Tropa de elite (#) von José Padilha. Brasilien, 2007. Wagner Moura, Caio Junqueira, André Ramiro, Maria Ribeiro, Fernanda Machado, Fábio Lago, Fernanda de Freitas, Paulo Vilela, Milhem Cortas, Marcelo Valle
BOPE heißt die Spezialeinheit, die dann anrückt, wenn die normale Polizei Rio de Janeiros hilflos ist – also eigentlich fast immer. Mit fanatischer härte trainiert, bis an die Zähne bewaffnet und ihrerseits zu rücksichtslosem Vorgehen entschlossen rücken sie in die Favelas, bekämpfen die Drogenbanden, bekämpfen auch die Korruption der eigenen Kollegen, und da an beidem unerschöpflicher Nachschub zu fließen scheint, hört ihre blutige Arbeit nie auf und führt auch nie zu einem wirklich nachhaltigen Ergebnis. In der vielleicht brutalsten Stadt der Erde herrscht ein sich immer wieder selbst speisender Kreislauf der Gewalt, wobei die beiden Hauptfutterquellen die unentwegten Territorialkämpfe der hochgerüsteten Gangs einerseits und die Korruption vieler Polizeibeamter andererseits ist. In vielen Slums arrangiert man sich, stellt Regeln der gegenseitigen Existenzsicherung auf, was natürlich dazu führt, dass niemand dem Treiben der kriminellen Kräfte jemals wirklich Einhalt gebietet und das Problem längst eine kaum noch zu bewältigende Dimension angenommen hat. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist der kontinuierliche Drogenkonsum und damit die kontinuierliche Nachfrage aus bessergestellten Kreisen, die mit ihrer Zahlungskraft die Macht der Kartelle ständig erhalten und vergrößern und außerdem dafür sorgen, dass man gesellschaftspolitisch kaum effektiv gegen die Drogenkriminalität und ihre Wurzeln vorzugehen vermag.
Das Wirken der BOPE wirkt höchstens wie ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn für jeden Gangster, den sie erledigen, für jeden käuflichen Cop, den sie dingfest machen, wachsen an anderer Stelle zwei neue aus dem Boden. Außerdem ist ganz klar, dass sie durch ihr äußerst hartes Vorgehen kaum gesellschaftlichen Rückhalt haben, zumal nicht bei denen, die für friedliche Lösungen, für Dialog und Verständigung oder Demokratie stehen. Das Weltbild der BOPE-Truppe ist denkbar schlicht: Der oder ich, schwarz oder weiß, Leben oder Sterben. Erst schießen und dann fragen, jeder Typ in den Favelas ist ein potentieller Feind, und irgendwelche Skrupel oder Rücksicht wurde ihnen sorgsam und gründlich ausgetrieben in einem Training, das in seiner methodischen Mischung aus Zynismus, Demütigung und Entmenschlichung sehr an den Drill der US-Marines erinnert. So kommt es, dass sich die Gewalt der BOPE in wenig von der der Gangster unterscheidet, Folter und Hinrichtungen eingeschlossen, und so kommt es, dass das Leben der BOPE genauso im Zeichen der Gewalt steht wie das der Gangster.
Wir lernen einen aus der Truppe kennen, den Capitão Nasciemento, der dringend einen Nachfolger sucht, denn seine Frau ist hochschwanger und verlangt von ihm, dass er den lebensgefährlichen Job an den Nagel hängt. Zudem kann er sich Tag für Tag fast nur noch unter Zuhilfenahme von Psychopharmaka über Wasser halten, sein Händezittern wird immer stärker und er steht oft genug vor dem völligen Zusammenbruch, womit es ihm ähnlich geht wie den meisten der Kollegen. Zwei Kandidaten hat er sich ausgeguckt, nur einer kommt für den Posten in Frage, und der muss seine Eignung schlussendlich mit einer kaltblütigen Hinrichtung unter Beweis stellen. Und obwohl er gar nicht der Typ dafür ist – eher ein Denker mit Ambitionen an der Uni – tut er’s und hält damit auch den Kreislauf der Gewalt intakt.
