Revolutionary Road von Sam Mendes. USA, 2008. Kate Winslet, Leonardo DiCaprio, Michael Shannon, Kathryn Hahn, Kathy Bates, David Harbour, Zoe Kazan, Jay O. Sanders

   Mehr als eine Dekade ist vergangen, seit Leo & Kate zueinander fanden und einige berauschende gemeinsame Momente genossen, leider dann aber mitsamt ihrer Liebe und einem hinlänglich bekannten und ebenso kurzlebigen Luxusliner absoffen. Nun sind sie gestandene Schauspieler Mitte Dreißig im Zenith ihres Könnens, und folglich sind für ihr Comeback ihre Rollen gereift und sie sind an Land gegangen, was aber nicht dazu geführt hat, dass ihrer Liebe diesmal ein besseres Schicksal beschieden wäre – wieder kein Happy End für das Traumpaar, also noch jede Menge Nachholbedarf in Hollywood.

   Sam Mendes begibt sich erneut ins Milieu seines Klassikers „American Beauty“, bietet diesmal aber statt der zynischen Satire auf hoffnungslos mittelmäßige und kleinbürgerliche US-Vorstadtpflanzen eine sehr viel ernstere und wenn man so sagen will auch „seriösere“ Literaturverfilmung nach einem Roman von Richard Yates, der vielleicht durch diesen Film als Autor wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein rücken könnte. Er erzählt vom Aufstieg und Fall der Wheelers, eines jungen Paares, die eine typische Karriere hinlegen – aus einer Kneipenbekanntschaft zweier eher unkonventioneller junger Leute wird eine Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern, einem Durchschnittshaus, einem Durchschnittsauto, und Paps besteigt jeden Morgen zusammen mit hundert anderen Papis den Vorortzug in die Stadt, wo er in Anzug und Krawatte seinen Durchschnittsjob im Büro antritt, bevor er dann am Abend mit hundert anderen Papis wieder raus fährt zu seinen Lieben. Mami empfängt den Gatten in der Diele, wischt ihre Hände an der Schürze und fragt, wie war dein Tag. Aus dem tollen spontanen Sex von einst ist höchstens routinierter ehelicher Beischlaf geworden, die neugierigen, nervigen und ansonsten auch total durchschnittlichen Nachbarn gucken gelegentlich über den Zaun, und insgesamt weiß eigentlich jeder schon, was er in den kommenden dreißig Jahren tun wird. Eines Tages macht April ihrem Frank den Vorschlag, einfach alles stehen und liegen zu lassen und nach Paris umzuziehen, die Stadt, die er im Krieg kennengelernt und von der er seither immer geschwärmt hat. Er soll endlich etwas für sich tun, Zeit haben um herauszufinden, was er wirklich will., denn eins ist den beiden schon lange klar: So wie sie jetzt leben, wollten sie nie leben, sie eignet sich genauso wenig zum biederen Hausmütterchen, wie er sich zum biederen Bürohengst, der, so wie er es tatsächlich tut, aus lauter Langeweile eine Affäre mit irgendeinem biederen Bürohäschen anfängt. Frank findet den Vorschlag erst absurd, dann fängt er scheinbar doch Feuer, als ihm jedoch angedeutet wird, dass er in seiner Firma bald aufsteigen könnte, macht er innerlich einen Rückzieher, und als April dann ungewollt schwanger wird, nutzt er die Chance, um die Sache abzublasen. Nach erbitterten Auseinandersetzungen scheint sie sich mit der Desillusionierung abzufinden, doch dann nimmt sie selbst eine Abtreibung an sich vor, an der sie schließlich verblutet.

   Eine eindringliche Tragödie, von Kate Winslet und Leonardo DiCaprio großartig gespielt, von Sam Mendes sehr gekonnt und mit feinem Händchen für das Zwischenmenschliche inszeniert, dennoch mit einigen Unebenheiten im Drehbuch, die zwar den positiven Gesamteindruck nicht nachhaltig trüben, die mir dennoch beim Zusehen aufgefallen sind. Die streckenweise aufgebrochene Chronologie der Erzählung ist an sich kein Problem, nur hat sie in diesem Fall dazu geführt, dass uns schlicht einiges fehlt an Franks und Aprils Geschichte. Wir sehen, wie sie sich zum ersten Mal begegnen, und kurz darauf sind wir schon mittendrin im dramatischsten Ehestreit und kommen auch kaum noch einmal heraus aus dem Loch. Uns fehlt ein Gefühl für die Fallhöhe, wir erleben die beiden zu selten als intaktes, glückliches, euphorisches Paar und später erleben wir auch keine glückliche, harmonische Familie, und all dies hat es, wenn wir den Dialogen glauben wollen, wohl gegeben. Frank war der Mann mit großer Zukunft, April die starke, emanzipierte Frau, nur wird all dies lediglich behauptet, wir sehen es nicht. Wir sehen nun einen halb gebrochenen Typen, der an der Monotonie seines Alltags hübsch langsam kaputt gehen wird und eine Frau, die all das kommen sieht, nur anders als er dagegen aufbegehrt, ihrem Leben eine Wendung geben will. Dazwischen dann gleich wieder sehr beißende und harte Verbalkämpfe, deren Entwicklung und eigentliche Ursache wir ebenfalls nur erzählt bekommen, sodass uns insgesamt eine wichtige Phase im Leben der beiden fehlt und wir lediglich mit den Konsequenzen konfrontiert werden. Als zweite Schwäche erschien mir die Figur des psychisch kranken John, Sohn eines befreundeten Ehepaares, der die Situation der Wheelers offensichtlich mit sicherer Intuition sofort erfasst und sie mit rücksichtsloser, oft zynischer Ehrlichkeit entlarvt. Er zieht sich hinter seinen Status als Elektroschockopfer zurück, nimmt sich eine Art von Narrenfreiheit heraus, alles sagen zu dürfen, denn er ist ja krank und kann somit nicht verantwortlich gemacht werden, weshalb Frank finaler Wutausbruch gegen ihn auch auf Entrüstung und Unverständnis stößt. John verbalisiert noch einmal, was wir längst gesehen und verstanden haben. Er ist eine Art griechischer Chor, ein böses Echo auf die Ereignisse, nur brauchen wir ihn eigentlich nicht, und ich persönlich fand seinen grausamen Sarkasmus eher als unangenehm und deplatziert.

 

   Dennoch ist Mendes ein sehr überzeugender Film gelungen, in erster Linie kein polemischer Abgesang auf den vielbeschworenen Amerikanischen Traum, sondern eine beeindruckend intensive Psychostudie, die natürlich ganz fest in ihrer Zeit und ihrem Milieu verankert wurde, die darüber hinaus aber dennoch zeitlos ist, weil menschliche Beziehungen leider oft so verlaufen. Die eigentliche Frage, die mich beim Zusehen bewegte, war also die, warum wir denen, die wir einst liebten, immer wieder so wehtun, warum Liebe so oft graduell in Gleichgültigkeit, Abneigung und schließlich Hass endet, warum die Liebe so selten von Dauer ist. Die Trauer darüber entspricht natürlich auch eigenen Erfahrungen, und niemand soll sich leicht und bequem von einer Geschichte wie dieser distanzieren, denn ich denke, es kann fast jedem genau so oder so ähnlich ergehen. Wenn man dann zwei dermaßen herausragende Hauptdarsteller hat, eine glaubwürdige Milieuzeichnung und eine Regie, die sich viel Zeit nimmt für die wichtigen Momente, dann entsteht ohne Frage ein weit überdurchschnittlicher US-Film, und das muss auf jeden Fall gesagt werden. (20.1.)