Ajami (#) von Scandar Copti und Yaron Shani. Israel/BRD, 2009. Shahir Kabah, Ibrahim Frege, Fouad Habash, Ranin Karim, Eran Naim, Scandar Copti, Nisrine Rihan, Elias Saba, Youssel Sahwani, Abu George Shibli
In TelAviv-Jaffa und seinen Stadtteilen wie beispielsweise Ajami, bildet fast sich die ganze Welt ab, bilden sich vor allem die Probleme ab, die unsere sogenannte moderne Welt kennzeichnen: Zusammenleben auf engstem Raum und dennoch fast unvereinbar getrennt sein durch ethnische und religiöse Zugehörigkeit. Christen und Muslims, Juden und Araber in Slums, Ghettos, hinter Zäunen, Grenzbalken, bewacht und zugleich bedroht von Soldaten und schwer bewaffneten Polizeieinheiten.
Dieser Film verwebt in zwei atemlosen Stunden eine Reihe von Geschichten, die sich vor allem darum drehen, wie in diesem dauerhaften Ausnahmezustand so etwas wie ein alltägliches Leben funktioniert – oder eben auch nicht. Elementare Dinge wie Liebe, Misstrauen, Hass und Trauer kommen genau so zur Sprache wie Drogenkriminalität, Familienbande, Rachemorde, verbotene Liebesbeziehungen. Ein junger Mann versucht verzweifelt, Geld aufzutreiben, um seine Familie zu entschulden, ein anderer möchte seiner schwer kranken Mutter eine teure Operation ermöglichen. Beide begeben sich in freundschaftliche Abhängigkeit zu einem Patriarchen, der allerdings seine Bedingungen und Regeln aufstellt und es natürlich niemals dulden würde, dass seine Tochter mit einem Muslim anbändelt. Ein Polizist sucht seinen seit Jahren verschwundenen Bruder, und, als die Leiche in einer Höhle gefunden wird, sucht er nun die Schuldigen, vor allem unter den Arabern. Ihre Wege verstricken sich, als es am Ende zu einem vermeintlichen Drogendeal kommen soll, der blutig und dramatisch endet, und der nichts ist als eine Verkettung von Missverständnissen und tragischen Irrtümern.
Natürlich sind die Beteiligten Gefangener der Umstände, des Milieus, ihrer Herkunft, Erziehung, ihres Glaubens, niemandem gelingt es, den Kreislauf zu verlassen, obwohl jeder für sich einen Ausweg sucht. Der Muslim Omar liebt die Christin Hadir, doch wissen beide, dass ihre Liebe keine Zukunft hat, nicht in Tel Aviv, und wohl auch sonst nirgendwo, zumal Omar noch diese Riesensumme aufbringen muss, um seine Familie vor Verfolgung und Flucht zu beschützen. Malek hält sich illegal im jüdischen Teil der Stadt auf, weil nur dort Geld zu verdienen ist für die rettende Operation, doch solch ein Leben natürlich auch keine Zukunft und so lässt er sich mit Omar auf den fatalen Drogenhandel ein, der von vornherein ein Desaster ist und auch noch für andere Freunde Omars tödlich endet. Der Polizist Dando ist vollkommen blind vor Zorn und Rachegedanken, was ihn nicht nur von der eigenen Familie entfremdet, sondern ihn auch bei der Ausübung seines Berufs nachhaltig beeinflusst, denn er sucht nun regelrecht die Konfrontation mit den Arabern, die sämtlich potentielle Kriminelle sind und gegen die nur rigoroses Durchgreifen sprich Gewalt hilft. Und Gewalt ist natürlich das Stichwort, das über allem liegt, Gewalt prägt das Leben dort wie auch in anderen Krisengebieten der Welt, Gewalt ist noch immer das erste Mittel zur Konfliktlösung, und auch in diesem Film werden andere Alternativen kaum in Erwägung gezogen. Rachemorde unter verfeindeten Familien sind ebenso akzeptiert wie die sich daran anschließende Gewaltspirale, das Vorgehen von Polizei und Militär wird als ebenso gegeben hingenommen wie die hohe Waffendichte in bestimmten Wohnvierteln, wie die Emotionen schnell hochkochen und Pistole oder Automatik schnell zur Hand sind.
Die beiden Filmemacher – ein Araber und ein Jude – haben nicht nur einen dramatisch spannenden Film geschaffen, sondern auch ein faszinierendes und zugleich erschütterndes Porträt einer Stadt, einer Gesellschaft vielmehr, die keine Möglichkeit zu finden scheint, den blutigen Kreislauf zu unterbrechen, die Eskalation zu stoppen, die Zäune und Mauern nieder zu reißen. Historie, Traditionen, Erfahrungen, Familienbande, Verpflichtungen anderer Art binden die Menschen, verbieten aus Ausscheren aus der Ordnung, zementieren die Mauern in den Köpfen. Man lebt zusammen in völliger Unfreiheit, in einer Art schicksalhaften Vorbestimmtheit, die ich als unerhört tragisch empfinde und die in diesem Film großartig eindrucksvoll zum Ausdruck kommt. Dieses Gefangensein ist immer zugleich verhängnisvoll und identitätsstiftend, wie auch beispielsweise im Irlandkonflikt oder anderen vornehmlich von Religion geprägten Krisen. Für alle Beteiligten ist die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft entscheidend wichtig und beschützend, andererseits schafft sie Schuld und Abhängigkeiten, zwingt den Menschen Verhaltens- und Denkmuster auf, die ihnen so gut wie keinen Raum geben für eigene Wege und eine freie Entscheidung. Religiöse und ethnische Zugehörigkeit als Gefängnis - noch eindrucksvoller und deutlicher kann man das in einem Film fast nicht ausdrücken.
Wir sind hier mitten in den verschiedenen Wohngebieten, mal bei Arabern, mal bei Juden, begleiten die Menschen in ihren Vierteln, in die Häuser, die Cafés, die Diskos, auf die Straßen, erhalten auch als Fremde einen unerhört dichten, intensiven Eindruck vom Leben dort. Die Kamera arbeit direkt und ohne Schnörkel, die Schauspieler sind großartig authentisch, und die komplexe Handlung erfordert zwar sehr viel Aufmerksamkeit, aber das ist ja wohl kein Verbrechen. Ein meisterhafter, lang nachwirkender Film wie schon viele aus dieser Region, und wenn sie schon ihren Krieg nicht beenden können, dann machen sie wenigstens großes Kino darüber – traurig genug natürlich. (12.3.)