So irritierend und unbequem wie dieser Schluss ist auch der ganzer film zuvor, der trotz seiner Auszeichnung bei den Berliner Filmfestspielen 2008 auf sehr gemischte Reaktionen stieß. Man sieht daran mal wieder, dass auch der anspruchsvollste Konsument am liebsten auf klar definierte und sauber geordnete Strukturen zurückgreift und auch offenbar nicht immer unterscheiden kann zwischen, was ein Film zeigt und dem, was er eigentlich sagen will. Ganz sicher wollte José Padilha das tun der BOPE nicht verherrlichen, ganz sicher ist dies kein unkritischer Machomilitärmurks wie man ihn häufig aus Hollywood zu sehen kriegt, und ganz ganz sicher redet er hier nicht denjenigen das Wort, die für knallhartes Durchgreifen der Autoritäten in den Favelas einstehen. Sein Film hat einen halbdokumentarischen Charakter, wir hören Nasciemento häufig aus dem off zu uns sprechen, und allein in seinen Kommentaren und dem, wie er sich uns präsentiert, zeigt sich eine deutlich kritische, pessimistische Sicht der Verhältnisse in Rio, die sich gegen Ende immer stärker verdichtet. Nasciementos potentieller Nachfolger Neto hatte sich mit einigen Studenten angefreundet und in langen Debatten erleben müssen, wie weit die vermeintliche geistige Elite von der gesellschaftlichen Realität entfernt lebt, wie arrogant und naiv sie oft urteilt, wie gedankenlos sie sich dem Konsum von Koks und Haschisch hingibt und wie schlicht und pauschal ihre Weltsicht ist. Als er sich dann als Bulle outet, hat er bei den meisten verspielt, und dennoch kostet ihn sein persönliches Engagement fast das Leben, weil er die Verhältnisse eigentlich nicht so hinnehmen will, wie sie sind. Am Schluss fügt er sich dann doch in den Kanon ein und leistet seinen Beitrag zum Erhalt der Verhältnisse – grimmiger und trauriger geht’s kaum. Ein hoch intensiv beteiligte, immer dicht am Geschehen orientierte Handkamera folgt der BOPE in die Favelas, taucht ein in ein Alptraumwelt jenseits unserer Vorstellungskraft, vermittelt auch weit entfernten Westeuropäern wie mir einen vagen Eindruck davon, wie das Leben in Rio jenseits der Scheiß Copacabana aussehen mag. Padilha bleibt konsequent bei der Perspektive der BOPE, er macht sich aber nur ihre Perspektive zu eigen und nicht ihre Ideologie, das ist ein ziemlich großer und wichtiger Unterschied und den muss man eben sehen. Abgesehen davon, dass da gar nicht soviel Ideologie ist – Überleben ist das erste Ziel, irgendsowas wie Gerechtigkeit vielleicht noch ein weiteres, doch davon kann, das wissen die Leute aus der Truppe selbst, kaum noch die Rede sein, und eigentlich glaubt auch keiner so richtig daran. Die ersten Schießereien in den Slums, und alle ideale sind dahin, und das schematische Schwarz-Weiß-Denken ist so ziemlich der einzige Reflex, der bleibt und der dem Überleben und der eigenen Integrität dienen soll. Nasciemento ist schon über diesen Punkt hinaus – er kann ich kaum, noch im Spiegel anschauen – und seine Kollegen werden ihm früher oder später ganz sich in Selbstekel, Psychosen und Dauerstress folgen. Daraus wurde in diesem Fall nun kein soziologisches Traktat, sondern ein rasanter, virtuos gefilmter, erschreckend realistischer Bericht aus der Alptraumstadt am Zuckerhut, ein erschütterndes Porträt aussichtsloser Verhältnisse, übermächtiger, allgegenwärtiger Gewalt und fast institutioneller Menschenverachtung. Zu viele einzelne Faktoren spielen dabei eine Rolle, und Padilha versucht vernünftigerweise gar nicht erst, sich auf eine solche Untersuchung einzulassen, muss e auch gar nicht, denn schon eine bloße Schilderung der Ereignisse, ein zweistündiger, intensiver Blick auf die condition humaine in dieser Stadt reicht völlig aus, um verständlich zu machen, warum die Dinge dort so sind, wie sie sind. Nach Meirelles‘ „Cidade de deus“ ist dies das zweite großartige, monströse Epos aus Rio innerhalb kurzer Zeit, und immerhin musste ich nur gut anderthalb Jahre darauf warten, es in unserer verschnarchten Region mal zu Gesicht zu bekommen! Immerhin weiß ich heute, was ich Mitte 2008 noch nicht wissen konnte, dass nämlich in Rio de Janeiro die Olympischen Spiele 2016 ausgetragen werden. Ein Treppenwitz der Geschichte allemal, und eine echte Herausforderung für die Planer – wie kriegen wir diesen Müllhaufen halbwegs sicher, oder besser, wie schaffen wir es, die Gewalt außerhalb des Blickwinkels der Kameras stattfinden zu lassen? Hier in diesem Film soll die BOPE noch den Pabst beschützen. Vielleicht kommt anno 2016 auf die Truppe eine ganz andere Aufgabe zu… (25.10.)