Olga Benario, ein Leben für die Revolution von Galip Iytanır. BRD/Brasilien, 2004. Margrit Sartorius, Michael Putschli, Oliver Betge 

   Ein Semidokumentarfilm über das Leben von Olga Benario, das 1908 in München begann und 1942 in der Nazi-Vernichtungsanstalt Bernburg endete. Eine Biographie, für die sich Adjektive nur schwer finden lassen, jedenfalls aber ist mir mal wieder deutlich geworden, dass das sogenannte „wahre Leben“ oft genug die wildesten Phantasien der Drehbuchschreiber übersteigt, denn wer hätte es schon wagen dürfen, eine derart wüste und dramatische Mischung aus linker Revoluzzerromantik und KZ-Horror zu fabrizieren, ohne dafür öffentlich ans Kreuz genagelt zu werden. Dennoch scheinen die Stationen dieses Lebens aus irgendeiner Kitschkolportagefabrik kommunistischer Propagandaexperten zu stammen: Tochter aus gutbürgerlichem Hause, zur linken Gesinnung durch die Arbeit des Vaters, eines Rechtsanwalts gekommen, rasch und übereifrig aufgestiegen, Umzug nach Berlin ins Zentrum politischer Umtriebe in den späten 20ern, Leitung einer ebenso erfolgreichen wie spektakulären und medienträchtigen Gefangenenbefreiung aus dem Knast von Moabit mit größtmöglicher Schubwirkung für das Wahlergebnis der KPD, Abmusterung nach Moskau zur Komintern an der Seite ihres ersten Geliebten  (apropos Revoluzzerromantik), astreine Kaderkarriere inklusive militärischer Ausbildung in der Ukraine, Aufträge in Paris und London, verdeckte Aktionen, wechselnde Identitäten, mehrere Verhaftungen und schließlich der Auftrag, nach Brasilien zu gehen, um dort an der Seite von Luís Carlos Prestes die lang geplante  Revolution gegen das diktatorische Vargas-Regime einzuleiten. Das war 1934, und Olga Benario ist ein Idol der kommunistischen internationalen, schön, mutig, bedingungslos engagiert, wie aus einem Propagandafaltblatt der 30er, und nun auch noch liiert mit einem anderen Idol, einem der Helden der legendären Märsche von 1925-27, mit dem sie bald zusammenlebt. In Brasilien baut man einen kreis zumeist deutscher Linker auf, die die Revolution planen sollen, doch der Druck durch die brutale brasilianische Polizei ist groß, die vermeintliche Unterstützung durch die Bevölkerung wird fatal überschätzt, und als der Putsch im November 1935 fehlschlägt, ist dies eine Art dunkler Wendepunkt. Die Polizei schlägt zu, die linken revolutionäre werden erbarmungslos verfolgt, die Zusammenarbeit internationaler Nachrichtendienste funktioniert, interne Verräter müssen von der Linken selbst getötet werden, und als Olga 1936 verhaftet wird, ist die von Prestes bereits schwanger. Dennoch wird sie gegen geltendes recht außer Landes nach Deutschland verschifft, wo sie sechs lange, furchtbare Jahre in verschiedenen KZs erwarten, zunächst in einem Frauengefängnis in Berlin, wo ihre Tochter Anita zur Welt kommt, dann in Lichtenburg und schließlich ab 1939 in Ravensbrück. Immerhin gelangt ihre Tochter zur Schwiegermutter und wächst dort auf und lebt noch heute als Wissenschaftlerin, und auch Prestes kommt wieder aus dem Gefängnis frei und stirbt in hohem Alter Anfang der 90er.

   Eine wahrhaft erschütternde und in sehr vieler Hinsicht beispielhafte Geschichte, beispielhaft für maßgebliche Aspekte der politischen Geschichte der 20er bis 40r Jahre, beispielhaft für das Schicksal politisch aktiver Kommunisten, nicht nur in Deutschland, wie hier ganz deutlich zum Ausdruck gebracht wird, beispielhaft für die Aktivitäten und Absichten der Komintern, beispielhaft für das grauenvolle Schicksal der KZ-Insassen, beispielhaft aber auch auf ganz andere Weise, nämlich in Olga Benarios Person selbst, in der Art, wie sie ihre Überzeugungen vertrat, wie sie ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit für die Sache aktiv war und wie sie, zumindest nach übereinstimmenden Aussagen vieler, die sie kannten, auch in größter Not immer zuerst an die anderen dachte und sich überall, wo sie wirksam war, größter Zuneigung und höchsten Respekts erfreute. Aus unserer heutigen unpolitischen Sicht vielleicht eine Schwärmerin, ein linker Wirrkopf mit Träumen von Revolution im Kopf, irgendwie aber kann ich sie mir gut als Vorbild vorstellen, und es ist schon mehr als bezeichnend, dass in der DDR zahleiche Straßen oder öffentliche Einrichtungen ihren Namen trugen (und heute hoffentlich noch immer tragen), wohingegen sie in der BRD fast völlig vergessen ist, denn eine linke Revoluzzerin eignete sich im Adenauerdeutschland natürlich wenig zur Identifikationsfigur, während sie für solche Zwecke des DDR-Regimes geradezu maßgeschneidert war. Auf makabre Weise wird das tragische Leben solcher Leute gern von nachfolgenden Systemen instrumentalisiert und bei Bedarf auch auf den passwenden Rahmen zurechtgestutzt, Hauptsache, es passt zur Ideologie und lässt sich massenwirksam ausschlachten.

 

   Aber das gehört nicht zu diesem Film. Der arbeitet die Biographie Olgas sorgfältig chronologisch auf, ist in seiner Darstellung zweifellos von Sympathie und Zustimmung geprägt, was mir persönlich sehr gefallen hat, weil man solch einer Geschichte nicht einfach teilnahmslos gegenüberstehen kann.  Es gibt ein paar nachgestellte und nachgespielte Szenen, auf die ich hätte verzichten können, auch wenn mit Margit Sartorius eine interessante Darstellerin auftritt, die vielleicht einen reinen Spielfilm über dieses Thema nahelegt. Sehr gut hingegen gefällt mir die Maßnahme des Regisseurs, die Handlungsorte in ihrem heutigen Zustand zu zeigen, so dass auch wir uns auf eine Art Reise begeben und sehen können, ob noch Spuren von damals zu finden sind und ob uns die Bilder aus Ravensbrück und Lichtenberg eine Vorstellung von dem erleichtern, was sich dort wirklich zugetragen haben mag. Galip Iyitanır geht gewissenhaft mit der Figur Olgas um, er verklärt sie nicht, er verkitscht ihre Lebensgeschichte nicht, er ordnet sie durchaus in die größeren Zusammenhänge ein und versucht auch, die Perspektive angermessen auszudehnen, beispielsweise auf die Situation in Brasilien in den 30ern usw. Ansonsten ist der Film spannend und erschütternd, weil Olgas Leben eben so war, und er wird mich wohl noch einige Zeit beschäftigen und mich fragen lassen, weshalb diese Frau in Westdeutschland so gut wie nie ein Thema war. (6.3.)