The Fall (#) von Tarsim Singh. Indien/England, 2006. Catinca Untaru, Lee Pace, Justine Waddell, Kim Uylenbroek, Sean Gilder, Aiden Lithgow
Bollywoodbilderrausch meets Hollywoodmärchen meets Gebrüder Löwenherz – hört sich nach einer ziemlich kuriosen Mischung an, trifft die Sache aber halbwegs, denn kurios ist dieser Film wahrlich, und zwar auf eine sehr sympathische Weise. Statt wie beispielsweise Guillermo del Toro das Aufeinandertreffen der kindlichen Seele mit der grausamen Welt der Erwachsenen zu einer poetischen aber auch furchteinflößenden Vision zu verarbeiten, bleibt Tarsem bei der Poesie, bleibt halbwegs friedlich, und dennoch hat sein Film eine starke Wirkung.
Der körperlich und seelisch verletzte Stuntman Roy trifft im Los Angeles der Stummfilmzeit (anno 1915) in einem Sanatorium auf ein forsches kleines Mädchen namens Alexandria und beginnt, sich für sie eine lange Geschichte auszudenken, die er weiter und weiter spinnt. Ein Märchen über den tragischen Kampf einiger Helden gegen einen finsteren Tyrannen, doch schon bald ist klar, dass sich Elemente aus der realen Welt in dieser Erzählung wiederfinden, Gesichter von Ärzten und Krankenschwestern tauchen auf, und es wird auch klar, dass Roy versucht, das Mädchen zu manipulieren, ihr Mitleid auszunutzen – sie soll ihm schmerzstillendes Morphium verschaffen, das er für einen pathetischen Selbstmordversuch benutzen will. Alexandria jedoch ist nicht auf den Kopf gefallen und sie hat trotz ihres Alters schon eine starke Persönlichkeit, und so kommt es, dass sich in Roys Geschichte plötzlich eine Art Kampf zwischen seinem melodramatischen Todeswunsch und ihrem entschlossenen Lebenswillen zuträgt, an dessen Ende das Leben siegt – sie wird geheilt, er ebenfalls, und sie wird ihn später noch in vielen waghalsigen Stunts bewundern können.
In ihrem Hang zum maßlosen, monumentalen Kitsch sind sich beiden großen Filmindustrien relativ nahe, doch liegt mir – wenn überhaupt – die Bollywoodvariante deutlich näher, sie ist irgendwie bunter, freundlicher, kindlicher, wenn man so will, nicht ganz so dreist kalkuliert und verlogen, obwohl mich die gnadenlose Euphorie der Dreistundenepen aus Mumbai angesichts der gerade dort herrschenden realen Verhältnisse immer wieder sprachlos macht.
Tarsem steht zwischen den Polen Ost und West – sein Personal und das Setting bezieht er klar aus der westlichen Kultur, die betäubende Bilderwelt ebenso klar aus der östlichen. Ihm gelingen starke Impressionen aus dem Kalifornien von 1915 – nostalgisch eingefärbte Szenen aus der jungen Filmindustrie, aber es gibt auch, bedingt durch Alexandrias familiären Hintergrund, den Blick auf die dunkle Seite des amerikanischen Traums, wo arme Siedler und Farmer, Einwanderer der ersten Generation zumeist, in Armut vegetieren und von ihrem kargen Land vertrieben werden. Der Film hält sich nicht besonders ausführlich dabei auf, doch genügen die wenigen Dinge, die das Mädchen erinnert, um einen Eindruck von der Zeit und von diesem Leben zu vermitteln. Sehr gelungen und witzig ist auch Tarsims liebevolle Hommage an die Kinderzeit des Films, an die schmelzenden Melodramen ebenso wie die irre verrückten Slapsticks, die ein fester Bestandteil meiner eigenen TV-Kinderzeit sind und die Tarsim hier wunderbar nachgestellt hat. Die Hauptsache ist aber doch die Ausgestaltung der zunehmend wuchernden Geschichte, die Roy dem Mädchen erzählt, und das ist für meinen Geschmack schon eine tolle Sache. Tarsim hat eine offenbar extrem üppige, bunt sprießende visuelle Phantasie, die er hier in ganzer Vollendung ausgelebt hat. Atemberaubende Tableaus in explodierenden Farben, grandiose Landschaftsszenarien, phantasievolle Figuren und Kostüme, und es macht einfach Spaß, sich mal in eine solche Welt fallen zu lassen, um so mehr, als man nach kurzer Zeit schon damit beschäftigt ist, die Bezüge zur Wirklichkeit zu suchen und zu verknüpfen. Und wenn es dann zum Finale kommt, zum Kampf des Guten gegen den Rivalen, im Grunde ja zum Kampf Leben gegen Tod, wird es sogar richtig dramatisch und spannend.
Die kleine Alexandria, ein naseweises niedliches Pummelchen, ist mein Geschmack zwar nicht so sehr, dennoch haben ihre Szenen mit dem traurigen, zunehmend lebensmüden Roy eine schöne Intensität, die die Grenzen zum bewussten Kitsch erfreulich selten überschreitet. Ich kann gut damit leben, wenn ich auf der anderen Seite ein so seltenes und eindrucksvolles optisches Ereignis genießen, das sinnliches Kino mit einem reizvollen Spiel von Phantasie und Wirklichkeit verbindet und wirklich eine tolle Abwechslung zum Standard bietet. (5.4.)