2 jours à tuer (Tage oder Stunden) von Jean Becker, Frankreich, 2007. Albert Dupontel, Marie-Josée Croze, Pierre Vaneck, Alessandra Martines, Christiane Reali, Claire Nebout, Mathias Mlekuz, Anne Loiret, José Paul
Damit allen Frauen ein für allemal klar wird, wie schwer wir Männer es haben, mögen sie sich bitte diesen Film anschauen – am besten zusammen mit ihren Jungs, damit die später nicht auch noch drüber reden müssen! Wir Männer sind nämlich so derartig blockiert, dass wir es nicht mal fertig bringen, unserer eigenen Frau von unserer tödlichen Krebserkrankung mit entsprechender Prognose zu erzählen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, welchen Aufwand wir in Kauf zu nehmen bereit sind, um ein einziges kleines Gespräch zu vermeiden. Lieber rasten wir total aus, lösen sämtliche Hebel und spielen zwei Tage lang den wilden Mann, bis wir wirklich alle und jeden so gründlich vor den Kopf gestoßen haben, dass wir der größte und mieseste Arsch auf Erden sind und uns garantiert niemand nachtrauern wird. (So dumm können wir sein, hättet ihr das geglaubt?)
Zum Beweis dieser These schauen wir uns hier das Beispiel von Antoine an. Der ist Anfang vierzig, leitet in Paris eine Werbeagentur, hat eine schöne Frau, zwei liebe Kinder, einen Hund und ein Haus, kurz, die bürgerliche Idyll comme il faut, und nur ein totaler Vollidiot könnte daran etwas auszusetzen haben. Eines Tages aber tritt er ohne Vorwarnung völlig aus dem Gleis: Er beleidigt seinen größten Geschäftskunden, gibt seinem Partner danach bekannt, er wolle seine Anteile verkaufen, und setzt den scheinbar unaufhaltsamen Amoklauf daheim fort. Seine Frau lässt er in dem Glauben, er habe eine Affäre, statt ihr zu erklären, die Frau, der der er beim Mittagsessen gesehen wurde, war lediglich die Ärztin, die in betreut. Er macht sie runter, demütigt sie, legt sich anschließend anlässlich seines Geburtstages noch mit einigen anderen Leuten an und verwandelt die abendliche Feier in eine veritable Horrorshow, die auch für uns hartgesottene Zuschauer nur schwer erträglich ist und nach der es endgültig kein Zurück mehr gibt. Auf geht’s, rüber nach Irland, wo der alte Vater lebt, von dem seit Jahrzehnten nichts mehr zu hören und zu sehen war, und man sieht bald, woran sich Antoine womöglich all die Zeit abgearbeitet hat, denn der alte Herr ist ein höchst abweisender Querkopf, der seinem Sohn gegenüber bestimmt nicht sehr spendabel mit positiven Gefühlen war. Immerhin scheinen die beiden halbwegs ins Reine zu kommen, und so kehrt der alte Herr nach Antoines Tod zurück zur Familie nach Paris, um Cécile die Nachricht zu überbringen.
So endet ein Film, den ich am besten als Achterbahnfahrt beschreiben würde, und den ich persönlich schon als eine Art Zustandsbeschreibung männlicher Befindlichkeit mit Anfang vierzig gesehen habe, denn obgleich Antoine das, was er der fassungslosen Cécile alles an den Kopf wirft, nicht einmal so meint, so trifft er die Dinge doch im Kern: Fünfzehn Jahre bereits in der gleichen Mühle, der gleiche Job, die gleiche Frau, jetzt die lieben Kleinen, alles so sauber und klar und geordnet, der Job sicher, die Freunde bestens situiert, alles so ordentlich und wohlhabend und gepflegt, und manchmal möchte man am liebsten alles hinschmeißen und ganz neu anfangen. Midlife Crisis in der reinsten Form also, nur dass in Antoines Fall der Schein trügt und sich dahinter etwas ganz anderes verbirgt, nämlich schlicht die Angst, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen und sich auch mit den Trauergefühlen der anderen auseinanderzusetzen. Antoine gibt vor, seiner Familie Leid ersparen zu wollen, dabei scheut er nur die Konfrontation, will nach klassischer Männerart verdrängen, ablenken auf ein anderes Feld, das ihm sicherer erscheint. Je weiter der Film geht, desto komplexer wird er, desto vielschichtiger werden die Möglichkeiten, ihn zu betrachten, sich zu Antoine und seinem Verhalten zu stellen, ständig gibt es neue Informationen, bieten sich neue Sichtweisen und Interpretationen an, werden auch unsere eigenen Gefühle anders gelenkt. Mir war es unmöglich, mir das Ganze unbeteiligt anzusehen, weil einfach zu viele Szenen bei aller Überzeichnung oft haarscharf an der Realität balancieren und weil die Emotionen so stark und intensiv wirken. Jean Becker ist ein Kunstwerk gelungen, das in nicht mal neunzig Minuten ein Stück menschlicher Essenz eingefangen hat, nicht mehr und nicht weniger. Denn wovon Antoine in seiner Panik auch noch davonläuft, sind Vertrauen und Liebe, ihre Folgen, aber auch ihre Verpflichtungen, und gerade die will er nicht mehr eingehen, und gerade damit tut er Cécile so bitter Unrecht, die ihn natürlich trotz seines grotesken und vorsätzlich mutwilligen Auftritts noch immer liebt, und zwar mit einer Kraft und Konsequenz, die ihm noch mehr Angst macht (Männer und Gefühle!).
Die Achterbahnfahrt bezieht sich auch auf die ganz verschiedenen Stimmungslagen, die sich ungefähr so rasch ändern wie das irische Wetter: Mal bitterböse, mal genüsslich komisch, mal sarkastisch und schmerzhaft bis an die Grenze, mal leise und zart und manchmal auch still und traurig. Alles ineinander übergehend in meisterlicher Leichtigkeit und ohne Anstrengung, getragen von wunderbar stimmungsvollen Bildern und einem Klasseensemble, aus dem Albert Dupontel in seiner imposanten Darstellung des Antoine und Marie-Josée Croze als Cécile herausragen, die trotz ihres Schmerzes die Beherrschung zu wahren versucht. Ich finde den Film absolut beeindruckend, gar nicht leicht zu verdauen, aber für mich eines jener Kinoerlebnisse, die mal wieder etwas länger nachwirken werden als gewohnt – deutlich länger, um genau zu sein. (19.5.)