Män som hatar kvinnor (Verblendung) von Niels Arden Oplev. Schweden/Dänemark, 2008. Mikael Nykvist, Noomi Rapace, Peter Haber, Marika Lagercrantz, Sven-Bertil Taube, Lena Endre, Ewa Fröling, Ingvar Hirdwall, Gunnel Lindblom, Peter Andersson, Tomas Köhler, Stefan Sauk

   An Schwedenkrimis führt für Liebhaber des Genres, soviel steht mal fest, schon lange kein Weg mehr vorbei. Nachdem Maj Sjöwall und Per Wahlöö zwischen 1965 und 1975 mit ihrer legendären Serie das Feld bestellten, halten ihre Nachfolger Jahr für Jahr reiche Ernte, und das Ende des Booms ist unabsehbar, davon darf man sich mit einem Blick in jeden beliebigen Buchladen zwischen Flensburg und Rosenheim überzeugen. Boom heißt natürlich zugleich auch, dass etliche Durchschnitts- oder gar Unterdurchschnittsware im Strom mitschwimmt, und ich für meinen Teil kann mich an manch missmutige Lektüre allzu mäßiger Romane von Karin Wahlberg oder Helene Thurstén erinnern. Aufgewogen wird solcher Verdruss indes mehr als reichlich durch die großartigen Werke von Henning Mankell, Arne Dahl oder Åke Edwardson, die für meinen Geschmack zum Besten gehören, was die Gattung überhaupt zu bieten hat, und ich gebe gern zu, dass ungeachtet ihres mittlerweile großen Erfolges die drei Romane von Stieg Larsson nicht zu meinen absoluten Favoriten gehören. Zweifellos ist die zu Larssons Lebzeiten fertiggestellte Trilogie (ursprünglich sollten es wohl gar zehn Bände werden) mit weit über zweitausend Seiten ein gewaltiges Unterfangen und allemal brillante Unterhaltung, die die Zeit im Flug verstreichen lässt, dennoch sind mir die teilweise recht ausufernde Handlung und auch die Charakterisierung einzelner Figuren ein bisschen zu überzogen, vor allem die Lisbeth Salander, obgleich höchst originell und irgendwie faszinierend, ist eine totale Kunstfigur, die sich radikal aller Identifikationsversuche entzieht, weil sie einfach zu weit außerhalb jeglicher Realität steht. Wer das allerdings im Grundsatz akzeptiert, wird voll auf seine Kosten kommen, und auch ich hatte viel Spaß und Spannung bei der Lektüre, die auf jeden Fall von einem großen Geschichtenerzähler zeugt.

   Der dazu gehörige Kinofilm steht auf jeden Fall vor der denkbar schwierigen Aufgabe, siebenhundert Seiten auf ein konsumierbares Format einzudampfen, ohne substantiell total auszufransen, und ich denke doch, dass dieses Unterfangen diesmal wirklich meisterhaft geglückt ist. Wir haben es hier nicht nur mit einer zweieinhalbstündigen hochdosierten Adrenalinspritze zu tun, sondern auch mit emotional sehr dichtem Erzählkino mit Tiefgang und genug Atem für zwei Nachfolger, die auch wir hoffentlich bald im Kino zu sehen bekommen werden. Dass dabei mancher Erzählstrang und manche Figur fast vollständig gekappt werden mussten, leuchtet ein, ist ebenso schade wie unvermeidlich, und wenn ich den Film so sehe, ist trotzdem eine in sich sehr runde, konsistente und überzeugende Adaption entstanden, die der Handlung des Romans sehr eng folgt und die vor allem die beiden Hauptfiguren plastisch und eindrucksvoll heraushebt. Mikael Nykvist ist vielleicht ein wenig zu alt und zu kantig für den Kalle Blomqvist, den ich mir etwas glatter, smarter und jungenhafter vorgestellt hatte, und sein Sexleben erscheint auch nicht gar so ausufernd und willkürlich wie im Roman, doch ist Nykvist als Schauspieler allemal stark genug, um eine eigene Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit zu entwickeln. Noomi Rapace ist die optimale Wahl für die Salander, ein drahtiger, bissiger, vollkommen rätselhafter und genial begabter Freak mit grausamer Vorgeschichte und grausamen Erlebnissen, die sie noch immer heimsuchen und gegen die sie sich mit größtmöglicher, angelernter Härte zur Wehr setzt. Eine Filmfigur, wie man sie wirklich nicht alle Tage vorgesetzt bekommt und in jedem Fall die kongeniale Umsetzung ihrer Buchvorlage. Dazu gesellt sich eine illustre Schar erstklassiger schwedischer Charakterdarsteller, die das Zuschauen zu einem noch größeren Vergnügen macht, auch weil man mal erleben darf, wie der brave Martin Beck so richtig fies werden kann. Die Story steigt unaufhaltsam in immer dunklere Abgründe, die Spannung steigt ständig, die Grausamkeit auch, und genau wie im Buch hängt am Schluss ein kleines Bisschen über, wenn nämlich der atemberaubende Showdown vorbei ist und Larsson noch glatte hundert Seiten dranhängt, einfach nicht aufhören kann und noch einen draufsetzen muss. Nicht nur wird die seit vierzig Jahren verschwundene Harriet in Australien aufgestöbert, unserem Helden gelingt es auch noch, mit der Hilfe von Lisbeths Recherche seinen Lieblingsfeind, den widerlich selbstgefälligen, korrupten und kriminellen Industrieboss Wennerström so richtig dranzukriegen, was an sich vielleicht ganz nett ist, was mich aber sowohl im Buch als auch im Film nicht mehr so richtig interessiert hat, weil ich von soviel Spannung zuvor ganz ausgelaugt und nicht mehr recht aufnahmebereit war. Jeder von Larssons drei Romane hat solche Längen und Leerstellen, sie sind einfach zu üppig, dramaturgisch nicht rund, das gehört zu ihnen und muss in Kauf genommen werden. Nicht umsonst sind Larssons drei Romane mindestens so lang wie das ganze Sjöwall/Wahlöö-Paket.

 

   Im Film fällt dieses Manko kaum auf, er ist brillant inszeniert und gespielt, hochspannend, randvoll mit düsterer, ominöser Schwedenatmosphäre und einem Rest Gesellschaftskritik, mit der es Larsson durchaus sehre ernst meinte. Wie gesagt, Raffungen und Verkürzungen waren unvermeidlich, fallen natürlich hier und da auf, sind aber im Gesamtkonzept zu verschmerzen, weil das in sich stimmig und rund ist, und wenn man dann einen so tollen Thriller serviert bekommt, will man nicht ernsthaft meckern, gelt? Ich jedenfalls freue mich darüber und freue mich gleichfalls auf die beiden noch ausstehenden Filme, die hoffentlich genauso gut gelungen sind. (2.10.)