Okuribito (Nokan – Die Kunst des Ausklangs) von Yojiro Takita. Japan, 2008. Masahiro Motoki, Ryoko Hirosue, Tsutomu Ymazaki, Kimiko Yo, Tetta Sugimoto, Kazuko Yoshiyuki, Takashi Sasano

   Die Japaner sind und bleiben uns rätselhaft: Wir verstehen ihre Sprache nicht, wir verstehen ihre Kultur nicht, wir verstehen ihre Riten nicht, wir verstehen ihre Moral nicht, wir verstehen ihre Gefühle nicht, wir verstehen ihr Temperament nicht. Ihren Filmen zollen wir gerne Respekt, weil wir sie irgendwie für Meisterwerke halten (oder halten wollen), viel besser jedoch als ihre kulturellen reüssieren bei uns seit jeher die greifbaren, die materiellen Importe, die Elektronik, die Autos und so weiter. Und wenn dann alle Jubeljahre doch mal ein Film aus Japan zu uns rüberkommt, den wir zu verstehen glauben, sind wir so froh und dankbar, dass es gleich einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film setzt, so in diesem Fall, eine eindeutige Konzessionsentscheidung gegen eine deutlich stärkere Konkurrenz.

   Womit jetzt nichts gegen diesen Film gesagt werden soll, denn der ist wirklich sehr schön, bewegend und gefühlvoll, sicherlich für japanische Verhältnisse ungewohnt (und für meinen Geschmack übertrieben) gefühlig, aber gerade das spricht natürlich die Academy in L.A. an, und auch so gesehen ist die Auszeichnung keine Überraschung. Es ist dies ein Film über das Leben und den Tod, die Trauer und die Liebe, ziemlich elementares zeug also, aber gleichzeitig auf elegante und leichte Weise behandelt, sodass es einen nicht gut zwei Stunden lang bleiern in den Kinosessel drückt. Und vor allem: Auf nachvollziehbare Weise.

   Der frischgebackene Orchestercellist Daigo ist in Schwierigkeiten, als das Orchester plötzlich aufgelöst wird und er mit einem Haufen Schulden dasteht, denn das teure Instrument war noch längst nicht abbezahlt. Also willigt seine Gattin Mika in den Plan ein, das Cello wieder zu verkaufen und zurück aufs Land ins Haus seiner Eltern zu ziehen, das leer steht, seitdem der Vater die Familie vor dreißig Jahren verließ und die Mutter vor kurzem verstarb. Daigo weiß nicht so recht, wohin die Zukunft führen soll, und schließlich hilft ihm ein Missverständnis auf die Sprünge, denn als er sich auf die Annonce eines vermeintlichen Reiseunternehmers bewirbt, ahnt er noch nicht, dass mit Reise hier die letzte Reise, die Bestattung gemeint ist und dass sein neuer Job darin besteht, Verstorbene nach einem alten Ritual für die Bestattung vorzubereiten. Als er seine anfänglichen Berührungsängste überwunden hat, schaut er seinem Meister zu und lernt, wie man Tote sorgsam wäscht, kleidet, schminkt und frisiert, und er erlebt auch, welch starke Wirkung dies oft unter den zuschauenden Angehörigen hervorruft. Er kämpft gegen seine eigenen Widerstände und die seiner Frau an, setzt sich gegen Missbilligung und Vorurteile seiner Bekannten durch und findet seinen Weg, der ihn schließlich zur Widerbegegnung mit seinem Vater führt.

 

   In wunderbar intensiven, meditativen Szenen wird der Umgang mit den Toten verfolgt, eine unerhört sorgfältige, in allen Handgriffen durchdachte und behutsame Arbeit, die mehr als alle Worte von Würde und Respekt zeugen und selbst einem kalten Fisch wie mir die denkbar schönste Art und Weise zu sein scheinen, sich von einem Menschen zu verabschieden. Es geht also auch um die Menschlichkeit, um Würde im Leben und im Tod, und diesem Thema werden hier durchaus auch manch komische Aspekte abgewonnen, skurrile Situationen, die allerdings nicht derb und schwarz daherkommen, sondern ähnlich leise und dezent wieder ganze Film. Natürlich ist die Handlung im Großen und Ganzen vorhersehbar, natürlich wissen wir, dass sich Daigo am Ende auf die eine oder andere Weise mit dem Vater auseinandersetzen muss, nicht zuletzt, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, und natürlich wissen wir auch ziemlich bald, dass alles gut sein wird, dass sich Daigo und Mika versöhnen werden und dass Daigo einen Weg finden wird, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. In Punkto Harmonie und Emotionalität wird hier wie gesagt manchmal ein wenig dick aufgetragen, vor allem was den Einsatz der schwelgerischen Cellomelodien angeht, aber Herrgott nochmal, mein Jahr war disharmonisch genug, also können ein paar versöhnliche, friedliche, menschliche Töne am Ende desselben auch nicht schaden. Immerhin genieße ich hübsch fotografierte Impressionen aus Japan (einem Postkartenjapan selbstverständlich…), den zärtlichen Umgang mit den Menschen (den lebenden und den toten), die Vision einer Ehe, die noch nicht zum permanenten Machtkampf mutiert ist (Männerphantasien, ja, ich weiß…) und ganz allgemein den Gestus eines Film, der sich den Menschen zuwendet, ohne sich anzubiedern, der gefühlvoll ist, ohne kitschig zu werden (mit nur wenigen Ausnahmen…), der für japanische Verhältnisse einfach ziemlich weit aus sich heraus- und an das Publikum herangeht. Ganz sicher gibt es bessere japanische Filme aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren. Schönere aber werden sich schwerlich darunter finden. (13.12.)