Jerichow von Christian Petzold. BRD, 2008. Benno Fürmann, Nina Hoss, Hilmi Sözer
Wie gut, dass man sich wenigstens auf den Petzold verlassen kann. Der liefert, mit der marginalen Ausnahme de nicht ganz so gelungenen „Gespenster“, seit Jahr und Tag seine beeindruckend konzentrierten Dramen, und er ist sich auch mit „Jerichow“ in jeder Hinsicht treu geblieben. Ein Dreipersonenstück mit starker Sogwirkung, eine Geschichte, die wie alle Petzoldgeschichten fast völlig auf Außenreize verzichtet und sich ganz auf Stimmungen und Innenleben konzentriert – und sich das sogar leisten kann, weil Petzold ein so hervorragender Regisseur und Erzähler ist, wie er hier einmal mehr bewiesen hat.
Drei Menschen mit Vergangenheit treffen in der Provinz nahe Jerichow (zwischen Stendal und Brandenburg, für alle, die es unbedingt wissen wollen) aufeinander: Ein Ex-Soldat, unehrenhaft entlassen, Kämpfer im Mittleren Osten, und nun vor den Trümmern seines verwaisten Elternhauses stehen. Eine Frau, die auch schon allerhand hinter sich hat, und zwar zumeist nichts Gutes, die nun vor allem über Wasser bleiben und anständig behandelt werden will. Das tut ihr derzeitiger Mann auch, ein türkischer Imbissbudenbesitzer, geschäftstüchtig und energisch, der die Frau vielleicht eher besitzt als sie zu lieben, der sie aber immerhin vor dem totalen Absturz bewahrt hat. Das Knäuel wird gepackt, indem Ali Thomas als Fahrer engagiert, Thomas ein Auge auf Laura wirft, Laura ihrerseits auch interessiert ist, und Ali davon natürlich Wind bekommt. Laura ist entschlossen, ihre Chance auf ein vielleicht letztes Glück beim Schopf zu greifen, doch mit Alis Zustimmung wird das niemals klappen, und folglich werden die Liebenden einen Plan aushecken müssen…
Das hört sich an wie Film Noir, das ist auch Film Noir, nur in anderer Verpackung, allerdings schafft es Petzold ja auch irgendwie, dass seine Bilder häufig sehr monochrom wirken, und wenn man in diesem Fall die extrem triste, extrem leere und weite ostdeutsche Landschaft hinzunimmt, die in absolut faszinierenden Impressionen die gleichberechtigte vierte Hauptrolle spielt, kann man die Anspielungen auf Viscontis „Ossessione“ oder das amerikanische Pendant vom Postmann, der zweimal klingelt, schon ganz gut herausfiltern. Das steht für mich allerdings nicht so sehr im Vordergrund (zumal ich beide Filme auch nicht besonders mag), für mich steht im Vordergrund, wie geschickt es Petzold versteht, diese Dreipersonenkonstellation mit Spannung aufzuladen, einen, wie wir als erfahrene Kinogänger wissen, unausweichlichen Mechanismus in Gang zu setzen, daraus dann aber doch keine banale Kriminalstory zu machen, sondern in erster Linie bei den Hauptfiguren und ihrer seelischen Befindlichkeit zu bleiben. Die Macht der Gefühle, die Macht des Schicksals, solche Schlagworte mögen im Hintergrund stehen, doch hat Petzolds Regie wie immer nicht im Entferntesten mit Pathos oder Kitsch zu tun, obwohl zwischendurch sehr wohl intensive Gefühle losbrechen. Thomas ist der introvertierte, wortkarge Einzelgänger, der über sich und sein bisheriges Leben wenig Worte macht und lieber versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Kein hohler Hormondepp, sondern einer, dessen Kraft aus der Ruhe kommt. Ali am anderen Ende der Skala ist offen, impulsiv, wenn auch vorsichtig und misstrauisch, aber einer, der aktiv und direkt zur Sache kommt, der seine Umgebung aufmerksam beobachtet und gleich mitkriegt, dass Thomas ein Auge auf die attraktive Laura geworfen hat, was aber erst dann für ihn zum Problem wird, als er merkt, dass er kein Vertrauen mehr zu seiner Frau haben kann. Die ist eine klassische Film-Noir-Frau: Anfang dreißig, sieht aber zehn Jahre älter aus, ein wenig verlebt, ein wenig verhärmt, gezeichnet von vielen üblen Erlebnissen und Enttäuschungen, zu oft den falschen Mann gehabt, zu oft die falsche Entscheidung getroffen, zu oft zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Und nun hat sie sich eine schroffe Fassade zugelegt, unter der aber immer noch starke Sehnsüchte und Zärtlichkeit warten. Sie liebt Ali nicht, weiß aber, was sie ihm schuldig ist, und will deshalb den geplanten Mord im letzten Moment doch nicht durchziehen. Ali wiederum erkennt, dass er seine Frau verloren hat und damit sein Leben, und stürzt sich freiwillig im Auto über die Klippen in die Ostsee. Thomas wiederum erkennt, dass Laura wohl doch nicht ganz aus freien Stücken zu ihm kommen und das Alis Tod eine zu große Hypothek für ihre Zukunft sein wird. Nicht gerade ein Happy End nach Maß also.
Obwohl alle drei Schauspieler herausragend gut spielen und jeder für sich seine Rolle mit maximaler Intensität und Glaubwürdigkeit darbietet, ist für mich doch Petzolds Regie wie immer die noch etwas größere Attraktion hier: Sein schleichend ruhiges Tempo, die bedächtigen, hoch intensiven und dichten Bilder, das Beharren auch und gerade auf Alltäglichkeiten, aus denen heraus sich dann das eigentliche Drama entwickelt, seine zugleich lakonische und doch sehr gründliche, detaillierte Erzähleise und seine Kunst, bei alledem wie gewohnt mit gerade mal neunzig Minuten auszukommen. Ganz anders als Klier ist ihm wieder einmal gelungen, als Regisseur sehr diskret und im Hintergrund zu bleiben und uns Zuschauer doch zu erreichen und zu beeindrucken. Der Begriff “Sog“ trifft seine Kunst wohl nach wie vor am besten, und so wie er beherrschen das nur ganz wenige. (11.1.)