Caos calmo (Stilles Chaos) von Antonello Grimaldi. Italien, 2008. Nanni Moretti, Blu Yoshimi, Alessandro Gassman, Valeria Golino, Isabella Ferrara, Kasia Smutniak, Hippolyte Giradot, Charles Berling
Es beginnt mit bitterster Ironie des Schicksals: Weil Pietro gemeinsam mit seinem Bruder zwei Frauen vor dem Ertrinken aus dem Meer rettet, kommt er womöglich zu spät, um die eigene Ehefrau zu retten, denn die fällt vom Schlag getroffen im Garten des Ferienhauses um und ist tot. Von nun an geht’s im Leben des Anzugträgers, Familienvaters und Büromenschen ein wenig turbulenter zu, und er selbst leistet einen entscheidenden Beitrag, entschließt er sich doch, fortan der täglichen 9-5-Routine eine Absage zu erteilen und die Vormittage lieber auf einer Bank im Park zu verbringen und zu warten, bis Tochter Claudia aus der Schule kommt. Witzigerweise führt dieser Schritt nicht, wie vielleicht beabsichtigt, zur Ruhe und Einkehr, Pietro macht ganz im Gegenteil vielfältige menschliche Bekanntschaften, unter anderem mit einer reizenden Hundehalterin, seine halbe Verwandtschaft kreuzt auf und bereitet ihm eher zusätzlichen Stress, vor allem die exzentrische Schwägerin Marta, und ihm werden von allen Seiten alle wichtigen Neuigkeiten aus dem Konzern zugetragen, er bekommt sogar eine leitende Position angeboten, und sein Ausstieg aus dem Alltagstrott wird offenbar als der Rückzug eines weisen Mannes missverstanden. Als dann plötzlich und unerwartet ausgerechnet jene Dame wieder auftaucht, die er einst aus dem Meer gefischt hat, bekommen die Ereignisse, zumindest vorübergehend, noch einen entschieden erotischen Einschlag und führen als Krönung zu einer mit gebotener Sachlichkeit ausgetragenen Eifersuchtsszene unter Männern mit M. Roman Polanski persönlich.
Nanni Moretti hat hier zwar nicht Regie geführt, immerhin aber am Drehbuch mitgearbeitet, und sein Einfluss ist natürlich prägend für diesen wunderschönen Film, der zwischen Lachen und Weinen, Heiterkeit und Trauer ständig schwankt und dies auf höchst unberechenbare und deshalb so erfrischende Weise. Der Zuschauer genießt sehr viel italienisches Flair und Gefühl, durchzogen von flapsigem Wortwitz und vor allem sehr viel komische, verschrobene, unorthodoxe Charaktere, die jederzeit für einiges gut sind und dafür sorgen, dass die Story weder in lastender Trauer absäuft noch zu plattem Klamauk verkommt. Mal geht es durchaus sehr ernst um das Verarbeiten von Tod und Trauer, um das Weiterleben danach, und zum Beispiel für Pietro heißt das auch, eine ganz neue Rolle Claudia gegenüber einnehmen zu müssen. Manchmal geht’s ach um profunde Dinge wie Lebensentwürfe und dass man sich auch mal von dem einen Leben lösen und sich einem anderen zuwenden muss, und obwohl Pietro alles scheinbar aus dem Moment, der Eingebung heraus tut, trifft er doch eine bewusste, konkrete Entscheidung, die seine Zukunft prägen wird. Nebenbei geht’s auch um Ränke und Intrigen im modernen Kapitalismus, um Fusionen, um Machtspiele, um Ängste, um das Globale im Gegensatz zum Lokalen. Wiederum gibt Pietro vor, von alldem nichts zu verstehen und mit nichts etwas zu tun zu haben, und je mehr er das betont, desto dringlicher tragen die anderen Informationen, Fragen, Bitten und auch Beförderungen an ihn heran. Sein Auszug aus dem Raubtierkäfig wird mit Souveränität verwechselt, was ihm höchstens amüsierte Verwunderung entlockt, denn mit alldem, was da in sein Verhalten hineininterpretiert wird, hat er nichts im Sinn. Es geht auch um Familie, um Liebe, Verantwortung, aber auch um Verrücktsein und die Möglichkeit, sich irgendwo mal richtig gehen lassen zu können. Mit dem jüngeren Bruder, einem eitlen erfolgreichen Stardesigner, verbindet Pietro eine zwiespältige Liebe, die aber stets auf gegenseitigem Respekt fußt, seine schräge Schwägerin Marta hingegen, mit der er einst eine flüchtige Affäre hatte, nervt ihn eher, und dennoch hat man Geduld und Nachsicht miteinander. Auch Claudia hat lange Geduld mit ihrem Papa und seinem unverständlichen Verhalten, eines Tages jedoch bittet sie ihn sacht, nicht mehr den ganzen Vormittag auf der Bank zu sitzen, sondern wieder sein eigenes Leben zu leben, und er kommt ihrem Wunsch nach, wenn auch mit leichter Trauer.
So ist alles an diesem Film irgendwie leicht, aber doch nie seicht, sondern wohl ausgewogen und ab und an ein wenig verrückt. Tolle Bilder, tolle Typen, schöne Musik und eine gefühlvolle Regie, die im richtigen Moment auf die Bremse tritt, machen einen weiteren unverzichtbaren italienischen Film aus, so wie man sie halt sehen möchte. (10.2.)