This is love von Mathias Glasner. BRD, 2009. Corinna Harfouch, Jens Albinus, Lisa Nguyen, Devid Striesow, Ernst Stötzner, Jürgen Vogel, Valerie Koch, Tatjana Seibt, Jesper Christensen

   Mut hat er, der Herr Glasner, das kann ihm wirklich niemand absprechen. Auch nach einem guten Dutzend Jahre im Geschäft, in dem durchaus auch mal das eine oder andere TV-Durchschnittswerk drin ist, bleibt er seinem Schlachtfeld-des-Lebens-Konzept treu, hängt er seine Projekte konsequent an den Extremen menschlicher Existenz auf. Das ist vor allem anstrengend, das ist gelegentlich wie beim „Freien Willen“ auch mal faszinierend, das ist aber grundsätzlich auch mächtig ausufernd und erfordert sehr viel Toleranz in der Konfrontation mit zwischenmenschlichen Zuständen. Vielleicht wäre Fassbinder stolz auf diese Filme gewesen. Mich hat „This is love“ in manchem an den eher missratenen „Sexy Sadie“ erinnert (damals auch schon mit Harfouch und Vogel), nicht ästhetisch, sondern thematisch und vor allem in seinem Hang zu groben Überzeichnungen. Nun war „Sexy Sadie“ schon inhaltlich eher vermurkst, weswegen mich die Klischees und hysterischen Töne nicht mehr sonderlich irritiert haben, hier aber handelt es sich um einen Film, der viele beachtenswerte Komponenten und auch höchst eindrucksvolle Momente hat, der aber zumindest bei mir im Ganzen auch etwas Ärger ausgelöst hat.

   Zwei Schlachtfelder werden hier beackert: Das eine heißt Maggie, eine Berliner Kriminalbeamtin, die eines Tages Knall auf Fall von ihrem Mann verlassen wird, ohne Erklärung, ohne jeden weiteren Kontakt. Er ist einfach weg, nur sieht Maggie ihn eines Tages auf der Straße zusammen mit ihrer Tochter Nina, die wiederum gezwungen wird, der Mutter nichts zu erzählen. Maggie greift zur Flasche und wird binnen Kurzem zu einem Alkoholikerwrack, zynisch, aggressiv, dement (die realitätsfernste Polizeibeamtin, die ich je in einem Film gesehen habe!), und dennoch sehnsuchtsvoll umworben vom jüngeren Kollegen Roland, mit dem sie einmal geschlafen hat, der aber von einer festen Beziehung träumt, was für sie undenkbar ist. Sie lässt sich mit dem Kneipenwirt Jörg ein, ruiniert die Hochzeit ihrer Tochter und versackt regelmäßig im Koma. Auf der Polizeiwache trifft sie Chris, das zweite Schlachtfeld: Der dänische Papa ein böser Tyrann, die deutsche Mutter in sanfter Verwirrtheit entrückt, engagiert er sich für thailändische Kinderprostituierte, die er gemeinsam mit dem Kumpel Holger aus den Fängen der Zuhälter rettet und europäischen Adoptiveltern zuführt. Nur mit der kleinen Jenjira scheint das nicht zu klappen, es werden auf die Schnelle keine Eltern gefunden, die halbseidene Schlepperbande will schleunigst Geld sehen, Holger wird’s schon mulmig, nur Chris ist fest entschlossen, das Mädchen zu retten, nimmt sie bei sich auf und beginnt eine planlose Odyssee zwischen Dänemark und Berlin, wobei Chris‘ Gefühle zu dem Mädchen, eine Art obszöne Barbiepuppe, ins Wanken geraten und er sich mehr und mehr in sie zu verlieben droht. Es kommt zu Panik und Gewalttaten, Unfällen und sogar einem heftigen Totschlag, am Ende jedoch halten Chris und Jenira sich an der Hand.

   Was Fans von Fassbinder oder Douglas Sirk vielleicht als ein Hohelied auf die große, bedingungslose Liebe deuten mögen, kommt mir zuletzt wie ein Melodram vor, das seinen eigenen Möglichkeiten nicht traut und deshalb Zuflucht zu schrillen Exzessen sucht. Es gibt großartig intensive Momente, starke Bilder, hypnotische Musik, eine Crew außerordentlicher Darsteller (die allerdings vom Drehbuch mehr als einmal im Stich gelassen werden), und mit etwas Mäßigung hätte ich auch die Story noch hingenommen, doch erstens werden sowieso schon viel zu viele Probleme und Dramen aufeinander gehäuft, und zweitens weiß Glasner offensichtlich keinen anderen Weg, als immer alles in Blut und Tränen enden zu lassen, und für so etwas fehlt mir persönlich einfach der Wille zur Emphase. Der ganz große kollektive Nervenzusammenbruch steht ständig kurz bevor oder ereignet sich soeben, es gebrüllt, geschlagen, gesoffen, gelitten, dass die Schwarte kracht, und gottlob sind großartige Typen wie Devid Striesow oder Jens Albinus von Haus aus eher ruhigere Kameraden und bieten einen gewissen Kontrapunkt zu jemandem wie Harfouch, die ganz gern auch mal den einen oder anderen Anfall raushaut und bei Glasner immer eine Heidengaudi zu haben scheint. Ein solch heikles Thema wie Pädophilie, zunächst scheinbar noch ganz ernsthaft im Programm, wird zunehmend unscharf, doppeldeutig, und das hat auch nichts mit gewollter Provokation zu tun, das ist bestenfalls leichtsinnig. Wie uns sowieso bei all dem vielen Barmen und Greinen der Erwachsenen der Blick auf die unumstößliche Gewissheit verstellt wird, dass das kleine Mädchen aus Thailand das einzig wirklich bemerkenswerte Opfer in dem ganzen Sumpf hier ist, der einzige Mensch weit und breit, der mit ziemlicher Sicherheit keine Chance haben wird, aus eigener Kraft sein Leben zu verändern und zu gestalten. Die vielen Leidenden um sie herum mögen ein veritables Jammertal darstellen – der einzig wahre Abgrund öffnet sich bei einem Blick in Jenjiras Augen.

 

   Hauptsächlich während der ersten Hälfte, vielleicht auch ein wenig länger, habe ich mich zwischendurch gefangen und auch berührt gefühlt von Glasners eindrucksvoller Inszenierung und den eindringlichen Charakterisierungen (auch wenn ich die Harfouch am liebsten nur in kleinen Dosen genießen mag), doch wenn sich zum Schluss dann all der Ballast aufeinander türmt und jegliche Glaubwürdigkeit endgültig unter sich begräbt, empfinde ich zugleich Bedauern und wie gesagt leisen Ärger über eine verschenkte Möglichkeit, denn gute Melodramen gibt’s in Deutschland wenig. Das hier ist leider auch keins geworden. (29.11.)