Bellamy (Kommissar Bellamy) von Claude Chabrol. Frankreich, 2008. Gérard Depardieu, Maire Bunel, Clovis Cornillac, Jacques Gamblin, Vahina Giocante, Marie Matheron

   Kommissar Bellamy von der Pariser Polizei sieht sich als Glückskind: Ein guter Job, eine tolle Frau, die hat ein tolles Haus in Nîmes geerbt, und da kann man jedes Jahr Urlaub machen, auch wenn es die Gattin längst in ferne Gefilde zieht. Die behäbige Sommeridylle wird diesmal allerdings von zwei Seiten beeinträchtigt: Ein komischer Kerl schleicht ums Haus, nimmt schließlich Kontakt zu Bellamy auf und beichtet ihm, für einen Versicherungsbetrug einen anderen Menschen getötet zu haben. Bellamy wird neugierig, fängt an, im Privatleben dieses Herrn zu schnuppern, der zudem seine Identität durch chirurgische Plastik veränderte, und deckt einige interessante amouröse Verstrickungen auf. Er bringt M. Gentil dazu, sich zu stellen, bringt anschließend dessen Anwalt dazu, sein Plädoyer im Stil von Georges Brassens zu singen, woraus ein Freispruch auf ganzer Linie resultiert. Die andere Störung ist dann schon etwas privater und vor allem nachhaltiger: Sein jüngerer Stiefbruder schneit ins Haus, ein aggressiver, ruppiger, zumeist alkoholisierter Typ, in allem das Gegenteil Bellamys, der ihn aus alter Gewohnheit herumkommandiert und bevormundet. Hier und da eskaliert es dann auch mal, Gattin Françoise geht auch Bellamy gegenüber mal auf Distanz, und erst kurz bevor der Bruder im Norden mit dem Auto tödlich verunglückt, gesteht er ihr, dass er den Bruder vor langer Zeit beinahe getötet hätte, wenn nicht der Großvater dazwischen gegangen wäre. Als dann die Nachricht vom Unglück eintrifft, trifft auch Bellamy die lang verdrängte Schuld mit voller Wucht.

   Fast zwei Stunden lang mäandert diese Geschichte etwas träge und sommerlich faul dahin, wobei es Chabrols Erzählkunst geschuldet ist, dass man dennoch die einzelnen Szenen genießt, was natürlich auch an der Kunst der Schauspieler liegt. Das skurrile Verwirrspiel des M. Gentil wird lange nicht recht verständlich, auch hat sich mir der Sinn der grotesken Gerichtsverhandlung nicht ganz erschlossen, immerhin aber präsentiert sich uns ein Mann, der voll und ganz für seine Leidenschaft leben will, die Frau nämlich, die er liebt, und für die er sogar einen Autounfall fingiert. Natürlich hat sie ihn längst abgeschrieben, einen neuen Lover engagiert und kann mit einem neuen Gesicht sowieso nichts anfangen, und natürlich durchschaut Bellamy die ganze Maskerade sofort, dennoch interessieren ihn die Beweggründe dieses Mannes, nicht zuletzt, weil sie so weit von seinen eigenen entfernt sind. Bellamy ist der behäbige, selbstzufriedene Genussmensch, zum Leidwesen seiner Frau viel zu genügsam, denn sinnlichen Freuden keineswegs abgeneigt, aber auch kein von Leidenschaft Getriebener. Er betrachtet Gentil mit der typisch Chabrolschen Mischung aus beruflichem Interesse und distanziertem Mitgefühl. Sein Bruder scheint da eher die dunkle Seite der Medaille zu repräsentieren, ein ungehobelter Verlierer, der kein Glück hat, weil sein großer Bruder alles Glück aus seinem Universum herausgesogen hat. Die Spannungen zwischen den beiden sind manchmal verbal, mal auch recht physisch spürbar, zwei Brüder, die einander in Hassliebe verbunden sind, und erst ganz am Schluss versteht man auch, wieso Bellamy immer wieder Geld und anderes hergibt, obwohl er doch weiß, dass er nichts davon wiedersieht, und wieso er soviel Geduld mit dem Bruder hat, obwohl der ihn fortwährend anpisst.

 

   Das Miteinander der Hauptfiguren wird von Chabrol faszinierend aufbereitet und spannend in Szene gesetzt. Da erscheint mir das Drumherum von Gentils Geschichte fast als Störfaktor, zumal die ganze Chose auch nicht recht auf den Punkt kommt und sich darüber hinaus ganz schön in die Länge zieht. Die etwas zu träge Dramaturgie ist daher der einzige Mangel, den ich hier geltend machen würde, ansonsten ist es eine Freude, den Akteuren zuzusehen (vor allem Depardieu ist großartig), die südlichen Impressionen zu genießen und sich an Chabrols ungeminderter, wenn auch im Alter abgemilderter Kunst der tückischen Verwicklungen und Wendungen zu erfreuen. (23.7.)