Tannöd von Bettina Oberli. BRD/Schweiz, 2009. Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch, Brigitte Hobmeier, Filip Peeters, Vitus Zeplichal

   Apropos Literaturfilm – hier haben wir doch schon einen, einen Bestsellerfilm (das wäre mir noch wurscht), vor allem aber für sich genommen einen ziemlich respektablen, eindrucksvollen Film, und das zählt mir weitaus mehr, denn an dem Buch liegt mir gar nicht so viel. Das ist eine recht originelle, ein wenig auf Kunst getrimmte Alpensaga, ein dunkles, blutiges Familiendrama aus dem tiefsten Bayern der 50er Jahre mit viel Inzest, Gewalt und dörflicher Enge, erzählt aus ganz vielen verschiedenen Perspektiven, und wenn man dann am Schluss die annähernd vierzig kleinen Schnipsel zusammengebastelt hat, ergibt sich spannenderweise doch kein völlig erschöpfendes Gesamtbild. Das ist an sich nicht gerade neu, war aber vor drei Jahren irgendwie angenehm anachronistisch und schlug im hiesigen Buchmarkt gewaltig ein. Mir ist der Roman vor allem durch Monica Bleibtreus Lesung in Erinnerung, sie verlieh den einzelnen Erzählpersonen faszinierendes Leben und Gestalt, mehr womöglich, als wenn man das Buch so für sich liest.

 

   Ein Film kann sich diesen Kunstgriff natürlich nicht leisten, muss also vereinfachen, glätten, und in diesem Fall wurde einfach eine Figur hinzuerdacht, die das Ganze zusammenhält und als eine Art Mittler fungiert. Julia Jentsch kommt als junge Kathrin zwei Jahre nach den Morden nach Tannöd zurück, um ihre Mutter zu beerdigen, die auf dem Nachbarhof als Magd gearbeitet hat. Die furchtbare Tat ist noch immer nicht aufgeklärt, das kleine Dorf nebenan liegt in düsterer Agonie, Gerüchte, Beschuldigungen, Intrigen beherrschen seit zwei Jahren die Bewohner, die alle wissen, was sich auf dem Tannödhof vor den Morden zugetragen hat, nämlich eine andauernde Schändung der Bauertochter Barbara durch ihren Vater, den Danner, einen viehischen, brutalen Ochsen, der die Tochter vor den Augen der ganzen Familie missbraucht, mit ihr Kinder macht und auch noch andere Frauen nimmt und schwängert, unter anderem eben Kathrins Mutter, was sie im Laufe ihres Aufenthalts erfährt und daher auch endlich weiß, dass der erschlagene Danner ihr Vater ist, was die Mutter ihr zeitlebens nie erzählen wollte. Überhaupt wird viel vertuscht, verschwiegen, unter den Teppich gekehrt, und obwohl sich alle nach Kräften das Maul zerreißen, will vielleicht doch keiner wirklich wissen, wer die Familie mit einer Spitzhacke gemeuchelt hat, und vor allem warum, denn das ginge vielleicht doch alle an. Die alte Hexe Traudl, die ständig in jede Szene hineinplatzt mit ihren ominösen Unkereien und Anschuldigungen, nervt alle gewaltig, indem sie feststellt, dass der Mörder wohl noch unter ihnen zu finden sei, was logischerweise keiner gern zur Kenntnis nehmen will. Auch im Film, genau wie im Buch, geht’s viel weniger darum, wer nun der Mörder war, als vielmehr ein Stimmungsbild zu malen, das Porträt einer kleinen Gemeinschaft unter Druck, das menschliche Miteinander zwischen Mitschuld, Mitwisserei, Misstrauen, Hass, Gier und Lügen. Außerdem eignet sich der Stoff vorzüglich als Vorlage für einen schön altmodischen Gruselfilm, und genau so einer ist das hier geworden, ein atmosphärisch eindrucksvoll intensiver, brillant gespielter und fotografierter Film, der seinen hypnotisch nebligen Sog von Anfang an entwickelt und bis zum Schluss konsequent durchhält. Dramaturgisch wurde der Roman sehr überzeugend übersetzt in ein spannendes, komplexes Filmdrehbuch, das auch den einen oder anderen Zeitsprung und Perspektivwechsel vorweist und von erstklassigen Schauspielern ebenso überzeugend vorgetragen wurde. Es macht einfach mal Spaß, sich auf solch klassische Weise gekonnt in eine andere Zeit locken zu lassen, und wenn das so hervorragend gelungen ist wie hier, lasse ich mir das gern noch häufiger gefallen. (23.11.)