, einer, der Biohazard und andere Totschlagmusik hört und T-Shirts von Motörhead und anderen Totschlägerbands trägt, einer, der tagsüber öfter mal auf den Neffen aufpasst (sprich Playstation mit ihm spielt) und der von der Schwester ein wenig versorgt wird, und so schleppt sich das Leben dahin. Bis er eines Tages auf dem Monitor Julia sieht, die nachts im Supermarkt putzt und wischt, und in die er sich sofort verliebt. Weil er aber ein schüchterner Bär ist, der nur dann gefährlich wird, wenn man ihn reizt, traut er sich natürlich nicht, sie anzusprechen. Vielmehr folgt er ihr durch den Tag, in ein Internetcafé, ins Kino, in Kneipen und auf den Straßen bis runter zum Atlantikstrand, den sie so liebt, weil sie ein Mädchen vom Lande ist, wie ein Kollege aus dem Supermarkt zu berichten weiß. Jara ist eifersüchtig auf jeden, der ihr nahe kommt und wütend auf jeden, der ihr dumm kommt. Er schenkt ihr einen Kaktus (ein echter Frauenversteher also!), und als sie gefeuert wird, rastet er total aus, demoliert den halben Supermarkt, haut dem miesen Abteilungsleiter endlich mal so richtig auf die Fresse und lässt sich ebenfalls feuern. Schließlich kämpft er seien Schüchternheit nieder, und wir sehen die beiden zum Schluss minutenlang nebeneinander am Strand sitzen.
Eine lakonische Liebesgeschichte zweier Außenseiter, zurückhaltend, poetisch, kauzig humorvoll, klassischer Stoff fürs Independentkino und ein fast sicherer Festivalhit in einschlägigen Kreisen. Was in diesem Fall gar nicht abwertend zu verstehen ist, denn der Film ist wirklich schön, er ist zärtlich und komisch und er nimmt nicht für sich in Anspruch, die Innenwelten seiner Protagonisten bis in die letzten Ecken und Kammern ausleuchten zu wollen. Vor allem Julia bleibt angenehm geheimnisvoll – eine junge hübsche Frau ohne festen Bezug, mit offenbar sehr spärlichen menschlichen Kontakten (sie versucht sogar, ein Date im Internet anzubahnen), mit einer Vorliebe für Hardrock und Mutantenaction statt des Liebesfilms, wie Jara irrtümlich angenommen hatte, und auf keinen Fall eine süße, glatte, langweilige Heldin, wie man sie in einschlägigen Hollywoodmachwerken antreffen würde. Auf den ersten Blick sind die zierliche Hübsche und der klobige liebe Kerl nicht gerade ein naheliegendes Paar, doch haben sie ein paar Interessen und Geschmacksrichtungen gemeinsam und darüber hinaus wie gesagt ihren Außenseiterstatus, der sie im Ernstfall zusammenhalten lassen könnte, und was er alles unternimmt, um sich ihr überhaupt mal anzunähern ungeachtet der hier nicht mehr gezeigten Folgen seines mutigen Vorstoßes, würde den beiden ebenfalls schon eine gewisse Basis geben. Zwischen etlichen blutigen Nasen, Arbeitskampf und Kontrollzwang per Videoüberwachung ist einiges im Angebot, und der Film nutzt die Chance für treffliche Satire und Ironie. Ein paar Dinge kommen hier eher nebenbei zur Sprache – der aktuelle herrschende Totalkapitalismus, der auch vor Südamerika natürlich nicht haltmacht und seine Blutspur auch dorthin zieht, Mobbing, Machotum und allgemein ein gesellschaftliches Klima, das einen gewissen Druck, ein Unbehagen verströmt, ohne dass dies hier genau verortet und erklärt werden würde. Dies ist schließlich kein sozialkritischer Film, sondern ein Liebesfilm, der sich lediglich ein bisschen mehr Mühe als gewöhnlich mit der Skizzierung zwischenmenschlicher Umstände gibt. Es gibt zauberhaft charmante Szenen, manchmal ein bisschen Großstadttristesse, manchmal auch herbstlich sonnige Poesie, zwei vorzüglich ausgewählte Hauptdarsteller und alles in allem einen Erzählstil, der mir deutlich näher kommt als die meisten anderen südamerikanischen Filme der letzten Jahre. So genanntes „kleines“ Kino, würde man vielleicht sagen, aber eins von der ganz feinen Sorte. (15.10.)