Unter Bauern von Ludi Boeken. BRD/Frankreich, 2009. Veronica Ferres, Armin Rohde, Martin Horn, Lia Hoensbroech, Margarita Broich, Veit Stübner, Louisa Mix

   Im Nachspann erfahren wir, dass von den 98 Ahlener Juden nur 3 den Holocaust überlebt haben, und in den hundert Minuten zuvor erfahren wir, wie das gelingen konnte. Menne Spiegel ist auf der Flucht und erinnert sich: Westfront 1918, er rettet einen Kameraden und erhält das Eiserne Kreuz – ein Vierteljahrhundert später trägt er auch eine Kennzeichnung, doch ist es nun eine, die seinen Tod bedeutet, nämlich der gelbe Stern. Er flieht aufs Land, nutzt die Kontakte zu den alten Frontkollegen und bringt Frau und Tochter beim Bauern Aschoff unter, während er selbst rastlos von Hof zu Hof hetzt, immer in der Nähe der Familie, immer kurz vorm Entdecktwerden und schließlich dem Wahnsinn nahe, fast zwei Jahre lang, bis man sich mit knapper Not in die amerikanische Besatzung retten kann, und auch dort geht der Irrsinn zunächst noch weiter, als er nämlich plötzlich verdächtigt wird, SS-Mann zu sein. Erst als er buchstäblich die Hosen vor einem GI runterlässt, kann er seine Identität beweisen.

   Seine Frau Marga, die heute mit Mitte neunzig in Münster lebt, hält ihre Erlebnisse 1969 in einem Buch fest, und das ist hier nun vierzig Jahre später verfilmt worden. Warum jetzt, weiß ich nicht, zu spät ist es natürlich nie, den wenigen ein Denkmal zu setzen, die es unter Einsatz ihres Lebens auf sich nahmen, Juden und andere Verfolgte vor den Nazis zu verstecken und sie damit vor Deportation und Tod zu retten. Insofern ist solch ein Film zu aller Zeit ehrenhaft und wichtig, was auch in diesem Fall unterstrichen werden muss. Gesagt werden muss auch (einmal mehr), dass die Ehrenhaftigkeit des Films und seine tatsächlichen künstlerischen Qualitäten zwei Paar Schuhe sind, und so gern ich auch die noblen Absichten honoriere und respektiere, so sehr bedaure ich auch zum x-ten Mal, dass nicht mehr daraus geworden ist.

   Die Autoren und der Regisseur konzentrieren sich sehr auf die Darstellung des Lebens in der ländlichen Gemeinschaft zwischen Hof, Dorfkneipe, Küche und Stall – bodenständige, einfache Münsterländer Bauern, die ganz und gar nicht zum Helden taugen, und die die Familie Spiegel bestimmt nicht aus tiefen politischen Überzeugungen bei sich aufnehmen. Es sind dies ganz einfach anständige Menschen, erzogen und aufgewachsen mit bestimmten, grundsätzlichen Überzeugungen menschlichen Miteinanders, die nun von den Nazis seit Jahren grässlich in den Dreck gezogen werden, und schon allein das regt ihren Widerwillen: Die schäbigen, vulgären, braunen Proletenbanden, die sie als eine Schande für Ihresgleichen betrachten und um nichts mit ihnen assoziiert werden möchten. Dabei wissen sie noch nicht mal wirklich, was jenseits ihres Horizonts mit den Juden geschieht, man hört nur so allerlei, unter anderem eben, dass aus dem Osten keiner mehr lebend zurückkehrt. So sind es interessanterweise eher die Jungen, die sich für Hitlers Sache begeistern und mit Feuereifer in der HJ oder dem BDM mittun, Uniform anlegen, Lieder rezitieren und sich nach Kräften bemühen, die Ideologie zu verinnerlichen, während die Eltern ihren eigenen uniformierten Kindern oft angewidert und mit offener Ablehnung entgegentreten. Dennoch bleibt der Westfale erdverbunden und behäbig, offene Opposition regt sich selbstverständlich nicht, die Söhne werden ebenso selbstverständlich fürs Vaterland verheizt. Die Darstellung dieser oft widersprüchlich erscheinenden Charakterzüge ist im Film sehr gut gelungen, hier hat er seine intensivsten, spannendsten Momente, weil er sehr detailliert und genau schildert. Andererseits bedeutet dieser Zeitaufwand leider auch, dass andere, nicht minder relevante Dinge zum Teil arg zu kurz kommen. Siegmund und Marga Spiegel werden als Ehepaar nie so richtig verständlich, über ihr jeweiliges Leben erfährt man kaum etwas, weshalb einzelne Andeutungen unverständlich bleiben – Siegmund wird von Aschoff einmal liebevoll grob als „Pferdejud“ bezeichnet, und die schicken Kleidungsstücke in Margas Koffer lassen auf eine mondäne Vergangenheit schließlich (sie ist eine geborene Rothschild) und deuten auf einen Kulturclash mit den erdigen Landfrauen hin, doch alles in allem wird über die beiden fast nichts bekannt. Auch andere Charaktere bleiben schemenhaft, wohingegen wiederum Bauer Aschoff und seine Frau spannende, faszinierende und auch faszinierend gespielte Porträts abgeben und andeuten, was vielleicht mit etwas mehr Mut und Konsequenz möglich gewesen wäre.

 

   Aber so ist das nun mal – die kommerziellen Vorgaben sind klar, solch ein Film sollte einen gewissen zeitlichen Rahmen nicht sprengen, sollte sich tunlichst nicht außerhalb gewisser ästhetischer Vorgaben bewegen, schließlich geht es um die Aussage und darum, dass sie so viele Zuschauer wie möglich erreicht. Ich habe mich schon hundertmal gefragt, ob es dabei tatsächlich keinen anderen Weg gibt als diesen, der zwar keine schlechten Filme hergibt, der mich persönlich aber nie richtig zufriedenstellt. Sicherlich kann ich mit Filmen wie diesem leben, denn auch mir liegt seine Absicht am Herzen, aber ich denke immer daran, um wieviel stärker und eindrucksvoller er hätte sein können, wenn die Macher ein einziges Mal nur halb soviel Courage entwickelt hätten wie die Menschen, die sie hier vorstellen. Immerhin sieht man am Schluss die beiden alten Damen Spiegel und Aschoff gemeinsam mit dem Filmteam am Set – eine schöne, würde Hommage, ein bisschen ähnlich wie in „Berlin 36“, in dessen Zentrum ja auch eine starke Frau in der Nazizeit steht und der, wenn auch noch auf niedrigerem Niveau, ziemlich vergleichbare Schwächen aufweist wie „Unter Bauern“. (28.10.)