Taking Woodstock (#) von Ang Lee. USA, 2009. Demetri Martin, Imelda Staunton, Henry Goodman, Jonathan Groff, Emile Hirsh, Eugene Levy, Lieb Schreiber, Jeffrey Dean Morgan
Welche Kriterien Ang Lee bei der Auswahl seiner Stoffe auch leiten mögen – ich habe nicht die geringste Ahnung. Mit scheinbar unberechenbarer Willkür hüpft er von schwulen Multikultikomödien über intellektuelle Ostküstendramen zu kulinarischen Familiengeschichten, Bürgerkriegsfilmen, Marvelcomics, klassischem Kung Fu, schwulen Cowboys, Jane Austen, stilisierten Melodramen - und nun eben Woodstock, logisch, oder? Ein typisches Ang-Lee-Thema scheint es also nicht zu geben, eher schon eine typische Ang-Lee-Handschrift, denn selbst wenn mich inhaltlich längst nicht jeder seiner Filme gleich interessiert und selbst wenn ich nicht jeden seiner Filme für gelungen halte (vor allem der arg distanzierte „Gefahr/Begierde“ wollte mich nicht recht rühren), so tritt doch in jedem Film seine bemerkenswerte Könnerschaft als Stilist und Geschichtenerzähler deutlich zutage. Hier natürlich auch.
Woodstock ist mal wieder ein Thema für mich, etwas für den unverbesserlichen Nostalgiker, den 60er-Jahre-Mystiker, der immer noch irgendwie glaubt, damals hätten mit ein bisschen Glück die Weichen in eine bessere Zukunft gestellt werden können, und vor allem den Fan der Musik dieser Zeit, die mich noch immer auf besondere Weise berührt, auch wenn ich die zeit selbst gar nicht so direkt erlebt habe. Ang übrigens auch nicht – der ist zwar zehn Jahre älter als ich, kam aber erst in den 70ern in die USA, hat also ebenfalls keinen unmittelbaren biographischen Bezug zur sogenannten Hippieära. Andererseits ist es vielleicht auch müßig, über so etwas zu spekulieren, denn Ang hat einen wunderbaren Film über Woodstock gedreht, nicht so sehr über die Musik und das aus dem Film von Michael Wadleigh bekannte Spektakel, sondern eher über die Leute hinter den Kulissen, über Land und Leute und die Geschichte der Entstehung. Zentrum ist jenes Kuhkaff in den Catskills und die verzweifelten Bemühungen des jungen Elliot, Sohn jüdischer Immigranten aus Weißrussland, irgendeine Form von profitablem Business auf die Beine zu stellen, ungeachtet seiner Eltern, den schrägsten Freaks am ganzen Ort. Ausschlaggebend ist eine alte Lizenz für öffentliche Konzerte, die er einst in ganz anderem Zusammenhang ergatterte und die nun zur großen Chance wird, als urplötzlich Michael Lang anrückt, den er aus New Yorker Tagen kennt, einen Hippie mit Fell und Freundin und good vibes, der in der Gegend nach einem geeigneten Stück Land für ein großes Konzert sucht. Elliot wittert die Gelegenheit, stellt Land und seine Leute dem Nachbarn Max Yasgur vor, der jede Menge freie Wiese in seinem Besitz hat, geschäftstüchtig und zugleich cool drauf ist und es den Spießern vor Ort schon lange mal zeigen will, und der Rest ist Geschichte…
Ang mischt die offizielle Geschichte mit der privaten, widmet sich ausführlich Elliot und seinem skurrilen Clan, dem Miteinander in der äußerst biederen Gemeinde und erzählt, wie Elliot durch die überwältigende Erfahrung des Festivals endgültig mitgerissen wird, fortgerissen wird von Zuhause und folglich am Schluss die Koffer packt und sich endlich auf den Weg macht. Dazwischen gibt’s unglaubliches Chaos, die Vorbereitungen auf ein Event, das binnen kürzester Zeit alle Erwartungen und Rahmen sprengt, die Hippiehorden, die buchstäblich über die Gegend hereinbrechen und all die vielen kleinen Episoden und Abenteuer am Rande und inmitten des irrwitzigen Gewusels. Die tatsächlich gespielte Livemusik ist nur als ferne Kulisse wahrnehmbar, im Vordergrund stehen die Menschen selbst, ihr gigantisches, marihuana- und pillengeschwängertes Happening, ihr sonniger Enthusiasmus auch in Schlamm und Regen, ihre grandiose Friedfertigkeit und ihre einzigartige Fähigkeit, diesen Moment zu genießen und zu etwas Besonderem zu machen. Ein Film mit überraschend viel Herz und Witz – überraschend deshalb, weil Angs letzte Filme bei aller Kunstfertigkeit von beidem nicht allzu viel hatten -, eine bezaubernde Komödie voll liebevoller, fast zärtlicher Gags, ein Film voll Sympathie für die Protagonisten, ein Film, der sich natürlich nicht mehr mit unbeschwertem, ahnungslosem Eifer der Sache von Peace & Love hingeben kann, der aber auf bemerkenswerte Art allen Beteiligten seine Reverenz erweist, zugleich respektvoll und mit sanfter Satire. Man kichert fast die ganze Zeit, genießt die schön aufbereiteten zeitgenössischen Impressionen und natürlich die Musik, die auch wiederum nicht so viel mit Woodstock konkret als vielmehr mit der Zeit allgemein zu tun hat. Angenehm fand ich auch, dass Ang uns nicht nonstop mit Soundtrack beschallt, sondern die einzelnen Tracks sparsam, dafür umso wirkungsvoller zum Einsatz kommen lässt. Hinzu kommt ein Rudel bestens aufgelegter, vielfach eher unbekannter Darsteller, unter denen allerdings doch Imelda Staunton herausragt, die als Elliots wüste Mom eine fantastische Show hinlegt und den Kollegen so manche Szene stiehlt.
Insgesamt eine großartige Hommage an eine Zeit, die faktisch zwar nur vierzig Jahre entfernt ist, die in vieler Hinsicht aber bereits Lichtjahre zurück liegt, an ein Ereignis, das gern zum Mythos emporgehoben wird, und obwohl ich es mit Mythen ganz und gar nicht habe, verstehe ich schon, warum Woodstock noch immer einen ganz speziellen Klang hat. Hunderttausende lagerten, feierten, kifften, becherten, vögelten und tanzten auf engstem Raum, an irgendeine Form geregelter Organisation war nicht zu denken, und wie leicht hätte es zu einer unkontrollierbaren Katastrophe kommen können, so wie in Altamont nur kurze Zeit später, als der friedliche Hippierausch in Hass und Gewalt umkippte. In Woodstock ist genau das nicht geschehen, und das allein ist durchaus ein Wunder. (14.9.)