Vision von Margarethe von Trotta. BRD, 2009. Barbara Sukowa, Hannah Herzsprung, Heino Ferch, Lena Stolze, Alexander Held, Sunnyi Mellies, Paula Kalenberg, Mareile Blendl, Annemarie Düringer, Devid Striesow

   Rund fünfzig Jahre aus dem Leben der Hildegard von Bingen, vom Zeitpunkt ihres Eintritts in das Benediktinerkloster als Achtjährige bis zu ihrer Genesung nach schwerer Krankheit als Sechzigjährige. Dazwischen liegt ihre lange Zweit im gemischten Kloster Disibodenberg, ihre Reifung, ihre Wahl zur Magistra, die tiefe Zuneigung zur jungen Richardis und schließlich der Aufbruch in ein neues, ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen am Rhein und der schwierige Weg dorthin. Dazu gibt es Konkurrenz innerhalb der Schwesternschaft, das ungebührlich egoistische Ringen um das junge Mädchen, das schließlich doch nach Bassum abberufen wird, das kontroverse Verhältnis zum Abt Kuno, ihrem einflussreichen Vorsteher aus Disibodenberg, der vergeblich versucht, die eigenwillige, modern denkende und immer einflussreicher werdende Magistra unter Kontrolle zu bekommen, der Besuch bei Friedrich Barbarossa, der ihren Ruf als Seherin schätzt und ihre Gabe für seine eigenen Zwecke nutzt, und schließlich und  vor allem ihre Entwicklung als Naturwissenschaftlerin und Autorin wichtiger Werke zu den Themen Glauben und Natur, die sie ja auch auf ihren langen Reisen nach bewusster Rekonvaleszenz auslebt.

 

   Weshalb Mäggie von Trottas ausgerechnet den vorgeführten Abschnitt gewählt hat, weiß ich nicht genau, und ob das nun sinnvoll ist oder nicht, mag ich auch nicht beurteilen, weil ich über Hildegard von Bingen zu wenig weiß. Ich weiß nur, dass diesem Film vor allem der Fokus fehlt, ein inhaltliches Zentrum, oder zumindest eines, das im Zusammenhang mit Hildegards Persönlichkeit Sinn macht. Vergleichsweise breiten Raum nimmt ja die Beziehung zu Richardis ein – wie wichtig die nun wirklich für Hildegard war, vermag ich nicht zu beurteilen, ich persönlich hätte mich aber sicherlich eher für ihre Ansichten zu Theologie und Naturwissenschaft interessiert, während von Trotta sich erwartungsgemäß fürs Menschliche entschieden hat, weil sich das im Kino schließlich auch besser erzählen lässt. Herausgekommen ist dabei eine optisch ausgesprochen schöne, musikalisch ebenso wirkungsvoll untermalte Meditation, die in manchen Momenten durchaus ein Gefühl für die damalige Art der Spiritualität vermittelt, der aber aufs Ganze gesehen ein wenig das Feuer fehlt, die Kraft, den Funken überspringen zu lassen. Hildegard kommt in einigen Aussagen sehr kraftvoll rüber als eine unerschrockene, kompromisslose Frau, die sich ihrer Rolle und den Strukturen ihrer Zeit jederzeit vollkommen bewusst ist und die das Risiko, die Mächtigen zu reizen und zu provozieren, ganz kalkuliert eingeht, die mehrmals bedrohlich der Ketzerei und der Teufelei bezichtigt wird, die auch nicht immer versteht, dass ihre Ordensschwestern ihr nicht in allem folgen können und wollen und Hildegards Eigensinn häufig als irregeleitete Extravaganz empfinden. Im Fall Richardis leitet ihr Eifer sie auch tatsächlich in die Irre, lässt sie den Blick für das Wohl der jungen Frau vergessen, lässt sie selbstsüchtig und besitzergreifend erscheinen, doch kann sie diese Erfahrung offenbar überwinden, jedenfalls wirft sie im Film keinen weiteren Schatten, was auch insgesamt typisch ist. Von Trotta folgt weiterhin ihrem Weg, dramaturgisch eher dezent und unaufgeregt vorzugehen, sich große Effekte zu versagen, und so sympathisch mir ihre seit Jahrzehnten konsequent durchgehaltene Linie auch ist, so hat sie andererseits immer wieder zu u inhaltlich interessanten, dennoch eigentümlich kraftlosen Filmen geführt, die letztlich einen Teil ihres Potentials verschenken. Da kann sich die wie gewohnt großartige Barbara Sukowa noch so mühen, da können in weiteren Rollen allerlei illustre deutsche Darsteller auftreten, da können Bilder und Musik häufig zu einer wunderbar harmonischen Einheit verbunden werden, das fehlt unter dem Strich der letzte Zug, der Mut zur starken Aussage, zu einer verbindlichen, vor allem persönlichen Vision, denn wie ich oben schon sagte, bis zuletzt ist mir nicht recht klar geworden, warum von Trotta diese Geschichte erzählt und was sie mit ihr zeigen oder sagen wollte. Und ich bin mir sicher, dass die Geschichte Hildegards durchaus Stoff für einen weitaus brisanteren Film hergegeben hätte, zumal wir hier über ihre Außenwirkung und auch die theologischen Kontroversen ihrer Zeit bedauerlich wenig erfahren. Hildegard, die sich von Anfang an gegen allzu strikte Askese und jene blutige Selbstkasteiung wandte, die sie bei ihrer geliebten Ordensmutter Jutta von Sponheim vorfand, bildet schon in ihrer Persönlichkeit an sich einen wunderbaren Diskussionsgegenstand, nur hatte von Trotta offenbar zu große Angst vor einem trockenen Geschichtsfilm und hat solche Themen weitgehend umschifft. Schade, wie ich finde. (13.10.)