Rachel getting married (Rachels Hochzeit) von Jonathan Demme. USA, 2008. Anne Hathaway, Rosemarie DeWitt, Bill Irwin, Tunde Adebimpe, Mather Zickel, Debra Winger, Anna Deavere Smith, Anisa George

   Jonathan Demme? Von dem hab ich noch keinen einzigen halbwegs vernünftigen Film gesehen und hatte ihn längst abgehakt als einen von vielen Hollywoodhandwerkern mit einem mehr oder minder willkürlichen Output – ausgenommen allerdings seiner interessanten Musikfilme. Jetzt aber nach einer halben Ewigkeit doch mal eine Alternative, ein von außen betrachtet „kleiner“ Film ohne viele große Stars und dafür mit viel Handkamera und Lokalkolorit. Auf den ersten Blick denkt man vielleicht an Robert Altmans Hochzeitsfilm, doch habe ich nicht allzu große Ähnlichkeiten gesehen, vor allem nicht was den Tonfall angeht, denn während Altman der geniale, launige Satiriker ist, bleibt Demme eher ernst, ich jedenfalls hatte eigentlich wenig zu lachen hier.

   Der Ausgangspunkt allerdings ist schon ähnlich – eine ziemlich große, multikulturelle Feier wird zur Bühne für zum Teil recht bittere familiäre Auseinandersetzungen. Im Zentrum steht Kym, eine Art verlorene Tochter, die nach jahrelangem Drogenmissbrauch eine vielversprechende Therapie gestartet hat und nun mittendrin zur Hochzeit ihrer Schwester Rachel fährt. Das ist im Prinzip schon keine gute Idee, denn weder ist Kym in der Lage, ihr Ego zurückzustellen und sich einer Situation anzupassen, in der sie eindeutig nicht die Hauptperson ist, noch sind die übrigen Familienmitglieder in der Lage, ihr offen und unvoreingenommen zu begegnen. Rachel fürchtet (nicht ohne Grund), dass Kym jede Möglichkeit nutzen könnte, um sich in den Vordergrund zu stellen, Paps spielt den Beschützer, der es allen recht machen will, und die leibliche Mutter, die getrennt von den anderen mit einem neuen Partner lebt, scheint zu ihrer Tochter überhaupt keine emotionale Einstellung zu haben. Und so ringen alle um ihre Fassung, während die Vorbereitungen, die Zeremonie und die ausufernde Feier unaufhaltsam abrollen, und am Schluss wurden einige unangenehme Wahrheiten ausgetauscht, doch weiter ist eigentlich niemand gekommen: Kym fährt zurück in die Therapie und Rachel kann endlich ihre Fete genießen. Das Band zwischen ihnen wurde nicht zerschnitten, neue Brücken wurden aber auch nicht gebaut.

   Dies scheint mir eine in vieler Hinsicht sehr realistische und ernüchternde Bestandsaufnahme ganz normaler familiärer Beziehungen zu sein, und deshalb punktet der Film in diesen Momenten auch besonders effektiv. Der Drehbuchautorin Jenny Lumet (ganz recht, die Tochter vom alten Sidney) sind einige hervorragend intensive, beklemmend lebensnahe Szenen gelungen, in denen die beiden Schwestern ihre alten Strukturen bruchlos wieder aufzunehmen scheinen: Kym ist der aggressiv-depressive Freak, die verlorene Tochter, die ihre Konflikte bei Bedarf gern auch als Waffe gegen die anderen einsetzt, die andererseits einfach ein Forum braucht, Zuhörer, Verständnis. Rachel hat all dies x-mal erfahren, sie kennt Kyms Masche genau, nimmt fast jeden ihrer Sätze vorweg, ist oft verbittert und hart und bettelt ihren Dad an, dass wenigstens die Hochzeit einmal ganz ihr allein gehören möge, ohne dass Kym sich wie sonst in den Mittelpunkt drängt. Zwischen ihnen allen steht der Unfalltod ihres kleinen Bruders, den Kym im Vollrausch verursacht hat und der die Familie immer wieder auf diesen Punkt zurückwirft. Je nachdem können wir uns mal mit dem einen, mal mit dem anderen identifizieren, und es dürfte doch sehr schwer fallen, neutral und unbeteiligt zu sein, weil die Strukturen einfach zu vertraut und zu gut auf selbst Erlebtes übertragbar sind. Demme hat sich als Regisseur sehr klug zurückgehalten, lässt die Dialoge und die durchweg ausgezeichneten Schauspieler für sich sprechen und hält lediglich die sehr bewegliche, aufmerksame Handkamera drauf, und das reicht auch, weil sich weder falsche Töne noch der in Hollywood bei dieser Gelegenheit unvermeidliche Kitsch einstellen. Niemand wird einseitig an den Pranger gestellt, es gibt keine sauberen Auflösungen, keine bequemen Versöhnungen, manches wird zwar gesagt, doch mindestens ebenso viel bleibt unausgesprochen, wird auch in Zukunft zwischen den Familienmitgliedern stehen.

   Das alles ist so interessant, spannend und gut gemacht, dass mich die Hochzeit an sich absolut nicht interessiert hat. Leider ver(sch)wendet Demme beträchtlich viel Zeit gerade darauf, für mein Gefühl die einzige Schwäche des Films, der vielleicht eine Viertelstunde zu lang geworden ist, weil er nicht müde wird, das quirlige Durcheinander, das bunte Miteinander der Hautfarben und Kulturen zu feiern, möglichst viele verschiedene Musikstile in zwei Stunden reinzupacken (Jazz, Soul, Folk, Psychorock, Hip Hop, alles ist dabei) und immer wieder tanzende, singende, feiernde Leute zu zeigen. Nun bin ich eh schon ein ausgemachter Fetenmuffel, weshalb mir Schilderungen dieser Art nicht eben am Herzen liegen, aber ich fühlte mich auch zu oft abgelenkt vom eigentlich wichtigen Geschehen, das sich immer wieder zwischen den Partygästen, den Events, den endlosen Ansprachen und Kostümproben zuträgt. Demme hat die beiden Ebenen, das Ernste und das Heitere, zwar recht geschickt vermischt, doch an Altmans Klasse kommt er dabei nicht ganz heran, und bei dem haben die Hochzeit an sich und die vielen Geschichten nebenbei viel mehr miteinander zu tun als hier, wo sie sich eher im Weg zu stehen scheinen.

 

   Alles in allem aber ein wirklich sehenswerter und unüblicher US-Film abseits des Mainstream, und das allein hätte ich von einem wie Demme nicht mehr erwartet. (17.4.)